Experten: 0,8 Prozentpunkte mehr Krankenkassenbeitrag Von Jörg Ratzsch, dpa
Die Kosten im Gesundheitssystem steigen von Jahr zu Jahr. Und immer
im Herbst stellt sich deshalb die Frage: Wie sehr ziehen die
Krankenkassenbeiträge nächstes Jahr an? Die Antwort diesmal:
Deutlich.
Berlin/Bonn (dpa) - Die Krankenversicherung könnte für viele
gesetzlich Versicherte im kommenden Jahr spürbar teurer werden.
Experten des sogenannten Schätzerkreises haben für das
Bundestagswahljahr 2025 eine rechnerisch nötige Beitragssatzerhöhung
um 0,8 Punkte auf 2,5 Prozent vom beitragspflichtigen Einkommen
ermittelt, wie das Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) in Bonn
mitteilte. «Politico» hatte zuvor berichtet. Bei dem Wert handelt es
sich allerdings nur um eine theoretische Größe. Wie sehr der
Beitragssatz dann wirklich steigt, entscheidet jede Krankenkasse für
sich.
Im Schätzerkreis sitzen Fachleute des Bundesgesundheitsministeriums,
des BAS und des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenkassen (GKV).
Zusatzbeitrag aktuell zwischen 0,7 und 3,28 Prozent
Konkret geht es um den Anstieg des sogenannten Zusatzbeitrages. Alle
gesetzlich Versicherten haben den festen Beitragssatz von 14,6
Prozent - zur Hälfte getragen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern.
Darüber hinaus erheben die aktuell 95 gesetzlichen Kassen zur
Kostendeckung einen Zusatzbeitrag, der ebenfalls hälftig von beiden
Seiten gezahlt wird.
Der Zusatzbeitrag ist unterschiedlich und liegt laut einer ständig
aktualisierten GKV-Liste im Moment zwischen 0,7 und 3,28 Prozent.
Eine Kasse ist darunter, die keinen Zusatzbeitrag erhebt. Der
durchschnittlich von den Krankenkassen erhobene Zusatzbeitragssatz
lag im August bei 1,78 Prozent, wie das Bundesgesundheitsministerium
mitgeteilt hatte.
Bei 3.000 Euro brutto 12 Euro weniger netto
Die Prognose des Schätzerkreises ist nach GKV-Angaben eine
theoretische Größe, die sich aus dem Verhältnis von laufenden
Einnahmen und Ausgaben der Krankenkassen insgesamt ergibt. Die
Ausgaben der Krankenkassen im Jahr 2025 werden demnach mit 341,4
Milliarden Euro veranschlagt. Auf Basis dieser Schätzung gibt das
Gesundheitsministerium bis zum 1. November einen durchschnittlichen
Zusatzbeitrag für das kommende Jahr bekannt. Die genaue Höhe legen
die Krankenkassen dann aber jeweils für sich fest.
Deshalb lassen sich jetzt noch keine genauen Angaben zur
tatsächlichen Höhe der Kosten für den Einzelnen machen. Rechnerisch
würde eine Erhöhung um 0,8 Prozentpunkte bei einem Einkommen von
3.000 Euro brutto im Monat 12 Euro weniger netto bedeuten - die
anderen 12 zahlt der Arbeitgeber. Erhöht eine Kasse den
Zusatzbeitragssatz, haben die Mitglieder ein Sonderkündigungsrecht.
Kassen warnen immer wieder vor Finanzlücke
Die Kassen hatten schon Anfang September gewarnt, dass ihre Ausgaben
im ersten Halbjahr noch stärker gestiegen seien als im ersten
Quartal. Das Defizit sei auf mehr als 2 Milliarden Euro angewachsen
und werde im Gesamtjahr bis zu 4,5 Milliarden Euro erreichen.
Für eine auskömmliche Finanzierung hätte der Zusatzbeitrag für das
laufende Jahr im Herbst letzten Jahres nicht bei geschätzten 1,7,
sondern bei 2 Prozent liegen müssen, kritisierte der
GKV-Spitzenverband. Er hatte außerdem mitgeteilt, dass er für 2025
von einem Zusatzbeitragssatz von mindestens 2,3 Prozent ausgeht.
Lauterbach: Deutsches Gesundheitssystem das teuerste in Europa
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) teilte in einer
ersten Reaktion mit: «Das deutsche Gesundheitswesen ist das teuerste
in Europa, weil es in vielen Bereichen
nicht effizient ist.»
Eine wesentliche Ursache für die steigenden Kassenbeiträge seien im
Rekordtempo steigende Ausgaben für Krankenhäuser. «Deswegen brauchen
wir die Krankenhausreform». Diese soll am Donnerstag im Bundestag
beschlossen werden und die Finanzierung der Kliniken im Land auf eine
neue Grundlage stellen. Die Prognose des Schätzerkreises zeige die
Notwendigkeit der von der Bundesregierung eingeleiteten
Strukturreformen, sagte Lauterbach.
Ausgaben für Krankenhäuser und Medikamente steigen weiter
Nach Angaben des Gesundheitsministeriums lagen die Ausgaben der
Kassen im ersten Halbjahr bei 161,3 Milliarden Euro - ein Plus von
7,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.
Die Ausgaben für Krankenhausbehandlungen seien in den ersten sechs
Monaten um 3,6 Milliarden Euro gestiegen und stellten damit einen
maßgeblichen Treiber der hohen Ausgabendynamik dar, hieß es im
September vom Ministerium. Steigende Fallzahlen und steigende
Pflegepersonalkosten werden unter anderem als Gründe genannt.
Außerdem seien die Ausgaben für Arzneimittel im ersten Halbjahr um 10
Prozent (2,5 Milliarden Euro) gestiegen.
Kassenbeiträge steigen, Steuern sinken
Nicht nur die Krankenkassenbeiträge steigen voraussichtlich an, auch
die Pflegeversicherung hat Finanzprobleme. Wie kürzlich berichtet
wurde, wird hier in der Regierung von einem Erhöhungsbedarf des
Beitragssatzes von 0,25 bis 0,3 Punkten ausgegangen.
Auf der anderen Seite sind aber Entlastungen bei der Einkommensteuer
geplant. Der sogenannte Grundfreibetrag - also der Teil des
Einkommens, der nicht besteuert wird - steigt im kommenden Jahr. Um
wie viel genau ist in der Regierung noch umstritten.
«Bild» hatte unter Berufung auf eine Berechnung des Bundes der
Steuerzahler berichtet, dass Pläne, die Finanzminister Christian
Lindner (FDP) dazu vorgelegt hat, für einen Single mit 3.000 Euro
brutto im Monat etwa 11,40 Euro mehr netto bedeuten würden. Für eine
Vier-Personen-Familie mit 6.000 Euro brutto pro Monat wären es
demnach 23,50 Euro monatlich mehr.
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