Nicht nur Ältere und Hinterbänkler sagen: Tschüss Bundestag! Von Anne-Beatrice Clasmann, dpa
Wenn die Ampel-Koalition nicht platzt, ist am 28. September 2025
Bundestagswahl. Einige Abgeordnete wollen nicht mehr antreten - aus
Frust, wegen Stress, Beschimpfungen oder aus privaten Gründen.
Berlin (dpa) - Alexander Gauland (83) und Albrecht Glaser (82) von
der AfD werden bei der nächsten Bundestagswahl nicht mehr antreten -
aus Altersgründen. Und dass mit Renate Künast (Grüne) und Petra Pau
(Linke) zwei lang gediente Parlamentarierinnen eine erneute
Kandidatur ausgeschlossen haben, ist sicher auch keine Überraschung.
Unter den Abgeordneten, die in den vergangenen Wochen und Monaten
angekündigt haben, dass sie nicht mehr in den Wahlkampf ziehen
wollen, sind jedoch einige Männer und Frauen, die durchaus gute
Chancen auf einen sicheren Listenplatz und herausgehobene Positionen
nach der nächsten Wahl gehabt hätten.
Das hängt in Einzelfällen wohl auch damit zusammen, dass Prominenz
und Bürgerkontakt in diesen politisch aufgeheizten Zeiten nicht immer
Spaß machen. Manche der Aussteiger sind zudem frustriert, weil sie
mit ihren politischen Zielen selbst in der eigenen Fraktion nicht
durchdringen konnten. Oft geht es aber schlicht darum, mehr Zeit mit
den eigenen Kindern, dem Ehepartner oder gebrechlichen Eltern zu
verbringen - vor allem, wenn der Wahlkreis weit weg von Berlin
liegt.
Die Erfolgreichen:
Tobias Lindner von den Grünen ist 42 Jahre alt, Vater, und seit 2011
im Bundestag. Dass er nicht mehr antreten will, finden sogar einige
Angehörige anderer Fraktionen schade, die seine sachliche, ruhige Art
schätzen. Er selbst sagt: «Ich finde, man sollte gehen, wenn es am
schönsten ist.» Seine jetzige Aufgabe als Staatsminister im
Auswärtigen Amt sei zwar sehr fordernd, mache ihm aber gleichzeitig
viel Freude. Er gehe «ohne Frust und Groll» und habe auch noch keinen
neuen Job in petto. Politik sei das Spannendste, was er in seinem
Leben gemacht habe, «aber es ist nicht mein ganzes Leben». Er kenne
einige Parlamentarier, die in seinem Alter seien, Familie hätten und
nicht mehr kandidieren wollten, die das so ähnlich sähen.
Wie Lindner kommen auch der FDP-Mann Mario Brandenburg (41) zur Zeit
Parlamentarischer Staatssekretär im Bildungsministerium, und der
42-jährige Thomas Hitschler (SPD), Parlamentarischer Staatssekretär
im Verteidigungsministerium, aus der Südpfalz, haben Kinder und
wollen beide nicht mehr für den Bundestag kandidieren.
Tatsächlich erleben Politikerinnen und Politiker, die nach einer
Sitzungswoche in Berlin zu Hause ankommen, oft, dass Parteikollegen
im Wahlkreis wenig Verständnis dafür haben, wenn das Klaviervorspiel
der Tochter oder der Laternenumzug des Sohnes einmal Vorrang hat vor
Lokalterminen bei örtlichen Unternehmen oder Treffen mit
Ehrenamtlichen.
Drei Frauen aus der CDU:
Bei der Union fällt auf, dass mit Nadine Schön (41), Yvonne Magwas
(44) und Katja Leikert (49) gleich drei prominente Frauen im
mittleren Alter angekündigt haben, dass es ihnen jetzt - erst einmal
- reicht. Schön ist seit 2014 stellvertretende Vorsitzende der
Unionsfraktion. Magwas wurde 2021 zur Bundestagsvizepräsidentin
gewählt. Leikert ist Obfrau der CDU/CSU-Fraktion im
Familienausschuss.
Familiäre Gründe:
Bei ihr sei es «ein klassischer Frauenabgang», sagt Leikert. Auch
wenn ihre Kinder nun schon Teenager seien, sei es ihr wichtig, mehr
Zeit mit ihnen zu verbringen. Das sei auch kein vorgeschobener Grund,
denn «es gibt kein Pöstchen in einem Verband, das auf mich wartet».
