100 Jahre Deutscher Ärztinnenbund - Parität bleibt das Ziel Von Mia Bucher, dpa
Obwohl mehr Frauen als Männer heute Medizin studieren, sind sie in
Spitzenpositionen noch deutlich in der Unterzahl. Der Deutsche
Ärztinnenbund möchte das ändern - und hat konkrete Ideen.
Berlin (dpa) - Von den rund 428.000 berufstätigen Ärztinnen und
Ärzten in Deutschland ist heute fast die Hälfte weiblich. Ein
riesiger Fortschritt im Vergleich zum Jahr 1924, als es
deutschlandweit gerade einmal 2.500 Ärztinnen gab. Jahrzehntelang war
Frauen ein Medizinstudium verwehrt geblieben - man hielt sie für
unfähig, außerdem passte es nicht in die traditionelle
Rollenverteilung von Männern und Frauen.
Doch Gleichberechtigung gab es auch mit dem Zugang zum Medizinstudium
Anfang des 20. Jahrhunderts noch lange nicht. Das wollten einige
Medizinerinnen ändern und gründeten am 25. Oktober 1924 den Bund
Deutscher Ärztinnen (BDÄ). Dieses Jahr feiert der Verband, der
mittlerweile Deutscher Ärztinnenbund (DÄB) heißt, sein 100.
Gründungsjahr. Der BDÄ wurde 1936 aufgelöst, 1950 gab es die
Neugründung als DÄB.
«Seither und seit der Neugründung hat sich für die Ärztinnen und
Zahnärztinnen sehr viel verändert», schreibt DÄB-Präsidentin
Christiane Groß in der aktuellen Jubiläumszeitschrift. Der Verband
setzte sich Mitte des 20. Jahrhunderts dafür ein, dass Medizinerinnen
sich als Kassenärztin niederlassen können.
Er trieb die Veränderung des Mutterschutzgesetzes mit voran, wirkte
mit darauf hin, dass das Praktische Jahr am Ende des Medizinstudiums
in Teilzeit absolviert werden kann und kämpft bis heute für die
Legalität von Abtreibung. Auch die Beachtung der biologischen
Unterschiede von Mann und Frau für die Erforschung und Behandlung von
Krankheiten spielt für die Ärztinnen eine wichtige Rolle.
Wenige Ärztinnen in Spitzenpositionen
Trotz der Errungenschaften: Parität herrscht aus Sicht von
DÄB-Vizepräsidentin Barbara Puhahn-Schmeiser noch lange nicht.
«Frappierend an der Medizin ist, dass es so viele Frauen unter den
Medizinstudierenden gibt, aber nur so wenige in Führungspositionen»,
sagt die Ärztin, die Neurochirurgin am Universitätsklinikum Freiburg
ist.
Der Anteil der Medizinstudentinnen liege bei mehr als 60 Prozent. Die
wichtigsten klinischen Spitzenpositionen an den Universitätskliniken
waren im Jahr 2022 allerdings nur zu 13 Prozent von Frauen besetzt,
wie eine Auswertung des DÄB ergab. Damit gemeint sind
Klinikdirektorinnen, die zugleich Lehrstuhlinhaberinnen sind.
«Das sind Schlüsselpositionen für die Weiterentwicklung der
klinischen Medizin», betont Ärztin und DÄB-Mitglied Gabriele
Kaczmarczyk, die für die Auswertung verantwortlich ist. «Dass die mit
einem Anteil von 87 Prozent von Männern besetzt sind, geht einfach
nicht.» Eine aktuelle Auswertung solle zum Ende des Jahres
erscheinen. Es deute sich aber an, dass es keinen großen Schritt nach
vorn gegeben habe, sagt Kaczmarczyk.
Nur knapp jede dritte Führungskraft weiblich
Laut Statistischem Bundesamt war im vergangenen Jahr nur knapp jede
dritte Führungskraft (28,7 Prozent) in Deutschland weiblich. Zu den
Führungspositionen zählen Vorstände und Geschäftsführerinnen sowi
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Führungskräfte in Handel, Produktion und Dienstleistungen. Der
Frauenanteil habe sich in den vergangenen Jahren kaum verändert.
