Volkskrankheit Schlaganfall: Moderne Medizin rettet Leben Von Robert Michael und Jörg Schurig , dpa

Mit einem Schlag ist plötzlich alles anders. 2018 hat ein
Schlaganfall den Dresdner Musiker Sebastian Römisch aus dem Takt
gebracht. Inzwischen spielt er in der Staatskapelle Dresden wieder
Oboe.

Dresden (dpa/sn) - Es gibt Vorboten für einen Schlaganfall, aber
manchmal kommt er auch urplötzlich. So wie bei Sebastian Römisch,
Solo-Oboist der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Er ist 50 Jahre
alt, als ihn am 1. Oktober 2018 der Schlag trifft. «Ich hatte mich am
Nachmittag hingelegt, weil ich abends noch in einer
«Carmen»-Aufführung spielen sollte. Als meine Frau mich anrief,
merkte sie, dass mit meinem Sprechen etwas nicht mehr stimmte»,
erinnert sich der Musiker an seinen Schicksalsschlag.

«Ich wollte es erst einmal gar nicht wahrhaben und eigentlich zum
Dienst gehen. Doch meine Frau sagte nur: 'Du machst jetzt gar nichts,
jetzt kommt der Rettungswagen'», beschreibt Römisch die dramatische
Situation. Erst danach habe er gemerkt, dass er seinen linken Arm gar
nicht mehr heben konnte. «Ich war halbseitig gelähmt, kam nicht mehr
richtig hoch.» Er habe zwar in etwa gewusst, was ein Herzinfarkt
bedeute, aber ein Schlaganfall sei in seinem Alter doch scheinbar
weit weg gewesen.

Bei einem Schlaganfall zählt jede Sekunde für eine erfolgreiche
Behandlung

Was dann geschieht, gehört zur Routine im Neurovaskulären Centrum
(DNVC) des Dresdner Universitätsklinikums. In der Rettungsstelle
wartet bereits ein interdisziplinäres Team auf den Patienten. Jede
Sekunde zählt. «Wir arbeiten mit Hochdruck daran, die Zeiten so kurz
wie möglich zu halten», sagt Dr. Daniel Kaiser, Vize-Chef des DNVC.
«Time is Brain» lautet die Devise. Denn mit jeder Minute, die ohne
Behandlung vergeht, sterben Nervenzellen ab. Das Risiko steigt, dass
Sprechen, Sehen, Denken und Bewegen langfristig beeinträchtigt
bleiben.

Im Fall von Römisch läuft es fast wie im Lehrbuch. Seine Frau hat die
Symptome erkannt und sofort gehandelt. Schnell ist der Patient auf
der Station. Eine Computertomographie gibt Aufschluss darüber, wie
viel Hirngewebe bereits abgestorben ist und wo sich ein Gerinnsel
befinden könnte. Bei 80 Prozent der Schlaganfälle verhindern solche
Verschlüsse die Blutzufuhr, in 20 Prozent sind Hirnblutungen die
Ursache. Die Mediziner sprechen vom ischämischen und vom
hämorrhagischen Schlaganfall.

Studien belegten Erfolg der Endovaskulären Therapie

Jeder Schlaganfall sei im Grunde ein Einzelfall, für den man einen
individuellen Therapieplan entwickeln müsse, sagt Volker Pütz,
Professor an der Klinik für Neurologie. Bei Römisch folgt als erster
Schritt eine Lysetherapie. Über die Venen gelangt ein Medikament in
den Körper, das das Blutgerinnsel wieder auflösen soll. Wenn das
verschlossene Gefäß im Kopf über die Blutgefäße erreichbar is
t, lässt
sich das Gerinnsel mechanisch entfernen. Die Endovaskuläre Therapie
steht seit 2015 hoch im Kurs, als mehrere große Studien den
Erfolg belegten.

Die neuroradiologischen Ärzte führen bei Römisch in der Leistengege
nd
einen Katheter ein. Ein bildgebendes Verfahren leitet die Experten
zum Corpus Delicti, dem Thrombus im Hirn. Im Fall von Römisch müssen
sie zunächst an der Halsschlagader einen Stopp einlegen. Die
«Hauptleitung» für die Blutzufuhr ins Gehirn ist hochgradig verengt.

