Gesundheit/Krankenhäuser/Pflegeberufe/Berlin/Fachkräftemangel/Charité / Pflegenotstand: Warum Fachkräfte aus dem Ausland unverzichtbar sind Von Mia Bucher, dpa

Kliniken suchen dringend Fachkräfte. Ohne ausländisches Personal geht
kaum etwas. Für die tunesische Pflegerin Teyssir Ben Rejeb hat sich
der Umzug gelohnt - und sie hat ein klares Ziel.

Berlin (dpa/bb) - In Tunesien hätte sie jahrelang auf eine freie
Stelle warten müssen, trotz eines abgeschlossenen Studiums als
Krankenpflegerin. In Berlin hingegen nahm man sie sofort mit
Handkuss. Seit einem Jahr arbeitet die tunesische Krankenpflegerin
Teyssir Ben Rejeb am Auguste-Viktoria-Klinikum in Schöneberg, das zu
Vivantes gehört. Trotz Heimweh - für die 25-Jährige hat es sich
gelohnt. 

«Für mich ist wichtig, dass es hier die Möglichkeit gibt, sich
weiterzubilden», erklärt sie. In ihrem Heimatland sei die Ausbildung
sehr theoretisch; um mehr zu lernen, hätte sie einen Master machen
müssen. Außerdem sei das Gehalt in Deutschland gut und das Leben im
Ausland eine «neue Challenge». 

Stellen monatelang unbesetzt

Es ist eine Win-Win-Situation. Denn die Krankenhäuser haben akuten
Personalmangel und sind dringend auf qualifizierte Fachkräfte aus dem
Ausland wie Ben Rejeb angewiesen. Darum soll es auch beim Deutschen
Pflegetag gehen, der am 7. und 8. November in Berlin stattfindet. 

In keiner anderen Berufsgruppe in Berlin ist es nach Angaben der
Bundesagentur für Arbeit so schwer, neues Personal zu finden wie in
der Pflege. In den letzten zwölf Monaten waren in Pflegeberufen im
Schnitt rund 570 Stellen nicht besetzt, wie eine Auswertung zeigt.
Jede zweite Stelle blieb länger als drei Monate unbesetzt. 

«Nur mit der Ausbildung können wir den Bedarf der kommenden Jahre
nicht decken», sagt Claudia Reich-Braun, Abteilungsleiterin des
Rekrutierungscenters bei Vivantes. Jährlich durchliefen an den
insgesamt neun Standorten 300 Menschen die dreijährige Ausbildung zur
Pflegefachkraft. Und trotzdem: «Ich denke, es fehlen über den
gesamten Konzern verteilt immer noch um die 400 bis 600 Kräfte.» Um
eine ausreichende Besetzung auf den Stationen zu gewährleisten,
arbeite Vivantes viel mit Zeitarbeitskräften. Das sei aber teuer. 

Zahl deutscher Pflegekräfte rückläufig

Deswegen wird intensiv im Ausland gesucht. Einer Studie des Instituts
für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zufolge kam vergangenes Jahr
jede sechste Pflegekraft in Deutschland aus dem Ausland (Stand: Juni
2023). Die Zahl deutscher Pflegekräfte sei rückläufig, während die

der ausländischen Beschäftigten zunehme. In die Rekrutierung im
Ausland wird viel Aufwand gesteckt. Die Berliner Universitätsklinik
Charité hat ein Team, das selbst in die Länder reist. Vivantes setzt
auf Partnerfirmen vor Ort. 

«Momentan haben wir einen Schwerpunkt in Nordafrika», sagt
Reich-Braun. Aber auch in Mexiko oder der Türkei werde Personal
angeheuert. Voraussetzung sei ein Pflegeabschluss und ein
B2-Sprachniveau in Deutsch. In Berlin angekommen, werden die neuen
Fachkräfte zunächst als Pflegehelfer angestellt und durchlaufen eine
sechsmonatige Schulung aus Theorie- und Praxiseinheiten. Danach sind
sie anerkannte Pflegefachkräfte. Im Schnitt dauere der Prozess rund
ein Jahr, in Einzelfällen auch mal zwei Jahre. 

«Es gibt ältere Patienten, die möchten nur deutsche Pfleger»

«Die größte Herausforderung ist die Sprache», sagt Reich-Braun. Ben

Rejeb kann das bestätigen. «Der Berliner Dialekt ist ganz anders als
Hochdeutsch», sagt die 25-Jährige. Belastend seien auch die
Rassismus-Erfahrungen. «Es gibt ältere Patienten, die möchten nur
deutsche Pfleger.» Ihre Kolleginnen und Kollegen aber seien sehr
hilfsbereit.  

Neben ihren tunesischen Kolleginnen und Kollegen, die mit ihr bei
Vivantes angefangen hätten, sei ihre Integrationsbegleiterin ihre
wichtigste Stütze. Sie sei wie eine Freundin, sagt die Pflegerin.
«Sie kümmert sich auch um persönliche Probleme.» Um den Start in
Berlin zu erleichtern, gibt es an jedem Vivantes-Standort eine oder
zwei Integrationsbegleiterinnen. Die erfahrenen Kolleginnen und
Kollegen kümmerten sich nicht nur um die fachliche Einleitung,
sondern unterstützten auch beim Arztbesuch, bei der Wohnungssuche,
bei der Orientierung im Berliner S-Bahnnetz oder trösteten bei
Heimweh. 

Erheblicher Personalbedarf bis 2030

Weil viele Fachkräfte bald in Rente gehen, die Bevölkerung
gleichzeitig aber immer älter wird, rechnet die Berliner
Gesundheitsverwaltung bis zum Jahr 2030 mit einem erheblichen
Personalbedarf. Einer von der Behörde in Auftrag gegebenen Analyse
zufolge könnten in Berlin bis zum Jahr 2030 rund 5.800
Pflegefachkräfte fehlen. 

Auf Ben Rejeb kann Vivantes weiterhin zählen. «Ich fühle mich echt
wohl», sagt die 25-Jährige. Als Nächstes möchte sie sich gerne als

Praxisanleiterin für Fachkräfte aus dem Ausland weiterbilden lassen.
Ihr größtes Ziel? Ben Rejeb lacht. «Warum nicht Chefin», sagt die
Pflegerin. Eine Abteilung zu leiten, das könne sie sich gut
vorstellen.

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