In den Krankenhäusern sei daran sowohl eine strukturelle als auch
eine subtile Diskriminierung von Ärztinnen Schuld, meint Kaczmarczyk.
Bewerbungen von Ärztinnen mit Kindern würden zum Teil abgeschmettert,
die Arbeitszeiten seien unflexibel und die Kinderbetreuung an vielen
Universitätskliniken verbesserungswürdig.
Hinzu komme: «Die Berufungskommissionen sind überwiegend mit Männern
besetzt.» Die hätten oft wenig Verständnis dafür, dass Frauen häu
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viele zusätzliche Aufgaben neben dem Beruf haben und sich im
Durchschnitt deutlich mehr als Männer um die Sorgearbeit kümmern.
Strukturelle und subtile Diskriminierung
«Die subtile Diskriminierung besteht oft darin, dass man Frauen den
Job nicht zutraut, vor allem in den operierenden Fächern»,
kritisierte die Wissenschaftlerin. In chirurgischen Fächern liegt der
Frauenanteil in Spitzenpositionen laut ihrer Untersuchung bei nur 5
Prozent.
Chirurgin Puhahn-Schmeiser hat sich eigenen Aussagen zufolge nie
durch männliche Ärzte diskriminiert gefühlt. «Es wurde jeder
gefördert, der viel gearbeitet hat und von morgens 7 bis abends um 22
Uhr auf Station war.» Sie habe ihre vier Kinder aber auch erst nach
der Habilitation bekommen. «Frauen gehen auf dem Weg zwischen
Promotion und Habilitation verloren.» Häufig seien sie zu dem
Zeitpunkt zwischen 30 und 40 Jahre alt und starteten mit der
Familienplanung.
«Als ich schwanger war, bin ich sofort aus dem OP rausgeflogen.»
Sie ärgere sich darüber, dass schwangere Ärztinnen oft nicht weiter
mit Patienten arbeiten dürften. «Als ich schwanger war, bin ich
sofort aus dem OP rausgeflogen.» Zum Teil erteilten Chefärzte
schwangeren Ärztinnen aus Unsicherheit über den richtigen Umgang mit
dem Mutterschutzgesetz ein Beschäftigungsverbot oder schlössen sie
von bestimmten Funktionsbereichen aus. Das sei ein Riesenproblem, da
es die Weiterbildung der Ärztinnen behindere.
Kaczmarczyk sagt, dass Frauen sich eine Führungsposition zum Teil
auch nicht zutrauten. «Das liegt auch an der enormen Belastung.» Man
sei verantwortlich für Administration, Lehre, Forschung und
Patientenversorgung. Die Arbeitstage seien lang. Dabei gebe es sehr
viele qualifizierte Oberärztinnen. «Viele sind Professorinnen, die
absolut das Zeug dazu haben, eine Spitzenposition einzunehmen.»
Mehr Teilzeitstellen an der Spitze gewünscht
Der DÄB fordert bis Mitte der 2030er Jahre Parität in allen
Führungsebenen der Medizin. Das Zauberwort dafür heißt laut
Kaczmarczyk «Topsharing», also das Teilen von Spitzenpositionen. Eine
Umfrage von ihr unter habilitierten Internistinnen aus dem Jahr 2020
habe ergeben, dass die überwiegende Mehrheit sich auf eine geteilte
Spitzenposition bewerben würde. Von solchen neuen Arbeitsmodellen
würden selbstverständlich nicht nur Frauen, sondern auch Männer
profitieren.
Mittlerweile gebe es immer mehr Klinken, die Teilzeitoptionen
ermöglichen, sagt Puhahn-Schmeiser. Familie und Job unter einen Hut
zu bringen sei unglaublich anspruchsvoll. Aber es lohne sich: «Ärztin
zu sein, ist ein unglaublich schöner Beruf.»
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