Faszien - hochsensibel und lange unterschätzt Von Alice Lanzke, dpa

Faszien galten lange als bloße Verpackung der Muskeln. Doch neue
Forschung zeigt, dass sie wichtige Funktionen für Beweglichkeit,
Stabilität und Schmerzempfinden erfüllen - sogar beim Muskelkater.

Bayreuth (dpa) - Sie sind fein, wenige Millimeter dünn und
durchziehen unseren gesamten Körper wie ein Netz: die Faszien. Lange
Zeit galten sie als bloßes Verpackungsmaterial für unsere Muskeln,
doch neuere Studien zeigen etwas anders. 

Diese oft übersehenen Strukturen können eine große Rolle für
Rückenschmerzen und Sportverletzungen, Biomechanik und Beweglichkeit
spielen. Selbst der Muskelkater könnte eigentlich ein Faszienkater
sein, sagt ein deutscher Experte.

Faszien als «Sinnesorgan» und Schmerzquelle

«Faszien sind sensorisch unglaublich wichtig», betont Jan Wilke,
Sportwissenschaftler und Faszienforscher an der Universität Bayreuth.
Zum einen enthielten sie Propriozeptoren, die Informationen über
Bewegung, Druck und Spannung in verschiedenen Geweben lieferten.

Zum anderen würden sie auch Schmerzwahrnehmungen verursachen.
«Tatsächlich sind Faszien vermutlich schmerzsensibler als Muskeln»,
so Wilke - eine Aussage, die durch mehrere Studien der vergangenen
Jahre gestützt wird, darunter eine experimentelle Arbeit im
Fachjournal «Pain», die schon 2013 zeigte, dass die Injektion
schmerzauslösender Substanzen in die Faszie unangenehmer ist als die
Injektion in den Muskel.

Diese Erkenntnis könnte laut Wilke bedeuten, dass ein Teil der bis
dato als unspezifisch diagnostizierten Rückenschmerzen auf Probleme
im Fasziengewebe zurückzuführen sind. 

Ein weiteres überraschendes Ergebnis betrifft den Muskelkater. «Wir
haben lange gedacht, dieser entstünde durch Mikroverletzungen,
Entzündungen oder Laktatansammlungen im Muskelgewebe», so Wilke. 

Doch neue Studien legen nahe, dass es sich eher um eine Verdickung
und Versteifung der schmerzempfindlichen Faszien handelt. «Es ist
wahrscheinlich sinnvoller, von einem 'Faszienkater' zu sprechen»,
bemerkt der Sportwissenschaftler.

Mechanische Funktionen und Beweglichkeit

Neben ihrer sensorischen Rolle haben Faszien auch eine entscheidende
mechanische Funktion im Bewegungssystem. Wilke erläutert, dass
Faszien nicht nur Muskeln umschließen, sondern sie auch verbinden und
somit ein spannungsreiches Netzwerk im Körper bilden. 

Entfernt man dieses Bindegewebe, verliert der Muskel bis zu 50
Prozent seiner Spannung, wie eine im Fachblatt «Journal of
Ultrasound» veröffentlichte, japanische Studie 2023 zeigte - eine
deutliche Demonstration der Bedeutung von Faszien für die Stabilität
des Körpers.

Modellierungen aus Kanada von Ibrahim El Bojairami und Mark Driscoll
legen darüber hinaus nahe, dass die passive Stabilität der
Lendenwirbelsäule mindestens ebenso stark durch die große
Rückenfaszie beeinflusst wird wie durch aktive Muskelanspannung.

Faszien verbinden Muskeln von Kopf bis Fuß

Für Jan Wilke sind vor allem die Verbindungen, die Faszien zwischen
Muskeln schaffen, interessant. Eben jene Verbindungen könnten auch
bislang unerklärliche Zusammenhänge erklären. «Wir wissen, dass oft

bei Läufern und Läuferinnen vorkommenden Schmerzen an der Fußsohle
beispielsweise mit einer Verhärtung am hinteren Oberschenkel
zusammenhängen», sagt er. 

