In der Babystation der hessischen Wälder Von Michael Bauer und Andreas Arnold

Wie werden die Wälder fit für den Klimawandel? Im neuen
Saatgutzentrum des Landes werden die fittesten Kandidaten
herangezüchtet. Angeliefert werden die Samen aus allen Teilen
Hessens.

Hanau (dpa/lhe) - Zuerst ein Sprudelbad im Whirlpool, dann
Thermotherapie in der Dampfsauna bei angenehmen 41 Grad und zum
Schluss einfach mal Absacken. Es geht nicht etwa um ein
Wellness-Programm für erholungsbedürftige Menschen, sondern um die
Bearbeitung junger Eicheln im neuen hessischen Saatgutzentrum in
Hanau. 

Die Forstexperten sorgen dafür, dass aus der diesjährigen Eichelernte
vitale und widerstandsfähige Bäume entstehen, die in ein paar Jahren
ihre Äste in den hessischen Himmel recken. «Unser Ziel ist es,
qualitativ hochwertiges Saatgut für den Wald von morgen zu
produzieren», erklärt der stellvertretende technische Leiter des
Zentrums, Jens Stangl. 

Es geht zu wie bei Aschenputtel

Er ist auch der «Bademeister», der die aus allen Teilen Hessens
angelieferten Eicheln in den Whirlpool taucht, der von findigen
Mitarbeitern des Zentrums erfunden wurde. Strömungsdüsen und ein
raffinierter Weitertransport der Eicheln durch das Tauchbecken sorgen
dafür, dass sich die starken, keimfähigen Eicheln von ihren
schlappen, kranken Genossen trennen. Es geht zu wie bei Aschenputtel:
die Guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen.

Doch das hat nichts mit Zauberei zu tun, sondern mit angewandter
Physik. Die leichten Eicheln sind diejenigen, die von Schädlingen
angebohrt wurden. Weil sich dort Maden und andere unwillkommene Gäste
niedergelassen haben, konnte Luft eindringen. Die Folge: Die Eicheln
schwimmen an der Oberfläche der Eichel-Badewanne und werden gnadenlos
von einem Förderband entfernt. 

Ausgedacht hat sich die Konstruktion Lothar Volk, der technische
Leiter der Einrichtung. «Abgeschaut habe ich mir die Idee von einer
Gemüsewaschanlage und die Idee dann für unsere Zwecke
weiterentwickelt», sagt er.

Die schlechten Eicheln werden entsorgt, die guten Eicheln dagegen
dürfen jetzt zur Thermobehandlung mit Dampf in die nächste Maschine.
Die sorgt dafür, dass schädliche Pilze abgetötet werden. Das
geschieht ab 35 Grad. Es darf aber auch nicht wärmer als 41 Grad
werden, sonst können die Eicheln nicht mehr keimen. «Das ist wie eine
Wellness-Therapie», lächelt Stangl. «Die Wohlfühltemperatur muss
stimmen, aber auch wirken.»

Nach einer entspannenden Abtrocknungsphase in eigens konstruierten
Holzbehältern mit luftdurchlässigen Böden und Warmluftzufuhr werden
Hessens beste Eicheln dann entweder im Kühlraum zwischengelagert oder
gleich zum Abtransport in Säcke gefüllt: «Absacken» nennt Stangl de
n
Vorgang.

Vom Saatgutzentrum, das in direkter Nachbarschaft des Forstamtes
Hanau-Wolfgang liegt, führt der Weg der Eicheln dann weiter in
Hessens einzige staatliche Baumschule, die praktischerweise nur knapp
fünf Autominuten entfernt liegt. Ist das Saatgutzentrum die
Babystation der künftigen Eichen, ist die Baumschule die
Kinderstube. 

«Von der Samendarre kommen die Keimlinge hierher und werden dann in
die dafür schon vorbereiteten Flächen ausgesät», erklärt Lars Bra
uner
von der technischen Leitung der Forstbaumschule Hanau-Wolfgang. In
dieser Kinderstube wachsen die kleinen Bäume zwei Jahre heran, bevor
sie quer durch Hessen an die einzelnen Forstämter verteilt werden.