Ein Stent hilft, diese Stelle zu weiten. Dann dockt der Katheter an
dem Gerinnsel an, das dann durch Unterdruck im Katheter nach außen
gezogen wird.

Patient empfindet Therapie als Wiedergeburt

Bei Sebastian Römisch klappt der Eingriff auf Anhieb. Nach einer
Woche auf der Station kommt er zu einer mehrwöchigen Therapie in eine
Rehaklinik. Die ersten Schritte nach der «Wiedergeburt» unternimmt
der Musiker noch im Uniklinikum mit einem Rollator. In der Reha geht
es aufwärts, dennoch braucht er Geduld. Erst mit Beginn der Spielzeit
2019/2020 sitzt er wieder im Orchestergraben der Semperoper. Als er
zurückkehrt, merkt er, dass nicht mehr alles so geht wie vorher.
Römisch gibt die mit viel Stress verbundene Solo-Stelle ab.

Wenn er im Rückblick auf die Zeit vor dem Schlaganfall schaut, ist
dem inzwischen 56-Jährigen vieles klar. «Ich hatte erhöhten
Blutdruck, einen hohen Cholesterinspiegel, Übergewicht, zu wenig
Bewegung und Stress - die typischen Faktoren, die zu einem
Schlaganfall führen können. Ich habe das aber nie ernst genommen. Ich
dachte immer, ich bin ja noch jung, habe nie mit einem Schlaganfall
gerechnet. Das war mein Fehler.» Nun geht er auch deshalb an die
Öffentlichkeit, um andere zu warnen und zu sensibilisieren.

Etwa 270.000 Menschen erleiden jedes Jahr in Deutschland einen
Schlaganfall

Die Dresdner Uniklinik hat viel Erfahrung im Umgang mit
Schlaganfall-Patienten. Gut 1.700 von ihnen wurden im vergangenen
Jahr im DNVC behandelt. Jedes Jahr erleiden in Deutschland etwa
270.000 Menschen einen solchen Hirninfarkt, heißt es auf der Website
der Stiftung Deutsche Schlaganfallhilfe. In Industrieländern wie
Deutschland kommen pro Jahr zwischen 120 (Frauen) und 130 (Männer)
Schlaganfälle auf 100.000 Menschen. Weltweit zählen sie zu den
häufigsten Todesursachen. 

Professor Ilker Eyüpoglu, Direktor der Neurochirurgischen Klinik und
aktueller Chef des DNVC spricht von einer Volkskrankheit. Man könnte
sie sogar als «Geißel der Menschheit» bezeichnen. Schlaganfall sei
eine Erkrankung, die viel mit westlicher Lebensweise zu tun habe.
«Ernährung, Stress, Bluthochdruck, Bewegungsmangel sind begünstigende

Faktoren.» Volker Pütz geht davon aus, dass sich die Patientenzahlen
auch in Deutschland erhöhen, weil die Menschen immer älter werden -
das Risiko steigt gerade im Alter.

Patienten plagt oft Ungewissheit über die Zukunft

Manchmal gelingt es den Medizinern, die Folgen eines Schlaganfalls
fast komplett wieder zu heilen. Römisch sieht sich zu 95 bis 98
Prozent wiederhergestellt. Er merke noch ein paar Sachen, die nicht
hundertprozentig funktionieren, berichtet der Musiker. Deshalb habe
er sich auch von der Solo-Stelle getrennt. «Ich bin froh, dass ich
überhaupt noch mitspielen kann.» Das Schlimmste sei damals die
Ungewissheit gewesen, wie es weitergeht. «Wird es wieder mit der Oboe
klappen oder nicht. Jetzt ist wieder Ruhe in mein Leben gekommen.»

Sebastian Römisch ist dankbar für die Hilfe, die ihm am
Universitätsklinikum zum Weiterleben verhalf. Mit Blick auf den
Welt-Schlaganfall-Tag, der an diesem Dienstag begangen wird, hat er
seine damaligen Retter noch einmal getroffen. Römisch lädt sie zu
einer Sonderführung durch die Semperoper und zum Besuch der
Generalprobe für das nächste Sinfoniekonzert seines Orchesters ein.
Er lebe nun gesünder, achte auf Ernährung und mehr Bewegung, sagt er:
«Ich kenne jetzt die Schräubchen, an denen ich selber drehen kann.»

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