18 Notfallpraxen sollen schließen - massiver Protest
Schon seit einigen Tagen ist bekannt, dass im Südwesten Notfallpraxen
geschlossen werden sollen. Nun hat die Kassenärztliche Vereinigung
ihr Konzept vorgestellt - begleitet von großem Protest.
Stuttgart (dpa/lsw) - Draußen gibt es ein lautes Konzert aus
Trillerpfeifen und Pfiffen, drinnen bestätigt die Kassenärztliche
Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) auch offiziell, was die
Demonstranten seit Tagen befürchten: Die Zahl der Notfallpraxen im
Südwesten soll reduziert werden. 18 Standorte sollen geschlossen
werden, acht Praxen hatte die KVBW bereits im Laufe des Jahres
dauerhaft zugemacht. Umgesetzt werden sollen die Schließungen
schrittweise ab April 2025.
Als Grund dafür nannte die KVBW den Personalmangel unter
niedergelassenen Ärzten. Man habe schlicht und einfach ein
Personalproblem, sagte Karsten Braun, Vorstandsvorsitzender der KVBW.
Wenn man die Versorgung im Land verantwortungsvoll aufrechterhalten
wolle, müsse man sich auf die Regelversorgung fokussieren, also auf
die normalen Praxen. «Wenn wir den Bereitschaftsdienst nicht
anpassen, dann fahren wir die Regelversorgung im Land an die Wand.
Das ist nun mal die Realität», sagte Braun.
Künftig soll laut KVBW im Land gelten, dass 95 Prozent der Patienten
innerhalb von 30 Fahrminuten eine Notfallpraxis erreichen sollen,
alle anderen innerhalb von maximal 45 Minuten. Zudem sei vorgesehen,
dass es nur noch Standorte in Verbindung mit einem Krankenhaus mit
Notaufnahme gebe. Dort könne man leichter ein Röntgenbild anfertigen
oder auch Laborwerte erheben, hieß es.
Bestehende Standorte sollen gestärkt werden
Als Ersatz für die wegfallenden Standorte sollen die bleibenden
Praxen gestärkt werden. Dort sollen etwa, wenn der Bedarf da ist,
mehr Ärztinnen und Ärzte gleichzeitig Dienst haben. Damit könne ein
höheres Patientenaufkommen bewältigt werden und zugleich werde auch
die Qualität verbessert. Es gebe etwa viele Ärztinnen und Ärzte, die
wegen ihrer Fachrichtung mit bestimmten Erkrankungen wenig zu tun
hätten. «Wenn zusätzlich ein erfahrener Kollege oder eine erfahrene
Kollegin vor Ort ist, erleichtert dies den Dienst und verbessert die
Versorgung», sagte Doris Reinhardt, die stellvertretende KV-Chefin.
Einen wichtigen Baustein für die Versorgung sieht die KVBW auch die
Telemedizin. Man wisse, dass viele Fälle auch telemedizinisch ohne
eine Vorstellung in der Notfallpraxis abgearbeitet werden könnten, so
Reinhardt. Wichtig sei zudem die Notdienstnummer 116117. Die Nummer
werde künftig die zentrale Steuerungsstelle sein, um die Patienten
zur richtigen Versorgung zu leiten. Zudem solle der Fahrdienst
gestärkt werden - also Ärzte Hausbesuche machen.
Der ärztliche Bereitschaftsdienst hilft weiter, wenn der Hausarzt
nicht geöffnet hat - etwa bei einer schweren Erkältung, starken
Bauchschmerzen oder einer kleinen Schnittwunde. Die Notfallpraxen
leisteten eine Überbrückungsbehandlung, bis der Haus- oder Facharzt
am nächsten Tag wieder geöffnet habe, erklärte Reinhardt. Statistisch
gesehen nehme jede Person den Dienst etwa alle fünf bis sechs Jahre
in Anspruch.
Massiver Widerstand gegen die Pläne
Gegen die Pläne der Kassenärzte gibt es seit Tagen massiven
Widerstand. Bürgermeister, Landräte, Landesminister und
Oppositionspolitiker hatten von der Landesregierung gefordert, die
Pläne zu stoppen. Vor dem Gebäude der KVBW in Stuttgart protestierten
zudem mehrere Hundert Menschen gegen die Schließungspläne. Auf
Transparenten war zu lesen «Notfallpraxis schließen? Schande!» oder
«Notfallversorgung für alle - auch auf dem Land».
Der Oberbürgermeister von Backnang, Maximilian Friedrich (parteilos),
kritisierte bei der Kundgebung, dass seiner Stadt bei der Schließung
des örtlichen Krankenhauses versprochen worden sei, dass es dauerhaft
eine Notfallpraxis geben werde. Nun werde dieses Versprechen mit der
Schließung der Notfallpraxis gebrochen. «Das dürfen und können wir
uns nicht gefallen lassen», sagte er. Gesundheitsminister Manne Lucha
(Grüne) rief er dazu auf, seine Prüfmöglichkeiten auszuüben. «Die
KVBW darf doch kein Staat im Staate sein.»
Lucha sagte, es sei richtig und zukunftsweisend, dass die KVBW ein
neues Standortkonzept vorgelegt habe. «Wir müssen ehrlich sein zu den
Bürgerinnen und Bürgern und ihnen reinen Wein einschenken: Ohne
Veränderungen geht es angesichts knapper werdender personeller und
finanzieller Ressourcen nicht», sagte der Gesundheitsminister einer
Mitteilung zufolge.
Lucha: Können Verrentungswelle nicht ignorieren
Wenn man die ambulante Regelversorgung sichern wolle, brauche es eine
Neustrukturierung der Bereitschaftsdienste. «Wir können den
demografischen Wandel, die bevorstehende Verrentungswelle in der
Ärzteschaft und den zunehmenden Wunsch nach Teilzeitarbeit bei
Medizinern sowie den zunehmenden Ärztemangel schlicht nicht
ignorieren.»
Die Kassenärztliche Vereinigung sieht keinen Änderungsbedarf mehr an
ihrem Standortkonzept. Das sei so von der Vertreterversammlung
beschlossen und verabschiedet worden, sagte Braun. Man könne aber
noch Anpassungen bei der Besetzung der Standorte oder auch beim
Fahrdienst vornehmen.
Das letzte Wort ist bei dem Thema aber noch nicht gesprochen. Am
Mittwoch beschäftigt sich auch der Sozialausschuss des Landtags in
einer öffentlichen Sitzung mit den Schließungsplänen. Dann muss
KV-Vizechefin Reinhardt auch den Abgeordneten Rede und Antwort
stehen.
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