Ärger um Katastrophenschutz: Übung in Berlin abgebrochen Von Carsten Hoffmann und Anne-Beatrice Clasmann, dpa

Müssen Katastrophenschutzübungen auch unangekündigt funktionieren,
damit sie ehrliche Ergebnisse liefern? Ein Berliner Bezirk testet den
Ernstfall und macht prompt eine Bauchlandung.

Berlin (dpa) - Eine unangekündigte Katastrophenschutzübung in Berlin
hat Schwächen beim spontanen Einsatz von Hilfsorganisationen deutlich
gemacht. Nach mehrstündigen Verspätungen in der Reaktion auf einen
angenommenen Chemieunfall mit Dutzenden Toten wurde der Praxistest
schließlich abgebrochen. 

Es habe Schwierigkeiten gegeben, freiwillig organisierte Dienste
ausreichend zu mobilisieren, sagten Behördenvertreter, die den vorher
geheim gehaltenen Ablauf beobachteten, der Deutschen Presse-Agentur.
Der Übungsleiter Philipp Cachée erklärte, es seien Probleme deutlich

geworden, aber auch Erkenntnisse gewonnen worden. 

Angenommene Einsatzlage: Massenanfall an Verstorbenen

Mit der bislang so nicht geübten Einsatzlage stellen die Behörden am
Samstag die Handlungsfähigkeit bei einem Szenario «Massenanfall an
Verstorbenen» auf den Prüfstand. In dem Übungsszenario waren Helfer
mit der Herausforderung konfrontiert, dass es bei einem chemischen
Unfall knapp 70 Betroffene gibt, von denen am Ende mehr als die
Hälfte stirbt. Geplant war, dass in der Folge auch Technik zur
Dekontamination sowie die Aufbewahrung von Leichen in großer Zahl
getestet wird. 

Polizei, Staatsanwaltschaft, Gerichtsmedizin, Bestattungsunternehmen,
das Gesundheitsamt, die Landespolizei und die Bundeswehr waren als
Beobachter vor Ort oder hätten im weiteren Verlauf der Übung eine
Rolle spielen sollen. 

Streit um die Retter: Ist üben eine Pflicht?

Wer nicht in der engeren Übungszone erschien, waren die alarmierten
Retter. Die Übung stand am Rande eines Eklats wegen Streitigkeiten,
bei denen es um die Verfügbarkeit von Kräften ging, die später in
anderen Einsätzen - darunter die Betreuung eines Fußballspiels der
zweiten Bundesliga - gebunden waren. 

Dabei war alles vorbereitet, um eine möglichst lebensnahe Übung zu
gewährleisten. Vor und in dem Gebäude einer Hochschule in
Friedrichsfelde lagen Freiwillige, die Opfer darstellen sollten. Sie
hatten zuvor Aufgabenzettel erhalten, mit Vorgaben zum weiteren
zeitlichen Ablauf, ihren vermeintlichen Symptomen und dem Zeitpunkt
eines angenommenen Todes. Die Darsteller standen wegen der langen
Wartezeit von etwa drei Stunden schließlich mehrfach auf, um sich
dann wieder in Position zu bringen. 

Übung ohne Vorbild - Abläufe bestehen Praxistest nicht 

«So ein Szenario ist in den letzten Jahrzehnten in der ganzen
Bundesrepublik noch nirgends beübt worden», hatte Cachée, der
Katastrophen- und Zivilschutzbeauftragte des Bezirksamts
Berlin-Lichtenberg, zum Auftakt der Übung gesagt. 

Das Berliner Katastrophenschutzgesetz schreibt den Bezirken jährliche
Übungen vor, um «die unverzügliche Einsatzbereitschaft ihrer
Einsatzkräfte sowie das Zusammenwirken mit anderen
Katastrophenschutzbehörden und den Mitwirkenden im Katastrophenschutz
zu erproben».

Als Beobachter beteiligte Sicherheitsbehörden erklärten, wenn Kräfte

wie die Berufsfeuerwehr, Polizei oder auch die Bundeswehr in
Amtshilfe getestet würden, sei ein ganz anderes Ergebnis und
kurzfristige Reaktion auf eine Lage zu erwarten. Darauf war
allerdings bewusst verzichtet worden, um den sogenannten Grundschutz
in Berlin nicht zu beschränken und weil eine Abstützung auf
Freiwilligenorganisationen in großen Lagen getestet werden sollte. 

Klimakrisen und Konflikte: Es soll mehr und realistisch geübt werden 

Wegen der veränderten Sicherheitslage nach dem russischen Angriff auf
die Ukraine, aber auch nach Unwetterkatastrophen wie dem Hochwasser
der Ahr haben Polizei, Rettungsdienste und die Bundeswehr Konzepte
für eine engere, abgestimmte Zusammenarbeit erarbeitet. Beim
Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) wurde
ein Gemeinsames Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz von Bund und
Ländern eingerichtet. 

Um den Katastrophenschutz müssen sich in Deutschland die Länder
kümmern. Für den Schutz der Bevölkerung im Kriegs- oder Spannungsfall

ist der Bund zuständig. Allerdings können die Länder bei schweren
Unwettern oder anderen Katastrophen Unterstützung vom Bund anfordern,
etwa durch die Bundeswehr oder die Bundespolizei.

Um die Alarmierung der Bevölkerung im Krisenfall zu üben, gibt es
einmal im Jahr einen bundesweiten Warntag, bei dem das BBK den
Probealarm auslöst, der dann Handys schrillen lässt und in einigen
Regionen auch von Sirenengeheul begleitet wird. Von der bundesweiten
Übung «Lükex», die das Bundesamt regelmäßig abhält, bekommt d
ie
Bevölkerung allerdings praktisch nichts mit. Denn hier üben die
Katastrophenschützer und Behördenmitarbeiter lediglich, wer im
Ernstfall was wie organisieren muss - etwa bei einem Cyberangriff
oder im Falle einer Pandemie.

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