Der andere Teil der Eichenkeimlinge aus dem Saatgutzentrum geht an
private Baumschulen für den freien Markt zur Versorgung des Kommunal-
und Privatwaldes. Auch ihr Auftrag lautet: Hessens Wälder resistenter
gegen den Klimawandel zu machen. 

Ministerium: «Entscheidende Grundlage für Anpassungsfähigkeit der
Wälder»

Eichen haben in dieser Hinsicht einen guten Ruf unter Forstexperten.
Das gilt auch für sogenannte alternative Baumarten aus warm-trockenen
Gebieten wie Flaumeiche oder Esskastanie, deren Samen nach Angaben
des hessischen Forstministeriums in diesem Jahr erstmals in dem neuen
Saatgutzentrum aufbereitet und später in der staatlichen Baumschule
herangezogen werden.

«Eine entscheidende Grundlage für die Anpassungsfähigkeit der Wälde
r
an den Klimawandel ist die Verwendung von genetisch hochwertigem
Saat- und Pflanzgut», erklären die Forstexperten des Ministeriums.
Für die Versorgung des Staatswaldes sei das nach modernen Standards
errichtete Saatgutzentrum in Hanau ein «wichtiger Baustein».

Das neue Zentrum, das direkt neben der früheren Samendarre in
unmittelbarer Nachbarschaft des Forsthauses Hanau-Wolfgang errichtet
wurde, ist zwar schon Ende Mai offiziell eröffnet worden. Doch nun im
Herbst, der Haupterntezeit der Waldbäume, kann die rund vier
Millionen Euro teure Anlage erstmals richtig zeigen, was in ihr
steckt. Bis zu 60 Tonnen Eicheln können verarbeitet werden, in
Spitzenjahren sind sogar bis zu 100 Tonnen möglich. Und daraus kann
eine Menge Wald entstehen. Aus einem Kilogramm Eicheln können, grob
geschätzt, rund 100 Bäumchen entstehen.

Auf der Suche nach Hessens besten Standorten

Auch wenn sich in diesen Tagen fast alles um die Eiche dreht, ist
diese Art nicht der einzige Baum, um den es im Saatgutzentrum geht.
«Wir bearbeiten prinzipiell alle wirtschaftlichen Hauptbaumarten»,
erklärt Stangl. Die Arbeit beginnt im Frühsommer mit der Ulme, dann
folgen Vogelkirsche, Douglasie, Tanne, Birke, Ahorn, Linde, Erle und
Lärche. Kiefer und Lärche sind nach Angaben Stangls am geduldigsten,
deren Saatgut muss bis zum Winter warten, bis es an der Reihe ist.
Die Eiche dagegen hat es eilig, weil sie schnell keimt. 

Auch Straucharten für den Waldrand wie Wildapfel, Wildbirne, Weißdorn
und Haselnuss haben die Forstexperten aus Hanau im Visier. Spezielle
Erkundungstrupps machen sich schon während der Blüte der jeweiligen
Gewächse auf die Suche nach den besten Standorten zwischen Knüll,
Odenwald, Taunus und Spessart. Ein engmaschiges Kontrollnetz stellt
dabei laut Stangl sicher, dass nur Samen aus den jeweils anerkannten
Herkunftsgebieten angeliefert werden.

Plantage für Esskastanien in Nordhessen

Für die Identifizierung und Vermehrung klimaresilienter Baumarten
arbeitet das Saatgutzentrum eng mit dem Landesbetrieb Hessen-Forst
und der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt (NW-FVA)
zusammen, wie das Forstministerium erklärt. Die Versuchsanstalt
identifiziert geeignete Herkunftsorte und veröffentlicht
entsprechende Empfehlungen. Zuletzt sei in Nordhessen beispielsweise
eine Plantage mit Esskastanien neu eingerichtet worden, erklärte das
Ministerium.

Online-Wechsel: In drei Minuten in die TK

Online wechseln: Sie möchten auf dem schnellsten Weg und in einem Schritt der Techniker Krankenkasse beitreten? Dann nutzen Sie den Online-Beitrittsantrag der TK. Arbeitnehmer, Studenten und Selbstständige, erhalten direkt online eine vorläufige Versicherungsbescheinigung. Die TK kündigt Ihre alte Krankenkasse.

Jetzt der TK beitreten





Zur Startseite