Teilhabe auf Leih-Basis von Maurice Dirker und Swen Pförtner , dpa
Krankenkassen übernehmen oft nicht die Kosten für Sportprothesen
behinderter Menschen, die so ausgeschlossen werden. Ein neues Angebot
will das ändern.
Duderstadt (dpa/lni) - Eine Runde joggen im Park; morgens vor der
Arbeit oder abends nach Feierabend - für viele Menschen in
Deutschland ist das ganz normal. Nicht so für viele beinamputierte
Menschen, obwohl es möglich wäre. Doch Krankenkassen oder auch
Rentenversicherungen übernehmen nur selten die Kosten für
Sportprothesen. Ein neues Angebot will Abhilfe schaffen.
Oft würden nur Prothesen finanziert, um alltägliche Aufgaben wie
Laufen, Treppen steigen oder das Führen eines Haushaltes zu
bewältigen, teilte die niedersächsische
Landespatientenschutzbeauftragte Nicole Sambruno Spannhoff mit.
Prothesen zum Radfahren oder Joggen würden oft nicht unter den
medizinischen notwendigen Bedarf fallen. Dabei sei Sport wichtig für
die körperliche Fitness oder soziale Integration.
Das zeigt auch Para-Bogenschützin Flora Kliem. Bei einer
Sportveranstaltung für behinderte Menschen des Prothesenherstellers
Ottobock konnte sie nach elf Jahren wieder joggen. «Das ist einfach
ein totales Freiheitsgefühl und fühlt sich total surreal an», sagte
die 26-Jährige aus Göttingen, die seit einem schweren Unfall nicht
mehr laufen konnte und sich daher im vergangenen Jahr ein Bein
amputieren ließ. «Jetzt kann ich ganz viele verrückte Sachen machen.
»
Patientenschützerin: «Dringender Reformbedarf»
Damit mehr Menschen derart von Sportprothesen profitieren können,
bestehe dringender Reformbedarf, heißt es von der
Patientenschutzbeauftragten. Betroffene bräuchten einen «fairen
unbürokratischen Zugang zu den Hilfsmitteln». Denkbar seien dazu auch
Leihmodelle, etwa wenn die Nutzung einer Sportprothese erst einmal
erprobt werden soll oder so eine Prothese nicht regelmäßig benötigt
wird.
Das sieht der Behindertensportverband (BSV) ähnlich. 55 Prozent der
Menschen mit Behinderung machen laut dem keinen Sport. Es müsse alles
dafür getan werden, um diesen Menschen den Zugang zu erleichtern.
Dazu zähle unbürokratischer Zugang zu passenden Hilfsmitteln wie
Prothesen aber auch Sportrollstühlen oder Handbikes.
Alltagsprothesen stoßen beim Sport an Belastungsgrenzen
Mit Alltagsprothesen könne man etwa trotz enormer Weiterentwicklung
in den vergangenen Jahren nicht sportlich laufen. «Alltagsprothesen
stoßen ab einer bestimmten Geschwindigkeit an Grenzen der
Funktionalität», sagte ein BSV-Sprecher. Eine Sportprothese erhalten
Betroffene demnach aber teilweise erst nach langwierigen
Gerichtsverfahren. Bei der Versorgung mit Prothesen komme es häufig
zu Streit zwischen den Patienten und den Krankenkassen, heißt es auch
von der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN).
Zumindest bei den Prothesen will das südniedersächsische Unternehmen
Ottobock nun etwas Abhilfe schaffen. Bei der Sportveranstaltung für
behinderte Menschen stellte die Firma in Duderstadt kürzlich ein
Leih-Angebot für Sport-Beinprothesen vor. Gegen einen Abo-Beitrag
erhalten Sportlerinnen und Sportler dort Prothesen, die sie auch
selbst konfigurieren können.
Laut Ottobock gibt es in Deutschland 200.000 Betroffene, die davon
profitieren könnten. Der monatliche Betrag liegt zwischen 100 und 160
Euro. Zum Vergleich: Nach Angaben des ehemaligen Paralympics-Athleten
Heinrich Popow gegenüber der Aktion Mensch kostet eine Sportprothese
ungefähr 10.000 Euro.
Behindertensportverband: «Leih-Angebot ausweiten»
Der Behindertensportverband hält das Angebot für eine zusätzliche
sinnvolle Möglichkeit für Betroffene und teilte weiter mit: «Ziel
sollte es dabei sein, dieses Konzept weit zu verbreiten,
niederschwellig zugänglich zu machen» - unabhängig vom Hersteller.
Der Spitzenverband der Krankenkassen äußerte sich auf Anfrage nicht
dazu, ob ein solches Angebot künftig auch von Versicherungen
übernommen werden könnte. Der Verband teilte auch nicht mit, wie der
Zugang zu Sportprothesen in Zukunft erleichtert werden könnte. Die
Entscheidung über die Prothesenversorgung sei immer im Einzelfall zu
prüfen. Hilfsmittel über das Notwendige hinaus müssten Versicherte
selbst zahlen.
Das liegt nicht zuletzt an der Rechtslage, nach der Prothesen bezahlt
werden, «um die elementaren Grundbedürfnisse des täglichen Lebens
befriedigen zu können», wie die KVN mitteilte. Die Kostenübernahme
einer Sportprothese hänge daher vom Einzelfall ab und werde von den
Krankenkassen «unter Berücksichtigung des
Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes» entschieden.
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