Bürgerrechtler sehen russische Hochschulen unter Druck

Die Moskauer Führung erstickt wegen Ukraine-Krieges jede mögliche
Quelle von Kritik. Das gilt nach Einschätzung von Bürgerrechtlern
auch für die Hochschulen.

Berlin/Moskau (dpa) - Bürgerrechtler sehen durch die Repression in
Russland im Zuge des Angriffskriegs gegen die Ukraine auch
Universitäten und Hochschulen unter einem stärkeren politischen
Druck. Die Organisation Molnija, die sich für die Rechte von
Studierenden einsetzt, verzeichnet seit Kriegsbeginn 2022 deutlich
mehr Fälle von Zwangsexmatrikulationen. Wegen Kritik am Krieg oder
wegen sonstiger politischer Motive würden Studenten und Studentinnen
aus den Hochschulen entfernt. Eine Studie zur Hochschulfreiheit in
Russland listet für 2023 mehrere Fälle auf, bei denen auch Dozenten
aus politischen Gründen entlassen oder bestraft wurden. Genaue Zahlen
über die Entwicklung von Hochschulverweisen aus politischen Gründen
gibt es allerdings nicht. 

In Russland lernen nach offiziellen Angaben etwa 4,3 Millionen
Studierende an rund 1.000 Unis und Hochschulen. Die Hochschulen seien
einer der empfindlichsten Bereiche der Gesellschaft, sagte die
Journalistin Wera Ryklina vom Medienprojekt «Strana i mir» bei einer
Veranstaltung der Deutschen Sacharow-Gesellschaft. Russland richte
sich auf einen langanhaltenden Konflikt mit dem Westen ein. An der
Hochschulpolitik lasse sich ablesen, welche Gesellschaft der
russische Staat unter Kremlchef Wladimir Putin anstrebe.

Wehrerziehung kehrt zurück 

Zu diesem Bild gehörten eine Militarisierung und ideologische
Indoktrinierung, erläuterte der exilierte russische Soziologe Dmitri
Dubrowski, ein Autor der Studie zur Hochschulfreiheit für das
Forschungszentrum Cisrus in den USA. Die Militärausbildung sei
zurückgekehrt, zur patriotischen Erziehung würden Fächer wie
«Grundlagen der russischen Staatlichkeit» oder «Religionen Russlands
»
eingeführt. Geheimdienstoffiziere rückten in Uni-Verwaltungen ein. 

Linientreue Studenten oder Dozenten durchforsteten die Konten ihrer
Kommilitonen oder Kollegen in sozialen Netzwerken auf abweichende
Meinungen, sagte Dubrowski. Von einem aktuellen Fall berichtete das
russische Exilmedium «The Insider» Mitte Juli: Demnach sei der Dozent
Nikolai Rosow als Mitarbeiter des Philosophie-Instituts der
Universität Nowosibirsk entlassen worden - ein Kollege habe ihn wegen
angeblich «radikalen Westlertums» denunziert.

Partner sind ausländische Agenten

Mehrere als liberal geltende Fakultäten und Privathochschulen wurden
geschlossen. Die Vielfalt der Lehre an russischen Hochschulen leide
auch darunter, dass viele Dozenten und Organisationen als sogenannte
ausländische Agenten eingestuft seien, sagte Dubrowski. Im Extremfall
seien akademische Partner als unerwünscht gebrandmarkt worden - dies
gilt zum Beispiel für das Deutsche Historische Institut (DHI) in
Moskau. Das bedeutet, dass die Zusammenarbeit mit ihnen als strafbar
gilt. Als Sonderfall beim Vorgehen gegen die Hochschulen nannte er
Anschuldigungen von Landesverrat oder Spionage, die in mehreren
Fällen gegen Wissenschaftler aus militärtechnisch relevanten Fächern

erhoben wurden.

Rauswurf wegen Teilnahme an Demonstrationen

Studierende würden oft von der Hochschule verwiesen, wenn sie an
nicht genehmigten Demonstrationen teilnehmen, berichtet die
Organisation Molnija. Begründet werde dies mit einem Verstoß gegen
die Verhaltensregeln der Hochschule. Gefährdet seien vor allem
Studierende, die sich sozial oder gewerkschaftlich engagieren oder
journalistisch arbeiten. Demonstrationen werden in Russland immer
noch unter Verweis auf den Schutz vor Corona untersagt.

Molnija verweist darauf, dass in den Jahren vor dem Krieg jeweils nur
eine Handvoll Fälle von Hochschulverweisen aus politischen Gründen
bekanntgeworden waren. In den Kriegsjahren 2022 und 2023 seien es
gleich mehrere Dutzend gewesen. Entlassene Studenten seien weitgehend
ungeschützt, sagte eine Juristin von Molnija anonym bei der
Sacharow-Gesellschaft. Sie hätten keine Arbeit, staatliche Stellen
lehnten den Kontakt mit ihnen ab, ihnen drohe die Einberufung zum
Wehrdienst. Tausende kritische Studenten und Dozenten haben sich
wegen des Krieges ins Ausland abgesetzt.

 

 

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