Blauzungenkrankheit - Virus-Tsunami trifft Schafe und Rinder Von Annett Stein, dpa

Für Menschen ist sie ungefährlich - für Tiere aber bedeutet sie viel

Leid: Die Blauzungenkrankheit bereitet Landwirten gerade große Sorgen
- und wird so schnell nicht wieder verschwinden.

Berlin (dpa) - Die für Schafe und Rinder gefährliche
Blauzungenkrankheit breitet sich in Deutschland zunehmend aus. Die
Fallzahlen explodieren gerade regelrecht, wie es vom
Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) auf der Insel Riems heißt. Der
Grund ist demnach, dass die krankheitsübertragenden Mücken seit
Wochen zahlreich vorhanden und sehr aktiv sind.

Binnen nur zehn Monaten hat sich der Erreger in ganz Deutschland
ausgebreitet. Nachdem am Freitag noch Sachsen hinzukam, gab es nur
noch in Berlin bisher keine erfassten Fälle, wie das FLI mitteilte.

Um was für einen Erreger handelt es sich?

Es handelt sich um ein Virus, das Blauzungenvirus, kurz BTV. Vor
allem Schafe und Rinder infizieren sich damit, auch südamerikanische
Kamelarten, Ziegen und Wild-Wiederkäuer sind empfänglich. Das Virus
existiert in mehr als 20 verschiedenen Varianten, Serotypen genannt.
Aktuell kursiert in Deutschland und anderen europäischen Ländern der
Typ BTV-3.

Wie stecken sich Schafe und Kühe an?

Die meisten BT-Viren werden durch blutsaugende Mücken aus der Gruppe
Culicoides übertragen, sehr kleine Mücken, die zu den Gnitzen
gehören. Sie vermehren sich vor allem in der warmen Jahreszeit bei
feuchtwarmem Wetter.

Laut einem Beitrag im Fachmagazin «Science» können die Mücken
innerhalb weniger Tage mehrere Kilometer weit fliegen - bei
Rückenwind sogar hunderte Kilometer. Auch der Transport von kranken
Tieren kann zur Verbreitung des Virus beitragen.

Nach der Übertragung durch den Stich einer infizierten Gnitze
vermehrt sich das Virus in bestimmten Lymphknoten. Erkrankte Tiere
sind in der Regel lebenslang immun. Einmal mit der jetzt kursierenden
Variante infizierte Tiere erkranken also nicht erneut daran - an
anderen Serotypen allerdings schon.

Wie gefährlich ist das Virus für Menschen?

Gar nicht, wie das Friedrich-Loeffler-Institut betont. Der Erreger
ist nicht auf Menschen übertragbar. Auch Fleisch und Milchprodukte
für Blauzungenkrankheit empfänglicher Tiere können bedenkenlos
konsumiert werden.

Wie geht es erkrankten Tieren?

Die Blauzungenkrankheit ist sehr schmerzhaft und kann - je nach
Serotyp unterschiedlich häufig - zum Tod führen. Insbesondere Schafe
haben oft starke Schmerzen im Maul und lahmen, wie es vom FLI heißt.
Die namensgebende Verfärbung der Zunge hingegen ist eher selten. Bei
Rindern verläuft die Krankheit deutlich milder.

Nach Daten aus den schon länger betroffenen Niederlanden sterben bei
der derzeit in Europa kursierenden Variante BTV-3/NET2023 im Mittel
ein Viertel der Tiere in Schafhaltungen - deutlich mehr als bei
anderen Varianten. In manchen Betrieben verendeten sogar mehr als 70
Prozent der kranken Tiere. Auch bei Rindern ist die Sterblichkeit den
Daten zufolge erhöht, bei Milchvieh kann die Milchleistung deutlich
zurückgehen.

Wie ist die Lage aktuell?

In den vergangenen Tagen wurden aus immer mehr Bundesländern Fälle
gemeldet. Wurden vom FLI im Juni noch 13 betroffene Tierhaltungen
deutschlandweit erfasst, waren es im Juli schon mehr als 1.200. Und
allein bis zum 23. August wurden bereits mehr als 4.800 betroffene
Betriebe gemeldet.

Im Laufe des Jahres sei weiter mit immer mehr Fällen und mehr
betroffenen Betrieben zu rechnen, heißt es von dem für Tierseuchen
zuständigen Bundesinstitut. Und: «Auf jeden Fall wird uns BTV-3 auch
noch im kommenden Jahr beschäftigen.»

