Rettungsanker für den raren Schierlings-Wasserfenchel der Tideelbe Von Christiane Bosch, dpa
Der Schierlings-Wasserfenchel wächst nur im deutschen Norden. Die
Tideelbe ist weltweit seine einzige Heimat. Das hat ihn einst im Zuge
der Elbvertiefung berühmt gemacht. Mittlerweile wird für die Rarität
von mehreren Seiten aus viel getan.
Hamburg (dpa) - In einer Schubkarre fährt Staudengärtner Martin
Beckers Dutzende Schierlings-Wasserfenchel-Pflanzen über den Deich
runter an die Elbe. Sie sind etwa 30 Zentimeter hoch und in ihrer
Erscheinung eher unauffällig. Und doch sind sie etwas ganz
Besonderes. Denn die vom Aussterben bedrohte Sumpfpflanze wächst nur
entlang der Tideelbe in Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein
- nirgendwo sonst auf der Welt. Und selbst hier gibt es nur wenige
Tausend Exemplare.
Seit 2019 schon zieht Beckers die überaus seltenen Gewächse aus Samen
auf und hegt und pflegt sie, damit sie später in den zweimal am Tag
überfluteten Auenbereichen zwischen Geesthacht und Glückstadt eine
neue Heimat finden und sich ausbreiten können. «Der
Schierlings-Wasserfenchel ist eine botanische Besonderheit. Ganz
klar, da brauchen wir uns nix vormachen. Das ist schon ein
Sahne-Bonsche.»
Mehr als 7000 Setzlinge in den Ebbematsch gepflanzt
Der 63-Jährige zieht den grünen Exoten nicht nur für die
Hafengesellschaft HPA vor, die wegen der Elbvertiefung
Ausgleichsflächen für den extrem seltenen Schierlings-Wasserfenchel
und weitere Flora und Fauna der Tideelbe schaffen und bepflanzen
lassen muss. Er übernimmt das auch für die Artenagentur
Schleswig-Holstein, für Niedersachsen und für die Hamburger Stiftung
Lebensraum Elbe. Denn die Länder haben die rechtliche Verpflichtung,
das extrem rare Gewächs zu schützen und den Rettungsanker
ausgeworfen: Mehr als 7000 Pflänzchen wurden in den vergangenen
Jahren dafür in den Elbematsch eingebracht. Außerdem wurden mehr als
zehn neue Standorte für den Schierlings-Wasserfenchel entlang der
Elbe geschaffen.
Und für dieses Jahr hat Beckers erneut 1500 Pflanzen vorgezogen. Etwa
fünf Euro pro Pflanze kostet das, sagt Beckers. Ein kleiner Teil
davon kommt nun in den Elbeschlick am Wrauster Bogen in
Hamburg-Kirchwerder. Dort wurde von der Stiftung Lebensraum Elbe
eigens ein Priel angelegt, damit diese und andere Pflanzen im
Überflutungsgebiet der Tideelbe gedeihen können.
An dem heißen sonnigen Sommertag hat sich neben Beckers deshalb auch
Gerwin Obst die Gummistiefel angezogen. Er betreut das Hamburger
Projekt Schierlings-Wasserfenchel seit fast drei Jahrzehnten. Erst
freiberuflich, mittlerweile als Projektleiter bei der Stiftung. Sein
Ziel: der Rarität beim Überleben helfen - auch durch das Finden, den
Erhalt und die Entwicklung von Standorten.
Wo er wächst, ist es gut für alle Pflanzen
Die beiden Männer heben nun die Schubkarre über einen kleinen
Schafszaun und fahren sie in die Nähe des Ebbe-Matsches in dem
idyllischen Priel. Ein Schild am Rand weist auf die besondere Pflanze
hin. Betreten soll man den Priel mit den wilden Pflanzen indes nicht.
Nur gucken. Und zu sehen gibt es viel - wenn man genau hinschaut.
Hier wachsen unter anderem Wiesen-Kerbel, Blutweiderich, Kohldisteln,
Kriechender Hahnenfuß und eben der Schierlings-Wasserfenchel.
«Das ist eine ganz klassische Vegetation für die Tideelbe», so Obst.
Der Wasserfenchel ist eben auch eine perfekte Zeiger-Pflanze: Da, wo
er sich wohl fühlt und sich ausbreitet, handelt es sich um einen
«naturnahen Standort an der Elbe, der für alle Tiere und Pflanzen
drumrum einfach gute Bedingungen bietet», sagt Obst dazu und holt
sich das nächste Pflänzchen zum Eingraben.
Stück für Stück bringen Obst und Beckers mit kleinen Schaufeln und
ihren bloßen Händen die zweijährigen Doldenblütler in den Boden.
