Zwischen Hilfe und Hass: Was über Taleb A. bekannt ist Von Simon Kremer und Iris Leithold, dpa
Er galt bei den Behörden nicht als Islamist, präsentierte sich als
scharfer Kritiker des Islams. Er kämpfte für Frauenrechte und
arbeitete als Arzt. Aber es gab auch eine andere Seite.
Magdeburg (dpa) - Der Attentäter von Magdeburg passt für Behörden und
Sicherheitsexperten in kein gängiges Schema. In den sozialen
Netzwerken präsentierte er sich als vehementer Kritiker des Islams
und Saudi-Arabiens, engagierte sich aus dem Exil für Frauenrechte in
seiner Heimat. Aber er hat auch eine andere Seite, und das offenbar
schon lange - das wird nun immer deutlicher, nachdem Taleb A. auf dem
Magdeburger Weihnachtsmarkt mindestens fünf Menschen tötete und 200
weitere zum Teil schwer verletzte.
Viele rätseln vor allem über das Motiv des Mannes, der sich zuletzt
immer kritischer auch zu deutschen Behörden und ihnen «geheime
Operationen» vorwarf. Seine teils wirren Äußerungen etwa in sozialen
Netzwerken bieten Spielraum für Interpretationen. Die Behörden sind
sich immer noch nicht im Klaren, ob sie die Tat als politisch
motiviert einstufen.
Taleb A. kam nach Behördenangaben bereits 2006 nach Deutschland. Von
2011 bis Anfang 2016 habe er zunächst in Mecklenburg-Vorpommern
gelebt und in Stralsund einen Teil seiner Facharzt-Ausbildung
absolviert, erklärte der Innenminister des Bundeslandes, Christian
Pegel (SPD). Schon damals wurde er bei den Behörden mehrfach
auffällig - mit der Androhung von Straftaten.
In einem Streit um die Anerkennung von Prüfungsleistungen habe er
gegenüber Vertretern der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern mit einer
Tat gedroht, die internationale Beachtung bekommen werde. Im Zuge von
Ermittlungen habe es auch eine Durchsuchung bei Taleb A. gegeben,
dabei seien aber keine Hinweise auf eine reelle Anschlagsvorbereitung
gefunden worden. Im Jahr 2013 sei Taleb A. vom Amtsgericht Rostock
wegen Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von
Straftaten zu 90 Tagessätzen verurteilt worden.
In der Folge gab es weitere Auffälligkeiten. Den Verdacht der
Nötigung im Januar 2014 etwa, der zu einer Gefährderansprache der
Polizei geführt habe, wie Innenminister Pegel sagte. Der Mann sei auf
Konsequenzen solcher Taten hingewiesen worden und ihm sei gesagt
worden, dass man einen sehr viel genaueren Blick auf ihn haben werde.
Die Richter, die ihn 2013 verurteilt hatten, habe er später in einer
Petitionshotline der Bundesbehörden außerdem als Rassisten
bezeichnet. Er habe dabei Überlegungen angedroht, sich eine Pistole
zu besorgen und im Zweifel Rache an den Richtern nehmen, sagte Pegel.
Als Gefährder sei der Mann aber nicht eingestuft worden.
Als Arzt im Maßregelvollzug: «Er heißt bei uns «Dr. Google»»
Auch nicht von den Behörden in Sachsen-Anhalt, wo Taleb A.
anschließend lebte. Im Februar 2016 beantragte er nach Informationen
der dpa einen Asylantrag, über den im Juli desselben Jahres
entschieden wurde. Der saudische Staatsbürger erhielt Asyl als
politisch Verfolgter.
