Bundesverfassungsgericht schränkt Überwachungsbefugnisse des BND ein
Cyberspionage und -sabotage werden zunehmend zur Gefahr. Hier soll
auch der Auslandsnachrichtendienst tätig werden. Dafür bekam er 2015
neue Möglichkeiten. Doch das Gesetz muss überarbeitet werden.
Karlsruhe (dpa) - Trotz der wachsenden Gefahr internationaler
Cyberangriffe gehen die bisherigen Befugnisse des
Bundesnachrichtendienstes (BND) bei der Überwachung etwa von
Telefonaten nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu
weit. Regeln zur Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten
bei der heimlichen strategischen Inland-Ausland-Fernmeldeüberwachung
im Bereich Cybergefahren verletzten das Fernmeldegeheimnis und seien
teils verfassungswidrig, teilte das höchste deutsche Gericht mit. Das
Gesetz muss in mehreren Punkten bis Ende 2026 nachgebessert werden.
Betroffen ist Telekommunikation zwischen Menschen im Inland und
Menschen im Ausland. Bis ein neues Gesetz in Kraft tritt, gelten
Vorgaben des Ersten Senats in Karlsruhe für die bestehenden
Regelungen. Unter anderem müssten Daten aus rein inländischen
Telekommunikationsverkehren ausgesondert werden. Außerdem dürften
auch gegenüber ausländischen Personen im Ausland keine Suchbegriffe
eingesetzt werden, die den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung
betreffen. (Az. 1 BvR 1743/16, 1 BvR 2539/16)
Cybergefahr vergleichbar mit bewaffneten Angriffen
Einerseits betonte das Gericht, das Gefährdungspotenzial
internationaler Cyberangriffe sei außerordentlich hoch, ihre Zahl
nehme zu. Attacken auf kritische digitale Infrastrukturen oder
vergleichbar wichtige informationstechnische Systeme zielten auf eine
Destabilisierung des Gemeinwesens. Sie könnten die verfassungsmäßige
Ordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder der Länder
bedrohen sowie Leib, Leben und Freiheit. Die Gefahr solcher Angriffe
auf die IT-Infrastruktur elementarer und überlebenswichtiger Bereiche
- etwa die Versorgung mit Wasser und Energie sowie das Transport- und
Gesundheitswesen - könnte ein vergleichbares Ausmaß wie die Gefahr
eines bewaffneten Angriffs erreichen.
Daher bestehe ein überragendes öffentliches Interesse, Cybergefahren
aus dem Ausland von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung früh
zu erkennen. Die Befugnis zur strategischen
Inland-Ausland-Überwachung sei daher grundsätzlich mit dem
Grundgesetz vereinbar, hieß es vom Gericht. «Sie bedarf aber der
verhältnismäßigen Ausgestaltung.»
Außerordentliche Reichweite
Denn die strategische Telekommunikationsüberwachung sei ein
Instrument von besonders schwerem Eingriffsgewicht, betonte das
Gericht andererseits. Das gelte vor allem, weil sie anlasslos
gegenüber jeder Person erlaubt sei und allein durch bestimmte
Zwecksetzungen angeleitet werde. «Sie hat unter den heutigen
Bedingungen der Kommunikationstechnik und ihrer Bedeutung für die
Kommunikationsbeziehungen eine außerordentliche Reichweite.»
Zudem hätten sich die Analysemöglichkeiten der Nachrichtendienste
weiterentwickelt, hieß es. Durch die Möglichkeit der Verwendung
formaler Suchbegriffe rücke die strategische Überwachung näher an die
individuelle Telekommunikationsüberwachung heran.
Kläger: Vertraulichkeit der Kommunikation gestärkt
Das Bundesverfassungsgericht habe die Vertraulichkeit der
Kommunikation gestärkt, befand die Gesellschaft für Freiheitsrechte
(GFF), die mit der Menschenrechtsorganisation Amnesty International
(AI) eine der Klagen erhoben hatte. Die Geheimdienstarbeit werde «auf
den Boden des Grundgesetzes» zurückgeholt, erklärte Bijan Moini von
der GFF.
«Wenn Menschenrechtsorganisationen befürchten müssen, dass ihre
sensible Kommunikation im Zuge von anlassloser Massenüberwachung
mitgelesen wird, gefährdet das ihre Arbeit», erklärte Lena Rohrbach
von AI in Deutschland. In einer repräsentativen Umfrage der
Organisation hätten 20 Prozent der Befragten angegeben, aus Sorge vor
unverhältnismäßiger staatlicher Überwachung ihr
Kommunikationsverhalten einzuschränken.
Auch weitere Beschwerdeführende engagieren sich nach Angaben des
Gerichts für den Menschenrechtsschutz im Ausland, einer ist als
Rechtsanwalt im Bereich des Datenschutz- und IT-Rechts tätig. Sie
hätten beruflich und privat mittels E-Mail, Telefon und
Messengerdiensten Kontakt ins Ausland oder vom Ausland nach
Deutschland.
Mehrere Kritikpunkte
Der Senat monierte an der 2015 eingeführten Gesetzesänderung unter
anderem, dass der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung
für ausländische Personen im Ausland unzureichend sei. Gleiches gelte
für die Ausgestaltung der unabhängigen Kontrolle. Zudem sei die
Aufbewahrungsfrist für die Dokumentation der durchgeführten
Überwachung zu kurz.
Laut dem Gesetz sind die Daten am Ende des Kalenderjahres nach dem
Jahr der Protokollierung zu löschen. Es sei damit nicht
sichergestellt, dass die Protokolldaten noch vorhanden sind, wenn die
Betroffenen über eine Maßnahme informiert werden. Das geschehe erst,
wenn diese endgültig eingestellt ist.
Die Entscheidung bezieht sich nicht auf die
Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung nach dem BND-Gesetz, bei der es
um die Überwachung des Telekommunikationsverkehrs geht, an dem
ausschließlich ausländische Akteure im Ausland beteiligt sind.
Generell nicht strategisch überwachen darf der
Auslandsnachrichtendienst BND den Telekommunikationsverkehr, an dem
auf beiden Seiten ausschließlich deutsche Staatsangehörige oder
Menschen in Deutschland beteiligt sind.
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