Vor allem auf dem Land haben Apotheken es immer schwerer Von Philipp Demling, dpa

Mehr als 100 Apotheken wurden 2023 in Bayern geschlossen, vor allem
in ländlichen Regionen. Pharmazeuten fordern höhere Honorare und eine
Stärkung der Apotheke vor Ort. Ein Inhaber geht auch neue Wege.

Breitengüßbach/Itzgrund (dpa/lby) - Mehrere Jahre lang war die
Itzgrund-Apotheke in der gleichnamigen Gemeinde im Landkreis Coburg
von der Schließung bedroht. Die Inhaberin wollte in Rente gehen und
fand keinen Nachfolger. Schließlich erklärte sich Apotheker Sami
Shalalda kurzfristig bereit, die Itzgrund-Apotheke ab Juli 2024
weiterzuführen. Dies sorgte bei den Menschen vor Ort für
Erleichterung, denn sonst wäre die Kommune mit 15 Gemeindeteilen ohne
Apotheke dagestanden. Auch in den Nachbargemeinden ist die Versorgung
eher dünn.

Sami Shalalda ist bereits Inhaber der St.-Nikolaus-Apotheke in
Breitengüßbach (Landkreis Bamberg) und übernimmt die
Itzgrund-Apotheke zusätzlich. Das bedeute viel Arbeit, aber: «Hier
auf dem Land sind die Leute besonders dankbar», betont er. Vor allem
«aus menschlichen Gründen» habe er sich dazu entschieden, in der
ländlichen Region zu bleiben.

Weniger als 2800 Apotheken in Bayern

Die Zahl der Apotheken sinkt. Nach Angaben der Bayerischen
Landesapothekerkammer (BLAK) wurden 2023 in Bayern 106 Apotheken
geschlossen. Insgesamt ging die Zahl der Apotheken im Freistaat von
2882 auf 2786 zurück.

Ein großes Problem sei, dass Apotheken immer höhere Kosten bewältigen

und immer mehr Aufgaben übernehmen müssten, sagt Apothekerin Nina
Luft, Mitglied im Beirat des Bayerischen Apothekerverbandes (BAV) und
Delegierte der BLAK. Da jede Apotheke als Einzelunternehmen oder
offene Handelsgesellschaft (OHG) geführt wird, haftet der Inhaber mit
seinem Privatvermögen für mögliche Verbindlichkeiten.

Allerdings seien die Honorare der Apotheken schon über 20 Jahren
nicht einmal an die Inflation angepasst worden, kritisiert Nina Luft,
die in der St.-Nikolaus-Apotheke Breitengüßbach mitarbeitet: «Pro
abgegebenem Medikament erhalten wir 8,35 Euro für die
Beratungsleistung, wovon derzeit zwei Euro an die Krankenkassen
abgeführt werden müssen.» Die Bundesvereinigung der Deutschen
Apothekerverbände (ABDA) fordert eine Erhöhung auf zwölf Euro, um der

Kostenentwicklung gerecht zu werden.

Lobbyverband sieht angespannte Finanzlage 

Die finanzielle Situation der Apotheken gilt inzwischen als sehr
angespannt. Rechnet man die Umsätze aller bundesweit 18.000 Apotheken
zusammen, kommt man nach Angaben der ABDA auf einen
durchschnittlichen Jahresumsatz von vier Millionen Euro und ein
mittleres Betriebsergebnis von etwa 160.000 Euro. Der Großteil der
deutschen Apotheken liege aber unter dem Durchschnitt, betont Nina
Luft. 

Für verschreibungspflichtige Arzneimittel gilt in Deutschland eine
Preisbindung. Diese garantiert, dass in allen deutschen Apotheken ein
verschreibungspflichtiges Medikament jederzeit zum selben Preis zu
bekommen ist. Gleichzeitig hat sie zur Folge, dass Apotheken
Umsatzrückgänge und steigende Fixkosten nicht durch Preiserhöhungen
ausgleichen können.