Leikert, die fehlende Kita-Plätze und Fragen rund um die Organspende
zu ihren Herzensthemen zählt, sagt, sie habe kein Problem mit dem
aktuellen Kurs ihrer Partei, sondern sei «der Idee der CDU nach wie
vor stark verbunden» und wolle sich auch weiterhin politisch
engagieren.
Familiäre Gründe führte auch Michelle Müntefering (SPD) an, die meh
r
Zeit mit ihrem Ehemann, dem früheren SPD-Bundesvorsitzenden Franz
Müntefering (84) verbringen will.
Frust über die eigene Partei:
Ganz anders hat Canan Bayram (Grüne) ihren Abschied angekündigt. Die
58-jährige Juristin, die dem linken Flügel der Partei angehört,
schrieb in einer öffentlichen Erklärung, sie sei nicht bereit, ein
«Feigenblatt für meine Fraktion zu werden, die weniger Menschenrechte
als populistische Diskurse in den Fokus ihrer Arbeit nimmt».
Allerdings war wohl auch nicht sicher, ob ihr Kreisverband
Friedrichshain-Kreuzberg, Prenzlauer Berg Ost sie erneut als
Direktkandidatin aufstellen würde. Zu den Themen, für die sich Bayram
besonders im Bundestag engagiert hat, zählte jahrelang die inzwischen
beschlossene Legalisierung des Cannabiskonsums für Erwachsene.
Katrin Schmidberger, die von den Grünen in Bayrams Wahlkreis
inzwischen als neue Direktkandidatin des Wahlkreises gewählt wurde,
gehört ebenfalls dem linken Parteiflügel an. In ihrer Bewerbungsrede
betonte sie die Solidarität mit Geflüchteten und versprach, sich im
Bundestag gegen steigende Mieten zu engagieren.
Auch Gesine Lötzsch (63), die für Die Linke sechsmal in
Berlin-Lichtenberg ein Direktmandat geholt hat, nutzte ihre
Abschiedserklärung für eine Abrechnung. Sie forderte: «Wir müssen
wieder als Friedenspartei erkennbar werden.»
Bundestagsneuling Claudia Raffelhüschen von der FDP hat schon nach
einer Wahlperiode genug. Die 55-Jährige begründete ihren Ausstieg
unter anderem damit, «dass die Politik der Ampel-Koalition nicht
immer mit meinen liberalen Grundüberzeugungen im Einklang steht».
Stress, Beleidigungen und Hetze:
Für viele überraschend kam die Ankündigung von SPD-Generalsekretär
Kevin Kühnert (35), der am 7. Oktober erklärte, er gebe aus
gesundheitlichen Gründen sein Parteiamt auf und wolle auch nicht mehr
kandidieren.
Die CDU-Politikerinnen Magwas gehört zu den Abgeordneten, die sich
für ein AfD-Verbot einsetzen. Sie hat ihren Rückzug aus der aktiven
Politik im Juli öffentlich gemacht. In einer persönlichen Erklärung
schrieb sie: «Zur Wahrheit gehört auch, dass das gesellschaftliche
Klima in den letzten Jahren erheblich rauer geworden ist,
insbesondere in Sachsen (...) Es wird gelogen, diskreditiert,
gehetzt; die Demokratie und ihre Institutionen werden von AfD, Freien
Sachsen, III. Weg, NPD und wie sie alle heißen, Tag für Tag und
systematisch infrage gestellt mit dem Ziel, sie abzuschaffen.» Als
Abgeordnete stehe man dabei besonders im Feuer. «Ich habe viel an
Beleidigungen, Bedrohungen, aber leider auch viel Gleichgültigkeit
erlebt. Das raubt Kraft», klagte Magwas.
Bei der AfD wurden schon in einigen Landesverbänden Kandidaten
aufgestellt. Dabei konnten sich unter anderem die Abgeordneten
Christina Baum und Mariana Harder-Kühnel nicht durchsetzen. Die
notorische Zwischenruferin Beatrix von Storch wurde wieder auf den
Spitzenplatz der Berliner AfD-Kandidatenliste gewählt. Dass sich von
den Abgeordneten im mittleren Alter nur wenige freiwillig aus dem
Bundestag verabschieden, könnte, so mutmaßen manche in der Fraktion,
in einigen Fällen vielleicht auch daran liegen, dass eine Rückkehr in
den alten Beruf - soweit vorhanden - mit einer AfD-Biografie in
manchen Branchen und Regionen nicht immer einfach sei.
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