«Der Zauberberg»: Ein Jahrhundertroman wird 100 Von Klaus Blume, dpa

Alt, aber nicht veraltet: Das international bekannteste Werk von
Nobelpreisträger Thomas Mann hat Generationen von Schriftstellern
geprägt - und noch heute eine weltweite Fangemeinde.

Lübeck (dpa) - Tausend Kilometer sind keine Entfernung: «Davos liegt
an der Trave» heißt ein literarischer Stadtspaziergang, der alle zwei
Wochen durch die schmucke Hansestadt Lübeck führt. Wer ihn bucht,
begibt sich - unschwer zu erraten - auf die Spuren des wohl
berühmtesten Sohnes der Stadt und seines international bekanntesten
Werkes. Es geht um Literaturnobelpreisträger Thomas Mann und seinen
Roman «Der Zauberberg», der im Schweizer Hochgebirge spielt.

Genau 100 Jahre sind vergangen, seit der Welterfolg am 20. November
1924 erschien. Zwar schrieb ihn Thomas Mann an seinem damaligen
Wohnort München, doch in Lübeck ist der Autor geboren und
aufgewachsen, hier steht das Buddenbrookhaus, und dort hat die
Deutsche Thomas Mann-Gesellschaft ihren Sitz. Und so steht die Stadt
an der Trave - einem kleinen Ostseezufluss - in diesem Jahr ganz im
Bann des «Zauberbergs». 

Weltweite Leserschaft

Doch Fans hat der Jahrhundertroman weltweit - ob im deutschen
Original oder mit Titeln wie «The Magic Mountain», «La montaña
mágica» oder «La montagna incantata». Bis heute ist er das
international meistgelesene Werk Thomas Manns. Es ist ein Zeitroman,
der vor dem Ersten Weltkrieg spielt, uns aber auch heute noch viel zu
sagen hat.

Erzählt wird die Geschichte des jungen Ingenieurs Hans Castorp, der
im Sommer 1907 für drei Wochen von Hamburg in die Schweizer Alpen
reist, um seinen tuberkulosekranken Vetter Joachim Ziemßen in einem
Luxussanatorium bei Davos zu besuchen. Doch der morbide Charme des
«Berghofs» verzaubert ihn, er bleibt dort hängen. Am Ende werden aus

drei Wochen sieben Jahre, die er «bei Denen hier oben» verbringt.

Zwei Intellektuelle wollen den jungen Mann erziehen: der italienische
Humanist und Freimaurer Lodovico Settembrini und dessen ideologischer
Widerpart, der erzreaktionäre Jesuit Leo Naphta. Mit der
geheimnisvollen Russin Clawdia Chauchat verbringt Hans eine
Liebesnacht. Er erlebt, wie sein Vetter Joachim und andere kranke
Hausbewohner sterben. Für ihn wird es gefährlich, als er sich in
einem Schneesturm verirrt, Halluzinationen bekommt und nur mit Mühe
zum Berghof zurückfindet.

Eingehüllt in Wolldecken verbringen die Bergbewohner ihre Tage mit
Liegekuren auf den Balkonen zwischen täglich fünf Mahlzeiten im
Speisesaal mit seinen sieben Tischen. Die Zeit verrinnt, aus Tagen
werden Monate, aus Monaten Jahre, bis 1914 «Der Donnerschlag» ertönt,

der Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Jeder zieht seines Weges, Hans
Castorps Spur verliert sich auf den Schlachtfeldern Flanderns.

Ein zeitloser Zeitroman

Das ist zwar lange her, doch abgesehen davon, dass der «Zauberberg»
immer noch ein Lesevergnügen ist, enthält er viele zeitlose Motive:
Krankheit und Tod, Erotik, Persönlichkeit, das Wesen der Zeit, die
geistigen Grundlagen Europas, der Widerstreit zwischen der offenen
Gesellschaft und ihren Feinden. Ein Zeitroman ist der «Zauberberg»
übrigens in zweifacher Hinsicht. Zum einen bietet er als Epochenroman
ein Panorama der untergehenden Vorkriegsgesellschaft. Zum anderen ist
er ein Roman über das individuelle Erleben der Zeit.

In dem Zwischenreich des Berghofs verlieren Castorp und Co. das
Zeitgefühl. Auch die Erzählstruktur des Romans spielt mit dem Faktor
Zeit, die Handlung beschleunigt sich, je weiter man liest. Während
die erste Hälfte der fast tausend Seiten nur die sieben Monate seit
Castorps Ankunft behandelt, verdichten sich in der zweiten Hälfte gut
sechs Jahre.

Thomas Mann hatte sich mit dem Buch übrigens viel Zeit gelassen. Er
fing 1913 an und wollte eigentlich nur eine Novelle als heiteres
Gegenstück zum «Tod in Venedig» schreiben, nachdem er die Welt der
Schweizer Sanatorien während eines Kuraufenthalts seiner Frau Katia
kennengelernt hatte. Nach Kriegsbeginn unterbrach er die Arbeit und
nahm sie erst 1919 wieder auf. 

Das nächste Jubiläum wartet schon

Obwohl der Roman 1924 in zwei dicken Bänden erschien, hatte er
schnellen Erfolg. Vier Jahre später erreichte er bereits seine 100.
Auflage. «Der Zauberberg begründet den Weltruhm des Autors», heißt
es
in der Lübecker Ausstellung. Generationen von Schriftstellern und
Schriftstellerinnen hat der Roman geprägt, weit über den deutschen
Sprachraum hinaus.

Im nächsten Jahr steht in Lübeck schon wieder ein Jubiläum an: Am 6.

Juni 2025 ist der 150. Geburtstag Thomas Manns. Das Buddenbrookhaus,
in dem Manns Großeltern lebten und das im Roman «Buddenbrooks» eine
zentrale Rolle spielt, bleibt wegen Umbaus voraussichtlich noch bis
2028 geschlossen. Aber natürlich ist das Gebäude mit der spätbarocken

Fassade eine Station auf dem literarischen Spaziergang zwischen Davos
und Trave. 

Neben dem Katharineum, Thomas Manns Gymnasium, wird auch ein
Tabakladen in der Breiten Straße angesteuert, in dem es die von Hans
Castorp geliebten Maria-Mancini-Zigarren gibt. Die Löwen-Apotheke
wiederum bietet «Lübecker Luft», ein Raumspray - und eine Analogie
zur Höhenluft von Davos, wie Projektkoordinatorin Annika Schmidt
erläutert.

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