Immer mehr Arbeitszeit gehe für Bürokratie und die Verwaltung von
Lieferengpässen drauf, sagt Nina Luft. Oft komme es vor, dass ein
dringend benötigtes Medikament gerade nicht lieferbar sei. Dann müsse
die Apotheke mit dem verschreibenden Arzt Rücksprache halten, um
schnell eine alternative Lösung für den Patienten oder die Patientin
zu finden.

Mehr Notdienste, knappe Fachkräfte

Außerdem müssen Apotheker immer häufiger Notdienste übernehmen:
Früher musste eine Apotheke durchschnittlich alle 27 Tage einen
24-stündigen Notdienst übernehmen, heute schon alle 21 Tage. «Die
Nachtschicht übernimmt meistens der Inhaber», sagt Sami Shalalda. Bei
der Itzgrund-Apotheke, die er kürzlich übernommen hat, fällt sogar
alle 13 Tage ein Notdienst an.

Gleichzeitig konkurrieren Apotheken mit anderen Arbeitgebern um
pharmazeutisch ausgebildete Fachkräfte. Bei Krankenkassen,
Krankenhausapotheken und Pharmaunternehmen seien die
Verdienstaussichten oft besser, sagt Nina Luft. Zudem gebe es immer
weniger pharmazeutisch-kaufmännische Angestellte (PKA). Deshalb
müssten Apothekerinnen und pharmazeutisch-technische Assistenten
(PTA) deren Aufgaben oft noch zusätzlich übernehmen. Dazu gehören
Warenabwicklung, Einkauf, Lagerhaltung und Rechnungskontrolle. «Der
Fachkräftemangel macht sich auch in unserer Berufsgruppe bemerkbar»,
sagt Luft.

Sind Online-Apotheken ein Ausgleich für die schwindende Versorgung
auf dem Land? Shalalda und Luft glauben das nicht. «Wir sind deutlich
schneller», betont Luft. «Innerhalb von 24 Stunden bekommen wir drei
bis vier Lieferungen aus dem Großhandel.» Außerdem könne die Apothe
ke
vor Ort persönlicher beraten und bei Rückfragen zu einer Verordnung
schneller Rücksprache mit dem Arzt halten. 

Lieferung nach Hause nicht lukrativ

Oft bringen Mitarbeiter der Apotheke Patienten, die nicht mobil sind,
die Medikamente nach Hause. Lukrativ sei das nicht, betont Shalalda:
«Manchmal fahren wir 50 Kilometer und verdienen quasi nichts.»
Beispielsweise für Menschen, die an Inkontinenz leiden und Windeln
benötigen, sei persönliche Betreuung und Hilfe vor Ort besonders
wichtig.

In kleinen Gemeinden wird die Versorgung mit Apotheken immer dünner.
Nicht alle studierten Pharmazeuten sind bereit, aufs Land zu ziehen
und den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen. Deshalb will
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) mit einer
Apothekenreform unter anderem die Situation auf dem Land verbessern.
Im Gespräch sind Modelle, bei denen PTA oder Krankenschwestern die
Versorgung übernehmen und ein Apotheker bei Bedarf «digital
dazugeschaltet» werden kann.

BLAK und ABDA halten von solchen Ideen nichts. «Es bedarf zwingend
einer Apothekenreform», teilt eine BLAK-Sprecherin der Deutschen
Presse-Agentur mit. «Jedoch muss der Nutzen dieser Reform für die
Patientinnen und Patienten größer sein als die damit verbundenen
Risiken. Daher lehnen wir insbesondere das Vorhaben «Apotheke ohne
Apotheker» strikt ab.» 

Um die Arbeit in der Sankt-Nikolaus-Apotheke in Breitengüßbach
effizienter zu gestalten, hat Inhaber Shalalda selbst viel Geld in
die Hand genommen und in zwei Automaten investiert. An dem einen
können Patienten mit ihrem Rezept ihre Medikamente abholen. Mit einem
Greifarm holt die Maschine das Medikament aus dem Lager und gibt es
heraus. Der andere Automat ist für das interne Kassensystem der
Apotheke. So haben die Mitarbeitenden der Apotheke mehr Zeit für
Beratung. Und die Patienten können außerhalb der Öffnungszeiten nach

Beratung durch die Apotheke vor Ort ihre Medikamente abholen.