Bluttropfen kann Leben retten: Babyscreening auf Krankheiten Von Stefanie Järkel, dpa

Mit einem Genomischen Neugeborenen-Screening könnten Babys auf
Hunderte Krankheiten getestet werden. Forscher in Heidelberg und
Mannheim arbeiten an einem flächendeckenden Konzept.

Heidelberg/Mannheim (dpa) - Es sind nur ein Pieks in den Fuß eines
Babys und ein paar Tropfen Blut auf einer Pappkarte - doch mit dem
Neugeborenen-Screening werden seit Ende der 1960er Jahre Leben
gerettet und Lebensqualität geschaffen. «Das Neugeborenen-Screening
ist laut Studien die erfolgreichste Maßnahme, um die Veranlagung für
Krankheiten zu erkennen und dadurch Krankheitsverläufe positiv zu
beeinflussen», sagt Christian Schaaf, Direktor des Instituts für
Humangenetik am Universitätsklinikum Heidelberg. 

19 Krankheiten werden damit erfasst, vor allem
Stoffwechselerkrankungen. Doch dank der Entzifferung des menschlichen
Genoms könnten mit einem Genomischen Neugeborenen-Screening Babys
künftig auch auf Hunderte Krankheiten getestet werden. 

Die Frage ist, wie viel wollen Eltern wissen? Soll auch auf
Krankheiten getestet werden, die erst im Erwachsenenalter ausbrechen?
Oder auf solche, die sich nicht behandeln lassen? Und wie lassen sich
solch sensible Daten sicher speichern? 

Forschungsprojekt New Lives erarbeitet flächendeckendes Konzept

In dem Forschungsprojekt New Lives erarbeiten Wissenschaftler am
Universitätsklinikum Heidelberg sowie an den Universitäten Heidelberg
und Mannheim noch bis zum kommenden Sommer ein flächendeckendes
Konzept - und planen, von 2026 an in Heidelberg als Teil einer Studie
mit einem Angebot des neuen Screenings zu starten. Die Finanzierung
dazu ist beantragt. Allen Eltern von im Schnitt rund 3.000
Neugeborenen an der Uniklinik pro Jahr könnte dann ein Genomisches
Neugeborenen-Screening angeboten werden, wie Schaaf sagt. Für das
Screening wären demnach ebenfalls nur wenige Tropfen Blut notwendig.
Die Ergebnisse sollten innerhalb von weniger als vier Wochen
vorliegen.

Manuela Stecher wurde kurz nach Einführung des
Neugeborenen-Screenings geboren - am 8. Mai 1969 in Pfullendorf,
einer Kleinstadt nördlich des Bodensees. «Ich verdanke dem
Neugeborenen-Screening alles», sagt die Diplom-Betriebswirtin, die
kurz nach der Geburt positiv auf Phenylketonurie, einer schweren
Stoffwechselerkrankung, getestet wurde. Dank des Screenings kann die
Mutter zweier Kinder ein normales Leben führen, wie sie selbst sagt.
«Ich würde jetzt nicht hier so dastehen. Ich wäre schwerst geistig
behindert und hätte nicht dieses Leben.» 

Direkt nach der Diagnose begann für sie eine sehr strenge Diät, die
sie ihr Leben lang einhalten muss. Dabei kann sie nur minimale Mengen
an Eiweiß essen und braucht spezielle Nahrungsmittel, wie sie
erzählt.

Bei einem von etwa 900 Kindern wird eine der seltenen Erkrankungen
entdeckt

Aktuell wird laut Nationalem Screeningreport mit dem
Neugeborenen-Screening bei einem von rund 900 Kindern eine der
getesteten 19 seltenen Krankheiten entdeckt - also etwa bei 0,1
Prozent. Als Teil einer amerikanischen Studie wurden mit dem
Genomischen Neugeborenen-Screening bei drei Prozent der getesteten
Babys ernsthafte gesundheitliche Probleme entdeckt.

