Ungewollt zum Kifferland? Bayern vor der Cannabis-Freigabe Von Sabine Dobel, dpa

Manche sprechen von Aprilscherz, lustig finden es Bayerns Behörden
allerdings nicht: Am 1. April startet das vom Freistaat abgelehnte
Cannabisgesetz - mit vielen Vorgaben und teils unklaren Regeln.

München (dpa/lby) - Auch wenn Bayern es nicht wollte: Ab Montag gilt
in Deutschland das umstrittene Cannabis-Gesetz der Ampel-Koalition.
Damit kann nach ausgeklügelten Regeln straffrei gekifft werden.
Volljährige dürfen Cannabis dann zum eigenen Konsum in beschränktem
Maße besitzen und anbauen. Vieles scheint zum Start allerdings unklar
- und besonders im Freistaat gibt es weiter harsche Kritik. 

Kiffer-Fans «nicht nach Bayern» - ist Söders harte Linie
durchsetzbar? 

Unvermeidbar: Auch in Bayern darf gekifft werden. Die Staatsregierung
will zwar einen strengen Vollzug der Regeln - gibt aber selbst zu:
Mit der Kontrolle wird es schwierig. In Polizeikreisen kam die Linie
von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) deshalb nicht gut an. «Söd
er
bringt dadurch die Behörden und die Polizei in eine Position, in der
sie ganz genau kontrollieren müssen», sagt der Landesvorsitzende der
Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Jürgen Köhnlein. Dazu aber
fehlten zum einen genaue Verwaltungsvorschriften, zum anderen die
Personalstärke und die Instrumente. 

«Es ist insbesondere auch eine Zumutung für die Polizei, diesen
undurchdachten Regelungswust kontrollieren zu müssen, soweit das
überhaupt kontrollierbar ist», sagt Innenminister Joachim Herrmann
(CSU). Dennoch verspricht er, die Regelungen würden so streng wie
möglich kontrolliert. Als Schwerpunkt nennt Herrmann den
Straßenverkehr. Unter anderem hier sieht die Polizei praktische
Probleme, zumal nun mehr Menschen nach Cannabiskonsum am Steuer
sitzen könnten. Es gebe keine gerichtsverwertbaren Schnelltests,
Urintests seien schwieriger durchzuführen als Atemkontrollen. Bei
jedem Drogenverdacht müsse am Ende Blut abgenommen werden.  

Ab wann können in Bayern die Anbauvereinigungen legal ernten?

Das könnte Herbst werden. Anbauvereinigungen werden nicht gleich zum
1. Juli starten können. «Die Anträge für Anbauvereinigungen werden

nicht vor dem 1. Juli geprüft, weil sie vorher auch gar nicht
zugelassen werden können», sagt Gesundheitsministerin Judith Gerlach
(CSU). Der Genehmigungsprozess soll laut Gesetz nach drei Monaten
abgeschlossen sein. Damit wird die Verfügbarkeit von legal angebauten
Cannabis noch länger eingeschränkt bleiben. 

Auch wenn unklar ist, ob nun mehr Menschen zum Joint greifen, warnt
die Ministerin: Mit dem Start des Konsums ohne  legal angebautes
Cannabis werde in den kommenden Monaten dem Schwarzmarkt Vorschub
geleistet: «Eigentlich kann vor dem Juli kein legales Cannabis im
Umlauf sein, denn erst dann dürfen die Anbauvereinigungen nach dem
Gesetz zugelassen werden.» Auch privat ab Montag angebaute Pflanzen
bräuchten Fachleuten zufolge je nach Sorte und Düngung mindestens
acht Wochen, um zu wachsen. 

Wird Bayern gegen das Gesetz klagen?

Das ist nach einigem Hin und Herr immer noch offen. Die Chancen für
einen gerichtlichen Stopp des ungeliebten Gesetzes scheinen nicht
groß. Trotzdem will Gesundheitsministerin Gerlach den Klageweg nun
erneut prüfen. «Nach der Bundesratssitzung liegt nun die finale
Fassung des Konsum-Cannabisgesetzes sowie die neue Protokollerklärung
der Bundesregierung vor», sagte die CSU-Politikerin. «Bayern prüft
die Dokumente eingehend, ob sich Spielräume für eine Klage ergeben.»
 

Vor gut zwei Wochen hatte Gerlach noch gesagt, sie sehe nach einer
Prüfung durch ihr Ministerium keinerlei Klagemöglichkeiten für den
Freistaat - weder vor dem Bundesverfassungsgericht noch irgendwo
sonst, etwa auf europäischer Ebene. Innenminister Herrmann hatte vor
der Bundesratsentscheidung den grundsätzlichen Willen der
Unions-Innenminister zur Klage bekräftigt. Er räumte ein, es sei
keine ganz einfache Frage, wie das Ganze am Ende vor Gericht gebracht
werden könnte. 

Wer darf ab Ostermontag in Bayern kiffen - und wo?

Grundsätzlich gelten im Freistaat dafür dieselben Regeln wie im Rest
der Republik. Erwachsene - also alle über 18 Jahren - dürfen zum
eigenen Gebrauch bis zu 50 Gramm Cannabis daheim haben, mit bis zu 25
Gramm unterwegs sein - und sie dürfen das Gras auch in der
Öffentlichkeit rauchen. 

