Zwischen Alpakas und Hühnern - Lebensabend auf dem Pflegebauernhof Von Mona Wenisch und Thomas Frey , dpa
Auf einem Bauernhof bei Koblenz bilden pflegebedürftige Senioren eine
Wohngemeinschaft mit Alpakas, Rindern und Schweinen. Das
ungewöhnliche Konzept kommt gut an.
Marienrachdorf (dpa) - Vom summenden Geräusch der Alpakas lässt sich
Günter Schütz nicht beirren. Routiniert kehrt er in dem Stall den
Mist zusammen, jeden Morgen. «Es ist schön mit den Tieren. Wie die
kommen und gucken», sagt er. Der Senior, der sein genaues Alter nicht
verraten will, lebt schon seit einiger Zeit mit den Alpakas in einer
Wohngemeinschaft. Der Pflegebauernhof in Marienrachdorf bei Koblenz
in Rheinland-Pfalz ist ihr gemeinsames Zuhause.
Auf dem Hof sollen die Senioren am Alltagsleben teilnehmen, auch wenn
sie pflegebedürftig sind. Den Stall der Alpakas säubern - das ist auf
dem Bauernhof in dem kleinen Dorf im Norden von Rheinland-Pfalz die
Aufgabe von Schütz. Zuvor war er auch für kurze Zeit in einem
gewöhnlichen Altersheim. Das sei aber nichts für ihn gewesen. Viel
sagt er dazu nicht, nur, dass es ihm hier auf dem Bauernhof viel
besser gefalle. Ob er sich mittlerweile an die Tiere gewöhnt
hat? «Die haben sich an mich gewöhnt.»
Die Idee zu dem ungewöhnlichen Pflegekonzept kam Landwirt Guido Pusch
aus seiner eigenen Familiengeschichte. «Bei der Großmutter war immer
was gekocht, es war immer schön, es war immer Leben da. Wir sind
zusammengekommen», erinnert sich der Landwirt an seine Kindheit in
dem Haus. Diese Zeit sei wunderschön gewesen. In der Küche stehe
heute noch der Tisch, mit dem er aufgewachsen sei. «Und dann wurde
das immer weniger. Die Großmutter konnte sich dann selber nicht mehr
helfen, musste dann betreut, gepflegt werden.»
Doch aus ihrem Haus wollte sie auf keinen Fall raus. Also überlegte
Pusch, wie er den Hof erhalten und der Großmutter bis zum Schluss ein
Zuhause bieten konnte - bis ihm die Idee zum Pflegebauernhof kam.
Doch die nötigen Partner waren noch längst nicht überzeugt. Die Idee
fanden alle toll, aber keiner habe mitmachen wollen, sagt Pusch. Aber
davon ließ sich der Landwirt nicht beirren und entschied kurzerhand:
«Jetzt gründe ich selbst einen Pflegedienst.»
Gesagt, getan: Die alte Scheune wurde zu Wohnräumen umgebaut.
Mittlerweile wohnen 22 pflegebedürftige Menschen auf dem Hof, es gibt
16 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie teilen sich ein Dach mit
Rindern, Schweinen, Hühnern, Alpakas und Wachteln. Auch einen
Angelteich und etwas Weide gibt es, Bienenvölker produzieren Honig.
Der Hof ist ein Familienbetrieb, Puschs Mutter und seine Frau
arbeiten dort, seine 18-jährige Tochter macht bei ihnen gerade eine
Ausbildung in der Pflege. Dennoch steht ein professioneller
Pflegedienst dahinter, mit 24-Stunden-Betreuung. Das Konzept kommt
gut an, nicht nur bei den Älteren. Fachkräftemangel sei bei ihnen
kein Thema, sagte Pusch. «Wir haben Mitarbeiter, die Kinder
mitbringen und die Kinder haben sich schon beworben für den
Ausbildungsplatz.»
Auf dem Pflegebauernhof sollen sich alle wie zuhause fühlen. Und alle
haben ihre Aufgaben. Während Günter Schütz noch im Stall zugange ist,
werden in der Küche bereits große Mengen an Kartoffeln für das
Mittagessen geschält. Rund um den Küchentisch, den Guido Pusch noch
aus seiner Kindheit kennt, sind alle Generationen versammelt.
Reinhold Karl ist mit dem kleinen Messer in den Händen noch sehr
flink. Geduldig zeigt der 73-Jährige der fünfjährigen Romy Brabände
r,
wie er das macht. Romy hat gerade Kita-Ferien und ist deshalb mit
ihrer Mama zur Arbeit gekommen. Die geschälten Kartoffeln kommen in
eine Schüssel, aus ihnen werden später Kartoffelpuffer nach Omas
Rezept gemacht. Die Schalen wandern in eine andere Schüssel, die
bekommen später die Hühner.
Kartoffeln schälen gehört nicht zu Karls Lieblingsaufgaben, dennoch
hilft er gerne. Lieber fährt er aber Traktor. «Ich bin froh, dass ich
Blödsinn machen kann», sagt der an Demenz erkrankte 73-Jährige. «Ic
h
bin gerne mit Menschen zusammen.»
Wichtig sei, dass niemand mithelfen müsse, sagt Pusch. Aber: «Jeder
kann.» Barrierefreiheit heiße auch, Menschen mit Einschränkungen
weiterhin alltägliche Sachen zu ermöglichen. «Hier spüren wir, dass
die Bewohner sich nicht als Leistungsempfänger empfinden. Sie sind
hier im Geschehen dabei, es bewegt sich was. Und die Pflege,
Betreuung ist so am Rande.»
Puschs Wunsch ist es, dass sich sein Konzept in ganz Deutschland
durchsetzt. «Im November diesen Jahres wird der erste im Schwarzwald
eröffnet», sagt er stolz. Insgesamt unterstütze er zurzeit 20
Betriebe auf dem Weg zum Pflegebauernhof. So sind nach seinen Angaben
etwa in Bayern, Sachsen und Nordrhein-Westfalen Projekte geplant.
Auf sein Konzept hat der Landwirt ein Patent angemeldet. Puschs
Traum: «Innerhalb von 15 Minuten von einem Pflegebauernhof zum
nächsten.» Dafür setze er sich ein. Pusch findet, dass das «Sterben
und die Begleitung dahin» oft aus der Gesellschaft «ausgesiedelt»
werde, obwohl es das «Wichtigste im Leben» sei. «Aber es gehört in
die Gesellschaft.»
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