Rettung in Sicht? Wo Patienten in Not künftig Hilfe finden Von Basil Wegener und Sascha Meyer, dpa

Herzstolpern, Schmerzen oder Unfall? Für schnelle Hilfe gehen viele
direkt in die Notaufnahme. Dort herrschen oft Stress und Warterei.
Der Gesundheitsminister verspricht eine Runderneuerung.

Berlin (dpa) - Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) verspricht
eine Runderneuerung der Notfallversorgung in Deutschland. Für die
Patientinnen und Patienten wird sich wohl einiges ändern. Heute sind
Warterei für die Hilfesuchenden und Stress fürs Personal Alltag in
Notaufnahmen. Künftig sollen die Notfallpatienten und -patientinnen
besser durch den Gesundheitsdschungel gesteuert werden. Das Kabinett
hat die Reform beschlossen, Anfang 2025 soll sie in Kraft treten. Was
auf die Versicherten zukommt:

Wo soll man sich künftig im Akutfall hinwenden?

Bei schweren Notfällen, etwa schweren Unfällen oder Herzinfarkt, soll
man weiter die 112 wählen. Wenn es doch kein schwerer Notfall ist,
kann der Anrufer dort heruntergestuft werden. Eingeführt werden mit
dem Gesetz - wenn es im Parlament beschlossen wird - zwei Neuerungen:
In Akutleitstellen sollen Patientinnen und Patienten jenseits
schwerer Notfälle eine Ersteinschätzung zum weiteren Vorgehen
bekommen. Erreichbar sind sie bundesweit unter der Telefonnummer 116
117. Rund um die Uhr gibt es über diese Nummer auch einen Notdienst
mit einem Arzt oder einer Ärztin - telemedizinisch über Video
zugeschaltet oder per Hausbesuch. Bundesweit sollen zudem sogenannte
integrierte Notfallzentren in der Regie von Kliniken aufgebaut
werden. Hier kann man im Notfall hingehen. Die Zentren kombinieren
die Notfallaufnahme des Krankenhauses mit einer Notdienstpraxis. An
manchen Standorten soll es Notfallzentren für Kinder und Jugendliche
geben.

Man fürchtet, sofort behandelt werden zu müssen - was ist zu tun?

Das Anwählen der 116 117 soll die Regel werden. Lange Warteschleifen
sollen vermieden werden, in 75 Prozent der Fälle soll es nur
höchstens drei Minuten dauern. Patientinnen und Patienten können von
den Ärzten am Telefon sofort auf die 112 umgeleitet werden, auch für
einen Krankenwagen. Sie können auch ins nächste Notfallzentrum
geschickt werden. Wer dort über die 116 117 landet, soll schneller
drankommen. Die Telefon-Beratung soll nach der Erwartung der
Regierung aber unnötige Rettungsstellen-Besuche verhindern. Verknüpft
werden die Akutleit- mit den Terminservicestellen: Arztbesuche können
dann direkt am Telefon in die Wege geleitet werden.

Was ist das Besondere an den Notfallzentren?

Am Empfangstresen der integrierten Notfallzentren (INZ) soll es eine
Ersteinschätzung geben: Wohin geht es für die Hilfesuchenden als
nächstes - in die Notaufnahme oder eine nahe Notdienstpraxis?
Lauterbachs erklärtes Ziel: Patientinnen und Patienten sollen dort
behandelt werden, wo es am besten und schnellsten geht. Die INZ
sollen so im Land verteilt werden, dass mindestens eines stets gut
erreichbar ist. Die angeschlossenen Notdienstpraxen sollen abends
immer bis 21 Uhr offen haben - auch an Wochenenden und Feiertagen.
Lauterbach will, dass in der Notfallversorgung «erfahrenes ärztliches
Personal» eingesetzt wird. Das Geld für die Notfallzentren soll zur
Hälfte von den Krankenkassen und zur Hälfte von den Kassenärztlichen

Vereinigungen kommen.

Was kann passieren, wenn der Fall als leicht eingestuft wird?

Tatsächlich soll die Leitstelle über Software verfügen, die klaren
und schnellen Einschätzungen der Notfälle dienen sollen. Die Ärztin
oder der Arzt können telefonisch oder per Video einen Praxis- oder
Klinikbesuch als nicht nötig erachten. In so einem Fall soll aber
auch ein elektronisches Rezept oder eine elektronische
Krankschreibung ausgestellt werden können.

Warum die Reform?

Die Notfallambulanzen sind heute teils überfüllt. Jede und jeder
Dritte in einer Notaufnahme wäre nach Einschätzung Lauterbachs in
einer Praxis besser aufgehoben. Oft komme Rettung auch zu spät,
würden schwere Notfälle zu spät richtig eingeschätzt. Die Schwere d
es
Notfalls werde aber auch oft überschätzt.

Was sagen die Funktionäre der Ärzte und Krankenkassen?

Sie sind sich ausnahmsweise einmal einig. Die Kassenärztliche
Bundesvereinigung (KBV) lobt positive Ansätze, zweifelt aber an
voller Umsetzbarkeit. Dazu sei zu wenig Personal da. Der
Hausärztinnen- und Hausärzteverband warnt deshalb sogar vor einem
Scheitern der Reform. Die Vize-Chefin des
Krankenkassen-Spitzenverbands, Stefanie Stoff-Ahnis, sagte: «Das
Notfallgesetz enthält viele richtige Ansatzpunkte, um die Versorgung
unserer Versicherten zu verbessern.» Doch die Kassenärztlichen
Vereinigungen dürften nicht vor unlösbare Personalprobleme gestellt
werden. Lauterbach argumentierte: «Wir konzentrieren ja die
Notfallversorgung, sodass es keine redundanten Strukturen gibt. Und
wir vermeiden Notfälle.» Auch neue finanzielle Anreize solle es
geben. Konkret sieht er aber auch die Möglichkeit, Fachärztinnen und
-ärzten in die Notfallversorgung umzuleiten.

Ist die Reform fertig, wenn das Gesetz beschlossen ist?

Nein. Kombinieren will Lauterbach das mit Neuerungen im
Rettungsdienst. Hier sollen unter anderem bundesweit gleiche
Standards eingeführt werden. Doch manche zweifeln, dass das alles so
kommt. Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen
Brysch, spricht von hohen Erwartungen, die der Minister mit den
Notfallzentren wecke. «Doch das Konzept gleicht einer Operation am
offenen Herzen. Ob das passgenau gelingt, bleibt abzuwarten.» Die
Schnittstellen zwischen den Akteuren des komplexen Systems müssten
funktionieren. Dass das Gesundheitswesen wegen der einflussreichen
Akteure lange als kaum reformierbar galt, wissen der Minister und
sein Kritiker. Lauterbach will das Gesundheitssystem insgesamt
runderneuern. «Daher haben wir schon 15 Gesetze in dieser
Legislaturperiode gemacht, aber es stehen noch mindestens so viele
Gesetze an.»

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