Da geht es aber schon los mit den Einschränkungen: Im Umkreis von
etwa 100 Metern zum Eingangsbereich von Spielplätzen, Schulen,
Sportstätten - auch Fußballstadien - sowie Kinder- und
Jugendeinrichtungen darf man sich keinen Joint anstecken. Das gilt
auch anderswo in unmittelbarer Gegenwart von Kindern und Jugendlichen
unter 18, selbst wenn es der eigene Nachwuchs ist. Fußgängerzonen
sind zwischen 7.00 und 20.00 Uhr ebenfalls jointfreie Zonen. 

Mehr Spielplätze, weniger Kiffer: Macht das Beispiel Aschheim
Schule? 

Schnell ein Spielplatz, um den Cannabis-Anbau oder -Konsum zu
verhindern? In Aschheim - von der «Bild»-Zeitung schon zum möglichen

«Hasch-Heim» erhoben - will ein Geschäftsmann bei seinem Hanfladen
eine Anbaugemeinschaft etablieren und Cannabis anbauen. Die Gemeinde
trat dem mit Plänen zu einem Spielplatz in der Nähe vor dem Rathaus
entgegen - für Eltern, die mit ihren Kindern Behördengänge erledigen

müssten, hieß es. Grundsätzlich könnten auch andere Kommunen diesen

Weg beschreiten. Weitere Fälle seien aber derzeit nicht bekannt,
heißt es beim Bayerischen Städtetag wie auch beim Bayerischen
Landkreistag. 

Darf man im Garten oder auf dem Balkon rauchen, wenn ein Spielplatz
in der Nähe ist?

Die Antworten der Experten bleiben vorsichtig. Die Unverletzlichkeit
der Wohnung gelte auch für den Sperrradius, heißt es. «Wie damit
umgegangen wird, wenn am Zaun des Kindergartens beispielsweise
gekifft wird, weil man als direkter Nachbar sich zwangsläufig in der
Sperrzone befindet, wird sich herausstellen müssen», sagt der
Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Bayern,
Florian Leitner. 

Der DpolG-Landesvorsitzende Jürgen Köhnlein geht davon aus, dass man
auf dem eigenen Balkon oder im eigenen Garten rauchen darf, auch wenn
Spielplatz oder Kindergarten weniger als 100 Meter entfernt sind -
nur eben nicht unmittelbar vor den Augen der Kinder. Der Rauch dürfe
auch nicht dort hinüberziehen. «Dann ruft eine Mutter die Polizei und
sagt: «Mein Kind ist in der Dampfwolke drin, das will ich nicht» -
und dann?» 

Was erwarten die bayerischen Behörden und die Polizei?

Von der in Berlin beschworenen Entlastung könne keine Rede sein,
heißt es im Freistaat unisono. Die Polizei erwartet einen Berg
zusätzlicher Arbeit, Ärger mit Konsumenten - und Menschen, die das
Kiffen stört. Etwa die Hälfte der Bevölkerung lehne Umfragen zufolge

die Legalisierung ab, sagt DpolG-Landeschef Köhnlein. «Diese Leute
werden die Polizei anrufen, wenn sie einen Verstoß wittern»,
prognostiziert er. Mehr Einsätze also. Zudem gebe es nun neue
Ordnungswidrigkeiten und deutlich mehr Straftaten als bisher. 

Laut dem Präsidenten des Bayerischen Landkreistags, der
Fürstenfeldbrucker Landrat Thomas Karmasin (CSU), wird auch den
«ohnehin überlasteten Behörden ein irrsinniger Verwaltungs- und
Vollzugsaufwand» beschert. Gerade auf Jugendämter kämen erhebliche
Mehraufgaben etwa bei der Prävention zu. «Wie unsere Leute dieses
Aufgabenpaket stemmen sollen, lässt die Ampel unbeantwortet.»

Gras auf der Wiesn, Joint zum Bier - Was gilt auf dem Oktoberfest?  

Auch das ist unklar. Das Wirtschaftsreferat der Stadt München als
Veranstalter des größten Volksfestes der Welt enthielt sich konkreter
Aussagen. Der Wirtschaftsreferent und Festleiter Clemens Baumgärtner
sagte der «Bild»-Zeitung, man müsse das Gesetz erst genau ansehen. Er

habe aber zumindest ein ungutes Gefühl, wenn er sich vorstelle, dass
in den Wirtsgärten der Wiesn Joints herumgereicht würden. 

Experten zufolge wären beschränkte Cannabis-Verbote unter Umständen
möglich, wenn Sicherheitsfragen oder Regeln des Gesetzes grundlegend
berührt sind. Der Konsum von Cannabis sei grundsätzlich in
unmittelbarer Gegenwart von Minderjährigen verboten, betonte
Ministerin Gerlach. Das gelte auch auf Volksfesten. Ein
Ministeriumssprecher warnte zudem vor einem Mischkonsum von Cannabis
und Alkohol: «Studien zeigen, dass Cannabis die Alkoholwirkung
verstärkt.» 

 

 

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