Was die Großoperation bei den Kliniken bringt Von Jörg Ratzsch und Sascha Meyer, dpa
Der Name soll Programm sein: Das
«Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz» nimmt die wichtigste
Hürde im Parlament. Dabei geht es um einen längeren Umbau. Was heißt
das für Patienten?
Berlin (dpa) - Der Anlauf begann am Nikolaustag 2022, als eine
Kommission Empfehlungen vorlegte. Fast zwei Jahre später hat der
Bundestag eine grundlegende Neuaufstellung der Kliniken in
Deutschland beschlossen. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD)
spricht von einer «Revolution» und der größten Reform seit 20 Jahre
n.
Die Ziele: weniger Finanzdruck und mehr Spezialisierung bei
komplizierteren Eingriffen. Doch unumstritten sind die Pläne bei
weitem nicht. Was bedeutet die Großoperation für die Patientinnen und
Patienten?
Wofür braucht es überhaupt eine Reform?
Deutschland hat nach Experteneinschätzung im Vergleich zu
Nachbarländern zu viele Kliniken. Es gibt große Probleme: finanzielle
Schwierigkeiten, Personalengpässe, ein Drittel der 480.000 Betten
sind laut Gesundheitsministerium nicht belegt.
Lauterbach sieht die Reform denn auch als eine Notbremse: Ohne
Änderungen drohten Klinik-Insolvenzen, schlechte Behandlung und weite
Wege. Dabei sei klar, dass Deutschland nicht den medizinischen Bedarf
und nicht das Personal für 1.700 Krankenhäuser habe. Ziel sei daher,
den wirklich benötigten Häusern eine auskömmliche wirtschaftliche
Basis zu sichern.
Welche Fehlanreize gibt es bisher?
Aktuell bekommen Kliniken pro Patient oder Behandlungsfall einen
pauschalen Euro-Betrag (Fallpauschale). Das führt laut Lauterbach zu
einem «Hamsterrad-Effekt», möglichst viele Behandlungen auf möglich
st
günstige Weise zu machen, oder schafft sogar Anreize zu unnötigen
Behandlungen. Als Beispiel wird gern die Knieprothese genannt, die
eingebaut wird, wo es vielleicht gar nicht nötig ist.
Dem Gesetzentwurf zufolge besteht auch ein Risiko, dass manche
Kliniken schwierige Behandlungen vornehmen, für die ihnen die
Erfahrung fehlt, oder vermeintlich weniger lukrative medizinische
Leistungen nicht mehr anbieten.
Wie soll das abgestellt werden?
Das vor 20 Jahren eingeführte Vergütungssystem der Fallpauschalen
soll grundlegend geändert werden. Künftig soll es einen festen Sockel
von 60 Prozent der Vergütung schon allein dafür geben, dass Kliniken
eine Grundausstattung mit Personal und Geräten für bestimmte
Leistungen vorhalten, unabhängig von der Zahl der Fälle.
Die Feuerwehr werde ja auch nicht nur bezahlt, wenn es brenne,
argumentierte die Kommission, die Vorschläge für die Reform
erarbeitete. Extra-Vergütungszuschläge geben soll es für Kliniken mit
Kinderheilkunde, Geburtshilfe, Intensiv- und Unfallmedizin,
speziellen Schlaganfall-Stationen und Notfallversorgung.
Was soll sich bei der Behandlungsqualität tun?
Die neue Fix-Vergütung soll eine Klinik für «Leistungsgruppen»
bekommen, die ihr das Land zuweist. Sie bilden medizinische
Leistungen ab, und zwar präziser gefasst als grob benannte
Fachabteilungen. Ausgangspunkt sollen 65 Gruppen sein, die maßgeblich
auf ein Modell aus Nordrhein-Westfalen zurückgehen - etwa «OPs an der
Wirbelsäule» oder «Leukämie».
Mit definiert werden jeweils einheitliche Qualitätsvorgaben zu
Fachpersonal und Ausstattung. Lauterbach machte wiederholt klar, da
keine Abstriche zu machen. Denn dies soll bewirken, dass etwa
Krebsbehandlungen in Kliniken mit Spezialkenntnissen gemacht werden.
Was bedeutet das für das Netz der Kliniken?
Steuern sollen den Wandel die für die Krankenhausplanung zuständigen
Länder. Sie könnten etwa sagen, ob es in einer Region zwei oder vier
Standorte für Wirbelsäulenchirurgie gebe, erläuterte Lauterbach. Die
neue Vorhaltevergütung soll eine Existenzsicherung gerade für
kleinere Häuser auf dem Land schaffen. Generell sollen
Qualitätskriterien auch in Kooperationen zu erfüllen sein.
Die Länder sollen Standorte zudem zu «sektorenübergreifenden
Versorgungseinrichtungen» erklären können, die «wohnortnah»
stationäre Behandlung mit ambulanten und pflegerischen Leistungen
verbinden, wie es im Entwurf heißt. In Gebieten, in denen Praxen von
Fach- und Hausärzten fehlen, sollen Patientinnen und Patienten so
künftig für solche Behandlungen auch ins Krankenhaus gehen können.
Sind Finanzhilfen geplant?
Das Gesetz sieht Finanzspritzen vor. So sollen Kostensteigerungen der
Kliniken unter anderem bei den Tariflöhnen aller Beschäftigten schon
von diesem Jahr an nicht mehr nur zur Hälfte, sondern voll von den
Krankenkassen finanziert werden. Um den großen Wandel zu den neuen
Strukturen zu unterstützen, soll zudem ein «Transformationsfonds»
kommen, aus dem von 2026 bis 2035 bis zu 25 Milliarden Euro fließen
könnten - sofern sich Länder in jeweils gleicher Höhe beteiligen.
Kommen soll das Geld aus Mitteln der gesetzlichen Kassen und -
entsprechend ihrem Anteil an den Behandlungen - der privaten
Krankenversicherungen.
Lohnt sich der große Umbau?
Im Entwurf weist das Ministerium auf «Effizienzgewinne und
Minderausgaben» durch eine stärker koordinierte, hochwertigere
Versorgung hin. Die Jahresausgaben der gesetzlichen Kassen für
Kliniken stiegen zuletzt schon auf 94 Milliarden Euro. Das war ein
Drittel der gesamten Leistungsausgaben.
Die Kassen unterstützen eine stärkere Spezialisierung für mehr
Qualität - warnen aber vor einer weiteren «Kostenlawine» in einer
ohnehin angespannten Finanzsituation. Die Kliniken und die Länder
fordern auch schnellere Finanzspritzen, da manche Krankenhäuser die
erst in einigen Jahren greifende Reform sonst gar nicht mehr
erreichen könnten.
Wie geht es weiter?
Die Ampel-Koalition steht bei der Reform zusammen, wie Lauterbach
gern betont. Mit den Ländern köchelt aber weiter Streit - und
abschließend durch den Bundesrat muss das Gesetz noch. Dabei ist es
nicht mehr so angelegt, dass es dort zustimmungsbedürftig ist. Die
Länderkammer könnte es aber in den gemeinsamen Vermittlungsausschuss
mit dem Parlament schicken und so ausbremsen.
In Kraft treten soll die Reform zum 1. Januar 2025. Umgesetzt werden
soll die neue Struktur dann nach und nach bis 2029. Vorgesehen ist,
dass die Länder bis Ende 2026 ihren Kliniken die jeweils vorgesehenen
Leistungsgruppen zuweisen. Die Finanzierung soll dann 2027 und 2028
schrittweise auf das neue System umgestellt werden, wie das
Ministerium erläutert.
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