«Keine Sicherheit» - Experte warnt vor Pilzbestimmungs-Apps Von Birgit Reichert und Harald Tittel , dpa

In Deutschland gibt es giftige Pilze, die essbaren Pilzen zum
Verwechseln ähnlich sehen. Das kann für Sammler gefährlich werden.
Ein Pilzsachverständiger erklärt, was man tun und lassen sollte.

Gerolstein (dpa) - Über Apps per Foto Pilze bestimmen lassen: Davon
rät der Eifeler Pilzsachverständige Thomas Regnery ab. Nach seiner
Erfahrung könne «das ganz schön schiefgehen». Es passiere immer
öfter, dass er, wenn er Patienten im Krankenhaus sage, mit welchem
Pilz sie sich vergiftet hätten, von diesen zu hören bekomme: «Ja,
aber meine App hat gesagt, das ist der oder der Pilz».

In der Eifel zum Beispiel gebe es 6.000 bis 7.000 verschiedene Arten
von Pilzen. «Da sind anhand ihrer optischen Merkmale vielleicht mal
1.000 wirklich bestimmbar», sagte Regnery bei einem Gang durch einen
Wald bei Gerolstein. Für den Rest müsse man mikroskopieren oder
Chemikalien einsetzen. «Das heißt, keine App auf der Welt kann auch
nur irgendeine Sicherheit bieten, dass ein Pilz wirklich der ist, den
sie zu identifizieren glaubt», erklärte er.

Verwechslungen können lebensgefährlich werden

Und Fehler bei der Bestimmung von Pilzen - egal ob mit App oder ohne
- können lebensgefährlich sein. Das zeigte sich in der vergangenen
Woche: Vier Patienten, darunter drei Kinder, kamen nach dem Verzehr
von giftigen Knollenblätterpilzen mit akutem Leberversagen in das
Uniklinikum Essen. In drei Fällen erfolgte inzwischen eine
Lebertransplantation. Zwei der fünf bis 15 Jahre alten Kinder stammen
aus dem Saarland. Auch in Münster erhielt eine wegen schwerer
Pilzvergiftung behandelte Patientin nun eine Spenderleber. 

Vergiftungen mit dem grünen Knollenblätterpilz gebe es leider immer
wieder, sagte Regnery. In der Nacht zuvor sei er über die
Giftnotzentrale mit einem Fall betraut gewesen, bei dem ein
achtjähriger Junge aus dem Kreis Ahrweiler nach dem Sammeln und Essen
von Pilzen Brechdurchfall bekommen habe. «Es war höchste Eisenbahn.
Ich habe ihn sofort in die Notaufnahme ins Krankenhaus Mechernich
geschickt.» Es gehe dem Kind wieder besser.

Der grüne Knollenblätterpilz sei einer der giftigsten Pilze
überhaupt, der häufig mit dem Champignon verwechselt werde.
«Eigentlich ist das erstaunlich, weil man ihn gar nicht verwechseln
kann», sagte der Experte. Zumindest wenn man wisse: Der
Knollenblätterpilz habe immer weiße Lamellen unter seinem Hut, der
Champignon aber nie. Bei diesem seien die Lamellen rosa, gingen dann
über Braun bis zu Schwarz. 

«In Deutschland gibt es sehr giftige Pilze, die essbaren Pilzen zum
Verwechseln ähnlich sehen. Das kann auch für erfahrene Sammlerinnen
und Sammler gefährlich werden», berichtete Yuri Bruinen de Bruin,
Leiter der Fachgruppe Nationales Vergiftungsregister am
Bundesinstitut für Risikobewertung in Berlin. Etwa zehn Prozent aller
Pilzvergiftungen gingen auf Knollenblätterpilze zurück. Und
Knollenblätterpilze seien für mindestens 80 Prozent aller tödlichen
Pilzvergiftungen in Deutschland verantwortlich, hieß es vom Institut.

Dennoch: «Wir wollen es nicht überdramatisieren», meinte Regnery, der

seit 1999 Pilzsachverständiger ist. Jedes Jahr gebe es bundesweit
zwischen 200 und 300 gemeldete stationäre Behandlungen wegen
Pilzvergiftungen - meist Übelkeit, Erbrechen, Durchfall. Das sei
«nicht so wahnsinnig» häufig. Im Großen und Ganzen seien Pilzsammle
r
«schon vorsichtig genug und kennen sich in ihrem Bereich recht gut
aus». Wer Fragen zu Pilzen hat, kann Pilzsachverständige um Rat
fragen. Zudem beantworten die Giftinformationszentren der Länder
jährlich mehrere Tausend Anfragen zu Pilzen. 

Ein Problem sei, wenn Menschen aus anderen Ländern etwa in Osteuropa
nach Deutschland zögen und von dort andere Pilze gewohnt seien. «Sie
sammeln Pilze und denken, dass es dieselben sind und dann passieren
Vergiftungen», sagte der Ingenieur. Es gebe sehr viele Fälle von
Menschen, die ihre Herkunft in Osteuropa hätten. 

Hervorragendes Pilzjahr

Wenn der 54-Jährige einen Pilz bestimmt, hebelt er ihn mit dem Finger
aus der Erde und dreht ihn herum. «Bei Pilzen spielt die Musik unter
dem Hut», erklärte der Fachmann und studierte genau Stiel und
Lamellen. «Mit einem stark gerieften Rand hier, der honigbraunen
Farbe und der Manschette am Stiel: Das ist ein Hallimasch.» Dieser
Pilz sei in rohem Zustand giftig und müsse lange gekocht werden, bis
er genießbar werde. 

Dieses Jahr sei ein außerordentlich gutes Pilzjahr: Der Wald sei
voller Pilze gewesen. Ein so gutes Pilzjahr habe er zuletzt 1986
erlebt. Die Saison sei auch noch im Gange. Bei den derzeit milden
Temperaturen fühlten sich die Pilze wohl, sagte Regnery. Im Wald
entdeckte er immer wieder Ansammlungen von Fruchtkörpern am Boden
oder am Holz.

Als Speisepilze verträglich und beliebt seien Klassiker wie
Steinpilze, Maronen-Röhrlinge, Ziegenlippen, Champignons,
Pfifferlinge, Totentrompeten und Reizker. Rund 40 Arten seien gut zu
empfehlen, sagte Regnery, der im Sommer 2022 auch ein Buch zum
Bestimmen der häufigsten Pilze in deutschen Mittelgebirgen
herausgebracht hat. Seit 1992 macht er regelmäßig Pilzwanderungen für

die Volkshochschule Gerolstein. 

Finger weg von winzigen Pilzen!

Das Interesse an Exkursionen sei groß, erzählte seine Frau Martina
Regnery-Hubo, die gerne dabei ist. Sie vermutete, dass viele auch
Freude daran hätten, weil Pilze kostenlose Nahrungsmittel aus dem
heimischen Wald seien. Wie zwei Frauen, die zwei Körbe voll mit
Semmel-Stoppelpilzen gesammelt hatten. «Da gibt es keine giftigen,
mit denen man sie verwechseln könnte», sagte eine der Sammlerinnen
stolz.

Der allerwichtigste Tipp, den Regnery für Pilzsammler hat, lautet:
«Nur das sammeln, was man eindeutig identifiziert hat.» Zudem rate
er: «Finger weg von ganz kleinen, jungen Pilzen!» Da gebe es eine
große Verwechslungsgefahr: Ein Pfifferling könne etwa leicht mit dem
giftigen orangefuchsigen Raukopf verwechselt werden.

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