Die Heidelberger Forscher sprechen sich bei ihrem Konzept allerdings
zunächst für eine striktere Auswahl der zu testenden genetischen
Erkrankungen aus, wie Schaaf erklärt: Es sollte unter anderem nur auf
Krankheiten getestet werden, die ganz sicher und noch im Kindesalter
ausbrechen sowie auf Krankheiten, die sich behandeln ließen. Der
Wissenschaftler geht davon aus, dass zunächst auf etwa 200
Krankheiten getestet werden könnte - und dabei vermutlich weniger als
ein Prozent der getesteten Babys auffällig wären.

Beim Genomischen Neugeborenen-Screening würde laut Schaaf das gesamte
menschliche Genom ausgelesen. Anschließend werde mit Filtern gezielt
auf genetische Veränderungen geschaut, die für die ausgewählten
Krankheiten verantwortlich seien. «Theoretisch sind diese genetischen
Daten natürlich wie ein Fingerabdruck», sagt der Wissenschaftler. 

Fundierte Beratung der Eltern entscheidend für Akzeptanz des
Screenings

Die Heidelberger Uniklinik sei in der Lage, die Daten sicher zu
speichern, sagt Eva Winkler, Verbundsprecherin von New Lives. Als
Teil ihres Konzepts würden auch nur die genetischen Veränderungen
gespeichert - nicht das ganze Genom. «Die Rohdaten würden wir
löschen», sagt die Professorin für Translationale Medizinethik, die
auch Mitglied im Deutschen Ethikrat ist. Entscheidend für die
Akzeptanz eines solchen Screenings sei auch eine fundierte Beratung
der Eltern, am besten noch während der Schwangerschaft, etwa durch
die Gynäkologen.

Wichtig wäre der Wissenschaftlerin bei einem flächendeckenden Angebot
des Genomischen Neugeborenen-Screenings auch, dass es für alle
bezahlbar bliebe - etwa durch eine Kostenübernahme durch die Kassen.
Aktuell erhalten Kliniken für ein klassisches Neugeborenen-Screening
knapp 45 Euro erstattet, wie Schaaf sagt. Demnach liegen die reinen
Sachkosten für die Sequenzierung eines Genoms aktuell noch bei etwa
1.200 Euro. Allerdings sinken die Preise seit Jahren.

Ein Genomisches Neugeborenen-Screening ist laut Ralf Müller-Terpitz
von der Universität Mannheim rechtlich bereits heute möglich -
zumindest unter Berücksichtigung gewisser Auflagen. So schreibe etwa
das Gendiagnostikgesetz vor, dass die Aufklärung der Eltern zu einem
solchen Screening nur durch Ärzte erfolgen dürfe, sagt der
Rechtswissenschaftler.

Mutter fordert Aufnahme der Krankheit der Tochter in das Screening

Verena Romero aus Hofheim am Taunus bei Frankfurt kämpft seit Jahren
für eine Aufnahme der seltenen genetischen Erkrankung dup15q in das
Neugeborenen-Screening - auch wenn sich die Erkrankung nicht
behandeln lässt. Bei ihrer Tochter Chiara wurde im Alter von 15
Monaten die Diagnose gestellt, wie Romero erzählt. Da hatte die
Familie schon eine monatelange Odyssee von Arzt zu Arzt hinter sich -
und die Tochter Tausende von Anfällen, zunächst gab es den Verdacht
auf Epilepsie. Das Kleinkind verlernte alles. Es sei zurückgefallen
auf den Stand von einem ein oder zwei Monate alten Baby, sagt Romero.
Nach der Diagnose erhält Chiara ein anderes Medikament, das die
Anfälle erst einmal stoppt. 

Romero will anderen betroffenen Familien eine möglicherweise
jahrelange Ungewissheit bis zur Diagnose ersparen. Die Symptome
ließen sich auch mit der Diagnose besser behandeln, sagt sie. Und:
Eine Aufnahme in das Neugeborenen-Screening schaffe die Möglichkeit,
sich frühzeitig mit anderen Betroffenen auszutauschen und sich
gegenseitig zu unterstützen. «Es ist für uns extrem wichtig, dass man

dieses Auffangnetz hat, weil das Versorgungssystem das einfach nicht
abdecken kann.»

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