Scholz oder Pistorius? K-Frage in SPD zunehmend offen Von Theresa Münch und Stefan Heinemeyer, dpa
Dass Olaf Scholz SPD-Kanzlerkandidat wird, ist längst nicht
ausgemacht. Wichtige Abgeordnete erklären die K-Frage für offen.
Berlin (dpa) - Die Frage der Kanzlerkandidatur ist in der SPD noch
nicht zugunsten von Bundeskanzler Olaf Scholz entschieden. Vor allem
aus dem mitgliederstärksten Landesverband Nordrhein-Westfalen
meldeten sich einflussreiche Sozialdemokraten in diese Richtung zu
Wort. Unterstützung erhält Scholz aus der Parteiführung und von
Kabinettsmitgliedern der SPD. Deutlich beliebter in Umfragen ist
Verteidigungsminister Boris Pistorius. Dieser schließt eine
Kanzlerkandidatur grundsätzlich nicht aus, betont aber die Loyalität
zu Scholz und erklärt, dass das Kanzleramt nicht seiner Lebensplanung
entspreche.
Die SPD liegt in Umfragen bei 15 bis 16 Prozent, die Union mit
Kanzlerkandidat Friedrich Merz ist mindestens doppelt so stark.
Zugleich gehört Pistorius im Gegensatz zu Scholz zu den beliebtesten
Politikern in Deutschland. Eine neue Umfrage untermauert dies. Im
Politikerranking, das vom Insa-Institut für die «Bild» wöchentlich
erstellt wird, steht Pistorius ganz oben. Dagegen ist Scholz vom 19.
auf den 20. und letzten Platz abgerutscht, der Zeitung zufolge zum
ersten Mal.
Zwei Parteiflügel: «Viel Zuspruch für Boris Pistorius»
In dieser Gemengelage bekommt ein gemeinsames Statement der
Vorsitzenden der NRW-Landesgruppe in der SPD-Fraktion, Wiebke Esdar
und Dirk Wiese, Gewicht. Beide sind zugleich Vorsitzende der
mächtigen Strömungen innerhalb der SPD-Fraktion - Esdar als
Sprecherin der Parlamentarischen Linken, Wiese als Sprecher des
konservativen Seeheimer Kreises. «Letztlich entscheiden die
Parteigremien über die Frage der Kanzlerkandidatur, das ist auch der
richtige Ort dafür», erklärten beide. Es gebe in der SPD eine Debatte
über die beste politische Aufstellung für die Bundestagswahl, räumten
sie ein. Und: «Dabei hören wir viel Zuspruch für Boris Pistorius.»
Und das Ansehen von Scholz sei stark mit der Ampel-Koalition
verknüpft, gaben Esdar und Wiese zu bedenken.
Auch der SPD-Fraktionschef im NRW-Landtag, Jochen Ott, legt sich
nicht fest. «Allein, dass die SPD zwei Kabinettsmitglieder hat, denen
die Kanzlerschaft zugetraut wird, zeigt, dass wir für diesen
Wahlkampf grundsätzlich gut aufgestellt sind», sagte Ott im
«Welt»-Interview. Juso-Chef Philipp Türmer hält die Frage des
SPD-Kanzlerkandidaten ebenfalls noch nicht für entschieden.
Klar für Pistorius hatten sich bereits mehrere Kommunalpolitiker
sowie mit Joe Weingarten und Johannes Arlt zwei Bundestagsabgeordnete
positioniert.
Scholz-Unterstützer in Parteispitze und Kabinett
Scholz hat aber auch gewichtige Fürsprecher wie die beiden
Parteichefs Saskia Esken und Lars Klingbeil. Saarlands
Ministerpräsidentin Anke Rehlinger, die auch stellvertretende
Parteivorsitzende ist, sagte dem Magazin «Stern»: «Die SPD stellt den
Kanzler, das ist eine große Chance. Deshalb ist Olaf Scholz der
natürliche und richtige Kanzlerkandidat.» Bundesinnenministerin Nancy
Faeser erklärte beim Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND): «Für mich
ist klar, dass der Bundeskanzler unser Kandidat wird.» Scholz habe
das Land «umsichtig und entschieden durch schwere Krisenzeiten
geführt».
«Für mich ist Olaf Scholz gesetzt», sekundierte Gesundheitsminister
Karl Lauterbach in der ARD-Sendung «Hart aber fair». Der frühere
SPD-Vorsitzende Martin Schulz, der 2017 als Kanzlerkandidat
gescheitert war, unterstrich in der «Rheinischen Post»: «Der Kanzler
ist der Kanzler und tritt als solcher erneut an. Das finde ich
logisch.»
Ein Nein, aber von Pistorius
Der Bundesverteidigungsminister kam am Abend bei einer Veranstaltung
der Mediengruppe Bayern in Passau zum Themen «Menschen in Europa»
nicht an der K-Frage vorbei. «In der Politik sollte man nie
irgendetwas ausschließen, ganz egal, worum es geht», sagte Pistorius,
der sich auch bei anderen Terminen schon gegen Ausschließeritis
gewandt hatte. Er lobte zugleich Scholz, dieser mache einen richtig
guten Job. «Und er hat gesagt, er will weitermachen. Das ist das
Normalste der Welt.»
«Da ich erstens ein zutiefst loyaler Mensch bin, zweitens in meiner
Lebensplanung nie drinstand, Verteidigungsminister zu werden oder gar
Bundeskanzler, werde ich 'nen Teufel tun und mir jetzt sagen: Ich
mache das, ich trete jetzt an. Nein, das werden Sie von mir nicht
hören. Ich bin Parteisoldat.» Pistorius schob hinterher: «In meiner
Lebensplanung findet das nicht statt und das muss auch ehrlich gesagt
nicht sein.»
«Notfalls in einer Nachtsitzung» entscheiden
Aus Sicht des früheren SPD-Chefs Norbert Walter-Borjans sollte sich
die Partei nicht mehr viel Zeit zur Klärung der K-Frage lassen.
Scholz habe das Land in einer extrem schweren Zeit vor viel
Bedrohlichem bewahrt, lobte Walter-Borjans einerseits in der
«Rheinischen Post». Er betonte zugleich: «Wahr ist aber auch, dass
Merz nur mit einem Kanzler zu verhindern wäre, der auf den letzten
Metern die Kraft aufbringt, selbstkritisch und nahbar den Unterschied
deutlich zu machen. Das ist bisher Olaf Scholz' schwacher Punkt». Die
Verantwortlichen müssten nun «bitte rasch entscheiden», forderte
Walter-Borjans, «notfalls in einer Nachtsitzung.»
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