«Dadurch, dass die Muskeln teilweise von Kopf bis Fuß durch das
fasziale Bindegewebe miteinander verbunden sind, könnte es
theoretisch sein, dass eine Problematik im Körper an einer anderen,
weit entfernten Stelle nach Wochen Beschwerden bereiten kann.» Einen
entsprechenden Nachweis für eine Kraftübertragung über Faszienketten

erbrachte der Sportwissenschaftler 2020 in einer im Fachblatt
«Frontiers in Physiology» veröffentlichten Studie.

Die Rolle der Faszien im Alter

Mit zunehmendem Alter verändert sich das Fasziengewebe, was Einfluss
auf Beweglichkeit und Gesundheit haben kann. Faszien enthalten
Hyaluronsäure, die wie ein Schmiermittel zwischen den
Faszienschichten wirkt. «Mit Bewegung wird die Hyaluronsäure
flüssiger und sorgt dafür, dass die Faszienschichten reibungslos
gegeneinander gleiten können», erklärt Wilke. «Und das ist ganz
wichtig für unsere Beweglichkeit und deren Erhalt.»

Schon 2011 ergab eine im Fachmagazin «BMC Musculoskeletal Disorders»
publizierte Arbeit, dass bei Rückenschmerzpatienten diese
Gleitfähigkeit oft stark reduziert ist, was die Schmerzen weiter
verstärken könnte.

Wichtig ist dabei der Aufbau von Faszien, der dank moderner
bildgebender Verfahren mittlerweile viel besser verstanden ist. So
sind Faszien zwar sehr dünn, bestehen aber dennoch aus zwei bis vier
Schichten, zwischen denen sich wiederum lockeres Bindegewebe mit
Hyaluronsäure befindet. 

«Die Hyaluronsäure ist wie Ketchup», erläutert Wilke und spricht in

diesem Kontext von einem nicht-newtonschen Fluid. Derartige
Flüssigkeiten sind in Ruhe relativ fest und werden flüssiger, wenn
mechanische Reize auf sie wirken. «Das ist wie beim Ketchup, der im
Kühlschrank vergleichsweise fest ist und flüssiger wird, wenn ich die
Flasche schüttele.» Das Gleiche passiere mit der Hyaluronsäure in den

Faszien. «Die Hyaluronsäure ist im Prinzip ein Schmiermittel, das wir
haben», sagt Wilke. 

Gezieltes Training für die Faszien?

Wenn nun die Faszien eine derart wichtige Rolle spielen, könnte es
naheliegen, sie durch gezieltes Training anzusprechen. Doch
Sportwissenschaftler Wilke betont, dass es kein isoliertes
Faszientraining gibt. «Natürlich trainiert man immer einen Komplex»,

erklärt er. Bewegung, die multidirektional und dynamisch-federnd sei,
tue den Faszien gut. «Faszien lieben Vielseitigkeit», so Wilke. 

Besonders Menschen, die sich wenig bewegen, sollten darauf achten,
ihre Faszien durch vielfältige Bewegungen zu stimulieren. Hier kann
auch der Einsatz von Hartschaumrollen hilfreich sein, doch Wilke
warnt davor, es zu übertreiben: «Es gibt keine klaren Belege dafür,
dass intensives Rollen schädlich ist, aber man sollte mit Vernunft an
die Sache herangehen.»

Neuere Forschungen legten zudem nahe, dass für eine optimale
Behandlung der Faszien gar nicht so viel Druck nötig ist, wie bislang
angenommen. Vielmehr könnten auch sanftere Bewegungen etwa Schmerzen
dämpfen, führt Wilke aus.

Fazit: ein unterschätztes Gewebe mit großer Bedeutung

Insgesamt sei die Grundlagenforschung zu Faszien mittlerweile sehr
ausgereift - allerdings gebe es noch zu wenige, qualitativ
hochwertige und randomisierte kontrollierte Interventionsstudien, mit
denen sich zum Beispiel sagen ließe, welcher Sport besonders gut für
die Faszien ist. 

Bisherige Erkenntnisse zeigten aber klar, dass dieses Gewebe eine
bedeutende Rolle für das Wohlbefinden des Menschen spiele. «Wir haben
Faszien lange Zeit unterschätzt», sagt Wilke. «Doch sie sind
keineswegs bloßes Hüllgewebe - sie sind ein hochsensibles, mechanisch
wichtiges und potenziell schmerzauslösendes Gewebe, das in der
Medizin und im Sport noch mehr Beachtung finden sollte.»

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