Dabei lassen die beiden immer gut einen Meter Abstand zwischen den
Setzlingen. Von jetzt an müssen die Pflanzen selbst klarkommen. «Das
sollte schon klappen, sie werden ja zweimal am Tag gegossen», scherzt
Beckers. Die Pflanze blüht erst im zweiten Jahr - wie Möhren oder
Sellerie. Dann kann sie mit ihren wolkigweißen Blüten auch schon mal
zwei Meter hoch werden.
Ebbe und Flut sind richtig gut für den Schierlings-Wasserfenchel. «Er
will von Haus aus einen feuchten, nassen, sumpfigen Standort haben.
Und er ist hyperempfindlich gegen Schnecken. Und die habe ich bei
Ebbe und Flut nicht, weil die das Wasser nicht abkönnen. Er hat hier
also eine Nische gefunden», so Beckers.
Botanische Rarität spielt Rolle vor Gericht
Das hat ihn im Jahr 2017 auch auf einen Schlag berühmt gemacht. Denn
aufgrund seiner Einzigartigkeit stand die geplante und umstrittene
Elbvertiefung rund um Hamburg plötzlich auf der Kippe. Die Planer
mussten nachbessern und für die seltene Pflanze Ausweichflächen
finden und anlegen. Im Sommer 2020 schließlich gab das
Bundesverwaltungsgericht grünes Licht.
Mehr als 15,5 Millionen Euro hat die HPA eigenen Angaben zufolge
seitdem in den Bau von Ausgleichsflächen und das Bepflanzen an drei
Standorten gesteckt - auf der Billwerder Insel, im Naturschutzgebiet
Zollenspieker sowie im Flachwassergebiet Kreetsand. Zudem werden rund
90 000 Euro im Jahr für das Zählen der Pflanzen, das sogenannte
Monitoring, ausgegeben. Das soll bis mindestens 2037 gemacht werden.
Auch die Umweltbehörde zählt. Im Hamburger Gebiet wachsen die meisten
Pflanzen des Schierlings-Wasserfenchels. Dabei wurden in den
vergangenen Jahren zwischen 1000 und 5000 Exemplare festgestellt, in
Niedersachsen nur einige Hundert, in Schleswig-Holstein nur einige
wenige Pflanzen. Die genaue Zahl der Standorte zwischen Geesthacht
und Glückstadt ist nicht bekannt. «Aber es dürften so um die 100 sein
- manchmal nur mit ein zwei Pflanzen, manchmal mit bis zu ein paar
Hundert.»
Zusätzlich sollen in Hamburg keine neuen Pflanzen angesiedelt werden.
Nur dort, wo neue Standorte wie der Priel am Wrauster Bogen
geschaffen werden, so Obst. «Es ist sehr erfreulich, wenn man sieht,
dass an solchen Standorten nach drei, vier Jahren weiterhin Pflanzen
vorkommen, dann ist es ein Erfolg», sagt Obst. Entlang der Hamburger
Elbe soll sich der Schierlings-Wasserfenchel ansonsten auf
natürlichem Weg ausbreiten. Schleswig-Holstein und Niedersachsen
setzen indes weiterhin auf das Einpflanzen von Setzlingen und das
Ausbringen von Samen.
Der Samen muss schwimmen können
Dem Naturschutzbund (Nabu) Hamburg zufolge sind die Aktionen zum
Erhalt des sogenannten Endemiten enorm wichtig. «Wenn die Pflanze bei
uns verschwinden würde, wäre sie weltweit(!) ausgestorben», macht ein
Nabu-Sprecher die Dimensionen deutlich. Die HPA-Aktionen bezeichnet
der Nabu wenig hilfreich für die Ausbreitung der Samen in die
Norderelbe. Vielmehr seien die Ausgleichspflanzungen auf der
Billwerder Insel südlich des Holzhafens eine Art Botanischer Garten:
«Eine bestimmte Anzahl von Exemplaren muss dort dauerhaft erhalten
bleiben und das könnte auch klappen.»
Als deutlich sinnvoller schätzt der Nabu die Schutzaktionen der drei
Länder ein, vor allem wenn die Standorte zur Wiederbesiedlung so
gelegen sind, «dass Samen von dort auch weitere potenzielle
Lebensräume erreichen können».
Übrigens: Auch, wenn es ein Fenchel ist, sollte man den raren Exoten
nicht essen. Nicht nur, weil man damit zum Aussterben der Pflanzen
beitragen würde. Sondern auch, weil er weder eine Nutz- noch eine
Heilpflanze ist - und auch durchaus giftig sein könnte.
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