«E-Patientenakte für alle» - was das für Versicherte heißt Von Jörg Ratzsch, dpa
Die Krankenkassen verschicken zurzeit Infobriefe zur elektronischen
Patientenakte, die bald in der Breite starten soll. Das Ziel: alle
Gesundheitsdaten auf einen Blick.
Berlin (dpa) - Arztbriefe und Befunde, Blutwerte, Medikationspläne,
Zahnarztbehandlungen oder auch, wann die letzte Tetanus-Impfung war:
Demnächst wird für alle gesetzlich Krankenversicherten, die nicht
aktiv widersprechen, automatisch eine elektronische Patientenakte
(ePA) angelegt. In der können nach und nach solche Daten hinterlegt
werden. Was soll das bringen, wer entscheidet darüber, was dort
gespeichert wird, und welche Bedenken gibt es?
«Die elektronische Patientenakte wird dazu führen, dass die
Versorgung besser wird. (...) ein System, was für Patienten, für
Ärzte, aber auch für Forscher wichtige neue Möglichkeiten schafft.»
(Gesundheitsminister Karl Lauterbach, SPD, am 30. September 2024)
Wo wird diese Akte angelegt und was wird darin gespeichert?
Die Akte und die darin enthaltenen Dokumente und Daten werden nach
Angaben der Verbraucherzentralen zentral auf Servern in Deutschland
gespeichert und verschlüsselt. Die Anforderungen an die
Datensicherheit seien sehr hoch. Technisch läuft das über die
sogenannte Telematikinfrastruktur, ein in sich geschlossenes
Netzwerk, an das die Akteure des Gesundheitswesens angebunden sind.
Laut Gesundheitsministerium kann niemand außer den Versicherten und
denjenigen, die von ihnen zum Zugriff berechtigt wurden, die Inhalte
der E-Patientenakte lesen. Was konkret darin abgespeichert wird,
entscheiden die Versicherten selbst - auch in Abstimmung mit ihren
Ärzten.
Wie läuft das praktisch?
Über eine Smartphone-App der jeweiligen Krankenkasse. Versicherte
können darüber selbst Dokumente in der Akte ablegen, zum Beispiel
Befunde oder alte Laborergebnisse einscannen und hochladen. Auch
selbst geführte Tagebücher mit Blutdruckmessungen können angelegt
werden. Beim Arztbesuch befüllt dieser wiederum die Akte über seinen
Praxis-Computer mit Befunden zu aktuellen Behandlungen. Außerdem
laden die Krankenkassen in die Akte hoch, welche Leistungen bei ihnen
abgerechnet wurden. Nachvollziehbar wird somit noch einmal schwarz
auf weiß, wann welcher Arzt besucht, welche Diagnose dort gestellt
oder welches Medikament wann verschrieben wurde. Die E-Patientenakte
für alle, die nicht widersprechen, startet ab Mitte Januar 2025.
Was soll das bringen?
Ein Beispiel: Rentner X zieht von der Stadt aufs Land, braucht dort
einen neuen Hausarzt und meldet sich in der neuen Praxis an. Seine
Krankenkassenkarte wird ins Lesegerät gesteckt, die Praxis bekommt
damit Einsicht in seine elektronische Patientenakte und der neue Arzt
oder die Ärztin sehen, welche Behandlungen X schon hatte oder welche
Medikamente er nimmt.
Hilfreich könnte das auch bei einem Notfall sein, wenn X ins
Krankenhaus müsste. Die Ärzte könnten in der E-Patientenakte
Vorerkrankungen erkennen oder Wechselwirkungen bei der Verabreichung
von Medikamenten besser ausschließen, wenn sie sehen, welche
Arzneimittel X sonst regelmäßig nimmt.
Das heißt, sobald meine Krankenkassenkarte in ein Lesegerät
eingesteckt wird, bin ich ein offenes Buch...
Je nach Einstellung in der App. Dort sollen Versicherte selbst
festlegen können, welches Dokument für wen sichtbar ist. Das kann zum
Beispiel über Vertraulichkeitsstufen laufen: Ein Dokument in der
E-Akte wird entweder als freigegeben für alle markiert, die über das
Stecken der Chipkarte Zugriff haben, oder es wird nur für bestimmte
Ärzte freigegeben oder als gesperrt markiert, so dass nur der Patient
selbst es sehen kann. «Sie können jederzeit Inhalte einsehen,
einfügen, löschen oder verbergen, Zugriffsrechte erteilen oder
beschränken und Widersprüche einlegen», heißt es bei den
Verbraucherzentralen.
Welche Vorteile werden noch angeführt für die E-Patientenakte?
Transparenz und eine größere Informiertheit von Patienten, weil sie
selbst einen Überblick über die eigenen Gesundheitsdaten bekommen.
Mit Hilfe der Daten könnte es auch leichter werden, sich
Zweitmeinungen einzuholen oder gezieltere Rückfragen beim Arzt zu
stellen. Angeführt wird zudem, dass Doppeluntersuchungen vermieden
werden könnten. Auf Möglichkeiten im Zusammenhang mit Künstlicher
Intelligenz wird ebenfalls verwiesen.
«Zum Beispiel kann ich mit der KI über meine eigene elektronische
Patientenakte sprechen. Sie kann mir Empfehlungen geben, und ich kann
sie fragen, ob bei meiner Behandlung vielleicht Fehler gemacht worden
sind». (Karl Lauterbach im November 2023 im «Spiegel»)
Aber wenn ich doch lieber beim Aktenordner bleibe und eine E-Akte
nicht will?
Wer die E-Akte nicht will, muss bei der Krankenkasse aktiv
Widerspruch dagegen einlegen, dann wird sie gar nicht erst
eingerichtet. Es soll aber auch später möglich sein, eine einmal
angelegte Akte wieder löschen zu lassen.
Kritik gibt es daran, dass die Steuerung der Akte per Smartphone-App
ältere oder wenig technikaffine Menschen abschrecken könnte.
Betroffene können in einem solchen Fall eine vertrauenswürdige Person
festlegen, die sich für sie um die technische Betreuung der Akte
kümmert. Unabhängig davon besteht die Akte, wenn ihr nicht
widersprochen wurde, auch ohne eigenes Zutun und wird dann
hauptsächlich von behandelnden Ärzten befüllt.
Sensible Gesundheitsdaten übers Handy und irgendwo zentral
gespeichert - ist das nicht riskant?
Ein Risiko von Datenklau und Hackerangriffen besteht im digitalen
Raum immer, somit bleibt die Nutzung solcher Technologien immer auch
eine persönliche Abwägung. Der Spitzenverband der gesetzlichen
Krankenkassen (GKV) betont, die Datenverarbeitung in der
E-Patientenakte erfolge «in einer auf höchstem Niveau
sicherheitsgeprüften und vertrauenswürdigen technischen Umgebung».
Auch die Apps seien «nach höchsten Standards sicherheitsgeprüft».
Die Bundesdatenschutzbeauftragte Louisa Specht-Riemenschneider
kritisierte allerdings bei einer Diskussionsveranstaltung ihres
Hauses kürzlich die Widerspruchslösung - also, dass alle automatisch
eine E-Akte bekommen, sofern sie nicht widersprechen: Dies sei eine
politische Entscheidung, aus datenschutzrechtlicher Sicht wäre man
glücklicher mit einer Einwilligungslösung gewesen. «Dann hätten wir
eine selbstbestimmte Entscheidung der Patienten gehabt und eine
datenschutzrechtliche Legitimation, die in der breiten Bevölkerung
auch akzeptiert worden wäre.»
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