Notfallpraxen: Lucha hält Schließungspläne für rechtens

Die Kassenärztliche Vereinigung will mehrere Notfallpraxen im
Südwesten schließen. Die Kritik daran reißt nicht ab. Nun meldet sich

auch der Gesundheitsminister zu Wort.

Stuttgart (dpa/lsw) - Das Thema sorgt seit Tagen für Aufregung in
weiten Teilen des Landes: Nach massiver Kritik an der geplanten
Schließung weiterer Notfallpraxen hat Baden-Württembergs
Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) Aufforderungen zum
Einschreiten zurückgewiesen. «Die Rechtsaufsicht kann nicht einfach
so etwas stoppen», sagte Lucha einer Mitteilung zufolge. Mit den
Forderungen danach würden wider besseren Wissens in der Bevölkerung
Erwartungen geschürt, «die jeglicher rechtlichen Grundlage
entbehren». So gebe es etwa keine konkreten Hilfsfristen und auch
keine Vorgaben zur Erreichbarkeit von Bereitschaftspraxen. 

Aus Sicht von Lucha sind die Pläne der Kassenärztlichen Vereinigung
(KVBW) zudem rechtlich nicht zu beanstanden. Formal gesehen, sei es
deren gutes Recht, die Bereitschaftsdienste neu zu strukturieren.
«Die Auswahl- und Entscheidungskriterien des Standortkonzepts
verstoßen bei dem, was dem Sozialministerium bisher bekannt ist, aus
rechtsaufsichtlicher Sicht nicht gegen Recht und Gesetz», sagte der
Minister. 

Er habe die KVBW bereits vor Monaten dazu aufgefordert, dass dort, wo
ein Angebot wegfallen werde, gute Alternativen entstehen müssten, so
Lucha. Konkret müssten an den verbleibenden Standorten zusätzliche
Kapazitäten aufgebaut, das telemedizinische Angebot massiv ausgebaut
und ausreichende Kapazitäten für den Fahrdienst geschaffen werden. 

Mehr digitale Angebote: «Daran werden wir uns gewöhnen müssen»

Der Minister betonte aber auch, dass im Land derzeit rund 1.000
Arztsitze unbesetzt seien und in den nächsten zehn Jahren die
geburtenstärksten Jahrgänge der Ärzteschaft in den Ruhestand gingen.

«Das heißt, weniger Ärzte müssen künftig dafür sorgen, dass die

medizinische Versorgung im Land gesichert bleibt», sagte Lucha. Schon
jetzt könne man deswegen sagen: «Für die Zukunft der medizinischen
Versorgung gilt der Grundsatz: digital vor ambulant vor stationär.
Daran werden wir uns alle gewöhnen müssen», so Lucha.

In einem Brief hatten 18 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister zuvor
Lucha aufgefordert, gegen die Schließungspläne vorzugehen. Auch der
CDU-Minister für den ländlichen Raum, Peter Hauk, hatte Lucha
aufgefordert, tätig zu werden. 

«Wir erwarten, dass Sie sich jetzt rasch der Sache annehmen und nicht
länger untätig zusehen, wie die Kassenärztliche Vereinigung den
funktionierenden ärztlichen Bereitschaftsdienst in unseren Städten
und Gemeinden an die Wand fährt», schreiben die Bürgermeister an den

Minister. Die von der KVBW zugrunde gelegten Kriterien für die
Schließungen seien «nicht nachvollziehbar und gesamtpolitisch
alarmierend».

Bürgermeister laufen Sturm gegen geplante Schließungen

Anlass der Kritik sind Pläne der Kassenärztlichen Vereinigung, die
Zahl der Notfallpraxen im Südwesten weiter zu verringern. Nach
dpa-Informationen geht es um 17 weitere Standorte. Weil zudem auch
die Stadt Tettnang (Bodenseekreis) fürchtet, dass die dortige
Notfallpraxis geschlossen werden könnte, haben den Brief 18
Bürgermeisterinnen und Bürgermeister unterzeichnet. Acht Praxen hatte
die KVBW bereits im Laufe des Jahres dauerhaft geschlossen. Auslöser
für die Pläne zu einer Neustrukturierung des Bereitschaftsdienstes
war ein Gerichtsurteil.

Wie die dpa erfuhr, soll künftig unter anderem die Regelung gelten,
dass mindestens 95 Prozent der Menschen im Südwesten innerhalb von 30
Fahrminuten eine Notfallpraxis erreichen können. Alle anderen sollen
maximal 45 Minuten fahren müssen.

Die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister kritisieren diese Regelung
scharf. Man wisse, dass die KVBW dieses Kriterium nur nachweisen
könne, wenn der Weg mit dem Auto und ohne Verkehrsbeeinträchtigungen
zurückgelegt werde. «Dies ist eine massive Benachteiligung der
älteren und wenig begüterten Bevölkerungsteile, die kein Auto (mehr)

haben», heißt es in dem Schreiben an Lucha.

Bürgermeister: Notfallversorgung muss auch für Menschen ohne Auto
funktionieren

Die Fahrzeit müsse auch für den ÖPNV gelten. «Denn wir sind uns doc
h
sicher einig, dass Notfallversorgung nicht nur für Autofahrer,
sondern auch für Menschen ohne Kfz funktionieren muss.»

Offiziell sind die Pläne zur Neustrukturierung des
Bereitschaftsdienstes noch nicht vorgestellt worden. Für Montag hat
die KVBW zu einer Pressekonferenz eingeladen, bei der sie das Konzept
vorstellen möchte. Das detaillierte Konzept mit konkreten
Öffnungszeiten und der geplanten Ausstattung und Kapazitäten werde
für Ende Oktober oder Anfang November erwartet, sagte Lucha.

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