Gegen den Krieg im Kopf - Traumatisierte Soldaten striegeln Pferde Von Tatjana Bojic, dpa
Pferde striegeln, unbelastet in der Natur sein. Auf der
Silberburg-Ranch ist das Teil einer neuen Therapie für belastete
Bundeswehrsoldaten, die mit schlimmen Erinnerungen kämpfen.
Aichhalden (dpa) - Irgendwo im Nirgendwo im Schwarzwald tobt in den
Köpfen von Bundeswehrsoldaten immer noch der Krieg. Auch Jahre nach
dem Rückzug der Truppe aus Afghanistan wirkt das Erlebte nach - als
Trauma. So bei Mike, 49 Jahre, Hauptmann. Als Spezialist für
abbildende Aufklärung gibt der zweifache Familienvater Mitte Juli
2013 entscheidende Koordinaten durch, ein B-1-Bomber der US-Airforce
wirft daraufhin eine Bombe auf eine Stellung der islamistischen
Taliban ab. Zwölf Menschen sterben. Für Mike ein Schock.
Wegen seiner diagnostizierten posttraumatischen Belastungsstörung
(PTBS) ist der Offizier zurzeit mit zwei weiteren traumatisierten
Soldaten sechs Wochen lang zweimal die Woche auf der Silberburg-Ranch
westlich von Rottweil. Dort striegelt Mike mit Hingabe Wallach Kurt -
und hofft, dass die Pferdetherapie ihm beim Verarbeiten seines
Alptraums hilft.
Auf dem Hof in Aichhalden läuft noch bis Ende 2025 eine Studie für
das Bundesverteidigungsministerium. Sie soll zeigen, ob der enge
Kontakt zu Pferden traumatisierten Bundeswehrsoldaten helfen kann.
Gewissensbisse und moralische Probleme
Mike hat starke Gewissensbisse. Er redet stockend. Immer wieder fährt
er sich mir den Händen übers Gesicht. «Wenn ich gewusst hätte, dass
da so viele Menschen sind, hätte ich die Koordinaten nicht
durchgegeben. Ich habe ein moralisches Problem», sagt er.
Währenddessen sucht Therapiepferd Kurt beim Striegeln die Nähe zu
Mike. Immer wieder reibt das Tier seinen Kopf an Mikes Brust. Mike
lacht. «Ich erhoffe mir hier bei der Arbeit mit den Pferden, dass ich
gelassener und entspannter werden kann. Ich möchte das Erlebte
begreifen, damit umgehen und tatsächlich auch dann damit leben
können.» Kurt wiehert.
Mehrere Jahre lang nach der Bombardierung traut Mike sich nicht, zu
erzählen, was passiert ist im Einsatz. Auch nicht seiner Ehefrau.
«Ich hatte immer Angst, als Mörder abgestempelt zu werden, wenn ich
darüber rede.» Doch Gereiztheit und Aggressionen nehmen zu. Noch
hofft er zum damaligen Zeitpunkt, dass ihm seine Lehrtätigkeit als
Luftbildauswerter hilft, das Grauen in seinem Kopf zu verarbeiten.
Doch sein Zustand bessert sich nicht. «Der komplette Abzug aus
Afghanistan im August 2021 hat an meinen Moralvorstellungen
gerüttelt. «Wofür?», habe ich mich gefragt.»
Wegen Depressionen krankgeschrieben
Wenige Monate später, im Dezember, wird Mike wegen Depressionen und
Burnout krankgeschrieben. Jetzt ist er in Fürstenfeldbruck
stationiert, hat eine sogenannte DPäk-Stelle. DPäk steht für
dienstpostenähnliches Konstrukt. Seiner Arbeit kann Mike aber nicht
mehr nachgehen. Durch die Arbeit am Pferd, den Gesprächen mit
weiteren Betroffenen, die an der Therapie teilnehmen, kann Mike
wieder etwas freier atmen. «Beim Striegeln komme ich am besten runter
und ich spüre die Kraft des Tieres», sagt Mike.
Die PTZ-Studie der Bundeswehr zur Wirksamkeit pferdegestützter
Therapien läuft seit 2020 an zwei Standorten: im Zentrum für
therapeutisches Reiten in Berlin-Karlshorst und eben in Aichhalden.
«Bis Ende 2025 sollen 100 Bundeswehrsoldaten die Therapie durchlaufen
haben», sagt Oberfeldarzt Christian Helms, der am Psychotraumazentrum
der Bundeswehr in Berlin arbeitet.
Die Therapie spielt sich auf der zwei Hektar großen Ranch des
Truppenpsychologen im Kommando Sanitätseinsatzunterstützung in
Weißenfels, Alexander Varn, ab. Er war 2018 und 2019 im Rahmen eines
wissenschaftlichen Austausches 14 Monate an der Air Force Academy in
Colorado Springs und lernte dort das pferdetherapeutische Verfahren
kennen. Das gibt er in Aichhalden weiter.
Das Projekt sei kostengünstig in der Bundeswehr verankert, sagt Varn.
Es entstünden der Bundeswehr außer der Arbeitszeit des zweiköpfigen
Betreuerteams keine Kosten. Denn die fünf Therapie-Pferde und der Hof
werden von Varn privat gestellt. «Der Bedarf ist da», sagt Varn.
Gefallen im Gefecht
Der Truppenpsychologe wird von Jens Hölzle vom Jägerbataillon 292 der
Deutsch-Französischen Brigade (Donaueschingen) unterstützt. Hölzle
selbst wurde im Jahr 2009 im Einsatz in Afghanistan verwundet, als
eine Patrouille in den Hinterhalt geriet. Ein Geschosskopf,
abgefeuert von den Taliban, durchdringt die Panzerung des Fuchses,
auf dem unter anderem Hölzle und Sergej Motz eingesetzt sind. Motz
überlebt den Angriff nicht. Der junge Hauptgefreite ist der erste
deutsche Soldat, der seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in einem
Feuergefecht fällt.
Laut Bundeswehr können seelisch belastende Erlebnisse wie menschliche
Grausamkeit oder sinnloses Leid eine PTBS auslösen. Die Symptome
seien Schreckhaftigkeit, Suchtprobleme, Schlafstörungen, Alpträume,
Aggressivität sowie Schuld- und Schamgefühl. Im vergangenen Jahr gab
es laut Helms bei der Bundeswehr 322 neu gemeldete
Trauma-Folgeerkrankungen, 197 waren als PTBS gemeldet. «Die
Rückmeldung der Teilnehmenden an der Studie ist sehr, sehr positiv»,
sagt Helms.
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