Corona - war da was? Wieso wir so schnell vergessen Von Sandra Trauner, dpa

Erst vor wenigen Monaten wurde die Pandemie für beendet erklärt. Bei
vielen Menschen war schon da die Erinnerung an die doch recht
massiven Corona-Einschränkungen stark verblasst. Wie kann das sein?

Frankfurt/Main (dpa) - Menschen feiern dicht gedrängt, Freunde
umarmen sich ungeniert, niemand fragt mehr nach einem Impfausweis.
Das Leben ist zurück, Corona scheint fast vergessen. Dabei hatten
Umfragen zufolge viele Menschen erwartet, dass wir uns nie wieder die
Hände schütteln. Viele hätten sich nicht vorstellen können, dass si
e
sich je wieder in einer Menschenmenge wohl fühlen. Doch diese
Empfindungen gingen in vielen Fällen wieder fast so schnell wie sie
gekommen waren. Aber wie kann das sein?

Vergessen ist lebenswichtig, sagen Hirnforscher und Psychologen. Wenn
wir immer alles speichern würden und immer alles gleich wichtig wäre,
wären wir handlungsunfähig. Der Animationsfilm «Inside Out» («All
es
steht Kopf») erklärt die Abläufe sehr anschaulich: Wie in einer
Eier-Sortieranlage werden die bunten Erinnerungskugeln im Kopf der
Hauptfigur in einem gigantischen Röhrensystem ständig aus- und
umsortiert. Was in welcher Form wieder ans Tageslicht kommt, hängt
auch damit zusammen, welche Emotion gerade dominiert.

Vergessen im Sinn von gelöscht haben wir Corona sicher nicht, sagt
die Psychologin Susanne Spieß vom Berufsverband Deutscher
Psychologinnen und Psychologen. Die Frage ist weniger, woran wir uns
erinnern, als wie wir uns daran erinnern. Spieß vergleicht das mit
einem Trauerprozess, bei dem es verschiedene Phasen gibt. «Wir können
in dem Gefühl bleiben, das wir damals damit verbunden haben. Oder wir
können uns mit den Gefühlen, den Gedanken, der Situation an sich auf
verschiedene Weise auseinandersetzen. Dann beginnt die Heilung.»

Die vermeintliche «Vergessensleistung» sei eigentlich eine
«Verarbeitungsleistung», sagt Spieß. Wie gut das gelinge, hänge auc
h
davon ab, «wie gut ich bewusst entspannt im Hier und Jetzt sein
kann». Außerdem liefen bei jedem Menschen andere Selektionsprozesse
ab, abhängig von den Vorerfahrungen, Vorlieben, Ängsten und
Einstellungen: Wer sich schon immer in Menschenmengen unwohl fühlte,
wird dieses - in der Pandemie verstärkte - Gefühl der Vorsicht
vermutlich länger haben als jemand, der sich schon immer auf
Straßenfesten pudelwohl fühlte.

Gegen Ende der Coronazeit sei es vielleicht zu einer Art
Desensibilisierung gekommen, sagt Spieß. Die erste Umarmung nach den
Lockdowns fühlte sich noch seltsam an, vor allem, weil man immer die
Perspektive des anderen mitdachte: Ist das ok für sie oder ihn? Aber
mit jeder Umarmung verschwand die Irritation ein bisschen mehr. Bei
Menschen, die immer allen um den Hals fielen, ging das vermutlich
schneller als bei Menschen, die Körperkontakt lieber meiden.

Martin Korte, Professor für Zelluläre Neurobiologie an der
Technischen Universität Braunschweig, vergleicht das Vergessen mit
«einem gut programmierten Spamfilter». Vergessen bedeute, Unwichtiges
von Wichtigem trennen. Nur weil wir vergessen, können wir Neues
entdecken, abstrakt denken und Probleme lösen. Vergessen erlaubt es
dem Gehirn, sich auf die jeweils wesentlichen Informationen zu
konzentrieren.

«Löschen und Vergessen sind daher keine Fehler oder Aussetzer in der
Wahrnehmung, vielmehr gehören sie fest zu den dafür nötigen
Abläufen», schrieb Korte 2018 im «Spektrum der Wissenschaft».
Längerfristig gespeichert werde nur «ein verschwindend kleiner Teil»

unserer Erlebnisse. «Schreibgeschützt» sind zum Beispiel oft
traumatische Erlebnisse. Und die Erinnerungen ändern sich mit jedem
Abruf ein kleines bisschen.

Dominique de Quervain und Andreas Papassotiropoulos von der
Universität Basel haben die Rolle der Emotionen bei Erinnerungen 2022
mit Hilfe der Magnetresonanztomographie nachgewiesen. Sie zeigten
1418 Menschen emotionale und neutrale Bilder und zeichneten ihre
Hirnaktivität auf. «Sowohl an positive als auch an negative Bilder
erinnerten sich die Studienteilnehmenden in einem späteren
Gedächtnistest viel besser als an neutrale Bilder», fasste die
Hochschule die im Fachmagazin PNAS veröffentlichten Ergebnisse
zusammen.

Ein Stück weit kann man auch steuern, woran man sich erinnern möchte,
wie Ann-Kristin Meyer und Roland G. Benoit vom Max-Planck-Institut
für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig 2022 gezeigt
haben. Wenn man unerwünschte Erinnerungen bewusst unterdrückt, sind
sie beim nächsten Erinnern weniger lebhaft und blasser als vorher.

Auch wie wir uns an die Coronazeit erinnern, hängt unter anderem
davon ab, welche Emotionen damit verbunden sind, sagt Spieß.
Menschen, die Verluste erlitten haben, die einen nahe stehenden
Menschen verloren haben oder ihren Job, kommen vermutlich schlechter
aus dem Gefühl heraus. Besonders gut abschließen können Menschen,
«die der Corona-Krise einen Sinn geben können», wie Spieß sagt.

Das könnten beispielsweise Menschen sein, die stolz darauf sind, dass
wir als Gesellschaft das gemeinsam gemeistert haben - oder die sich
freuen, dass sie dadurch nun tageweise im Homeoffice arbeiten dürfen.
«Dann speichert man die Krise eher als Lernerfahrung ab.»

Mit dem Abstand wird die Erinnerung anekdotisch: Weißt Du noch, wie
sie im Café auf den Kaffee immer einen Deckel machen mussten, den
dann jeder in den Papierkorb vor dem Laden warf, weil nur «to go»
erlaubt war und als «to go» nur zählte, wenn ein Deckel drauf war?
Heute finden wir Auswüchse wie diese lustig, damals haben wir uns
darüber geärgert. Was dazwischen passiert ist, sagt Psychologin
Spieß, ist, «dass wir die Opferrolle verlassen haben».

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