Insgesamt gibt es nach Angaben des Deutschen Bauernverbandes rund
10,6 Mio. Rinder (Stand Mai) in Deutschland, davon rund 3,7 Millionen
Milchkühe. In Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen,
Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein stehen demnach zusammen
über 75 Prozent der Rinder.

Wie ungewöhnlich ist so ein Tsunami an Neuinfektionen?

Die Verbreitung der Blauzungenkrankheit des Serotyps 3 verläuft dem
FLI zufolge sehr ähnlich der von Serotyp 8 im Jahr 2007. Auch da
zeigte sich, dass sich der Erreger sehr rasch ausbreiten kann. Nach
moderatem Beginn steige die Zahl der Neuerkrankungen in der zweiten
Jahreshälfte klassischerweise plötzlich steil an und falle erst zum
Ende des Jahres wieder ab - abhängig von Auftreten und Aktivität der
Überträgermücken.

Woher kommt die Variante BTV-3/NET2023?

Vermutet wird ein Ursprung im südlichen Afrika - das sei bisher aber
weder bestätigt noch widerlegt, heißt es vom FLI. Deutliche
Unterschiede zu allen bisher bekannten BTV-3 Ausbrüchen in Europa
weisen jedenfalls auf einen weit entfernten Ursprungsort hin.

Wahrscheinlich ist dem Bundesinstitut zufolge ein Eintrag über den
globalen Handel. Nicht zwingend mit Schafen oder Kühen: Infizierte
Gnitzen könnten auch mit Materialien eingeschleppt worden sein.

In den Niederlanden sei die Variante erstmals im September 2023
aufgetreten und habe sich rasant ausgebreitet. Im Oktober 2023 sei
die erste Infektion in Deutschland bestätigt worden, bei einer
Schafhaltung in Nordrhein-Westfalen.

Generell gilt Experten zufolge, dass der Klimawandel Ausbrüche der
Krankheit begünstigt, weil sie Gnitzen eine leichtere Überwinterung
und davon ausgehend eine schnellere Ausbreitung in den Monaten darauf
ermöglicht. Zudem begünstigen höhere Temperaturen die Vermehrung des

Erregers in den Gnitzen.

Was bedeutet die Seuche für Landwirte?

Aufgrund der Ausbrüche wurde der Status «frei von der
Blauzungenkrankheit» für Deutschland ausgesetzt. Tiere aus
betroffenen Gebieten dürfen dem FLI zufolge nur nach Testung und
Behandlung mit Insektiziden in BTV-freie Gebiete gebracht werden. Das
könne den Handel deutlich erschweren.

«Seitdem alle Bundesländer von der Seuche betroffen sind, sollte der
Handel innerhalb Deutschlands wieder ohne besondere Auflagen möglich
sein», hieß es vom Bauernverband. Der Handel mit BTV-freien Regionen
in der EU sei allerdings stark eingeschränkt beziehungsweise an
Auflagen gebunden.

Hinzu kommen für Landwirte die Verluste durch die verminderte
Milchleistung und verendete Tiere. Während der BTV-8-Epidemie hatten
die deutschen Tierseuchenkassen im Jahr 2007 Entschädigungen für
33.233 tote Schafe und 10.240 Rinder gezahlt, wie es beim FLI heißt.

Lässt sich gegensteuern?

Auf Basis einer Eilverordnung ist die Anwendung dreier
BTV-3-Impfstoffe gestattet. Damit lassen sich die Symptome und die
Virusvermehrung im Tier vermindern, wie es vom FLI heißt. Ein
vollständiger Schutz wird durch die Impfung nicht erreicht, auch
geimpfte Tiere können erkranken.

Eine Impfung sei der einzig mögliche Schutz für die Tiere, betont das
FLI. Bei einer freiwilligen Impfung, die von den Tierhaltern meist
selbst bezahlt werden muss, sei die Akzeptanz allerdings deutlich
niedriger als bei einer verpflichtenden Impfung, die meist von der
Tierseuchenkasse getragen werde.

«Die Impfungen werden verbreitet genutzt», heißt es vom
Bauernverband. Für die früh betroffenen Regionen hätten sie aber zu
spät zur Verfügung gestanden. Wie umfassend es nun gelingt, die
Tierbestände mit einer Impfung zu schützen, werde ein wichtiger
Faktor dafür sein, wie lange sich die Epidemie noch hinziehe.

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