Er wohnte zuletzt in Bernburg, einer kleinen Stadt knapp 50 Kilometer
von Magdeburg, entfernt. Dort arbeitete er als Facharzt für
Psychiatrie im Maßregelvollzug und kümmerte sich um suchtkranke
Straftäter. Das teilte das Gesundheitsunternehmen Salus mit. Seit
März 2020 sei er in der Einrichtung tätig gewesen. «Seit Ende Oktober
2024 war er urlaubs- und krankheitsbedingt nicht mehr im Dienst»,
hieß es in einer Mitteilung des Unternehmens, das in Bernburg ein
Fachklinikum für Psychiatrie und Suchtmedizin betreibt.
Doch in der Belegschaft gab es offenbar Misstrauen an dem Arzt und
Zweifel an seinen Kompetenzen. Die «Mitteldeutsche Zeitung» zitiert
einen Mitarbeiter: «Er heißt bei uns «Dr. Google».» Vor jeder
gestellten Diagnose habe er im Internet nachschauen müssen. Es habe
auch Hinweise an die Klinikleitung gegeben. Die Klinik wollte sich
auf Anfrage nicht äußern.
Neben seiner Tätigkeit als Arzt ist Taleb A. als Aktivist und
vehementer Islamkritiker unterwegs - vor allem in den sozialen
Netzwerken, wo ihm schon vor dem Anschlag mehr als 40.000 Menschen
folgen. Im Juni 2019 erschien ein Interview mit Taleb A. in der
«Frankfurter Allgemeinen Zeitung»: «Ich bin der aggressivste Kritiker
des Islams in der Geschichte», sagte er damals. Neben seinen
Beiträgen in den sozialen Netzwerken beriet Taleb A. nach eigenen
Aussagen Frauen unter anderem aus Saudi-Arabien bei Asylfragen und
vermittelte deren Kontakt auch an internationale Medien.
Streit mit Flüchtlingshilfe: «Er wird schnell aggressiv.»
Dabei legt er sich auch mit der Säkularen Flüchtlingshilfe
Deutschland an, einem Verein, der sich um die Interessen
atheistischer Flüchtlinge kümmert. Seit 2019 habe es Kontakt mit
Taleb A. nur noch über Anwälte und Gerichte gegeben, hieß es in einem
Statement des Vereins. Nach «übelsten Verleumdungen und verbalen
Angriffen» hätten Mitglieder der Flüchtlingshilfe Anzeige gegen Taleb
A. bei der Polizei erstattet. In diesem Zusammenhang gab es demnach
auch einen Prozess vor dem Landgericht Köln, in dem es um die
Löschung von Social-Media-Posts ging.
Mitglieder des Vereins beschreiben die zwei Seiten des Mannes. «Er
hat zwei Leben gehabt», sagte die iranische Menschenrechtsaktivistin
Mina Ahadi vom Zentralrat der Ex-Muslime der Deutschen
Presse-Agentur. Wenn man länger mit ihm zu tun gehabt habe, habe man
ein komisches Gefühl gehabt. Er habe Mitglieder des Vereins
regelrecht terrorisiert, sagt Ahadi.
Vor einem Jahr habe es eine Strafanzeige gegen den heute 50-Jährigen
gegeben, bestätigte die Staatsanwaltschaft Magdeburg. Eine
Gefährderansprache sei auch hier geplant gewesen, sei aber nicht
durchgeführt worden. Auch Menschenrechtsaktivistin Ahadi spricht von
Drohungen, die Taleb A. während des Prozesses ausgestoßen habe. «Er
wird schnell aggressiv.»
Beiträge in den sozialen Medien werden radikaler
Auch in den sozialen Medien werden seine Beiträge wirrer und
radikaler. «Ich erwarte ernsthaft, dieses Jahr zu sterben», hieß es
auf X-dem Account von Taleb A. im Mai dieses Jahres. «Ich werde
Gerechtigkeit um jeden Preis herbeiführen.» Die deutschen Behörden
würden alle Wege zur Gerechtigkeit blockieren. Ob der Saudi die
Beiträge wirklich alle selbst verfasste, war zunächst nicht klar. Für
Irritation sorgte etwa ein Post, der wenige Minuten nach dem Anschlag
von Magdeburg veröffentlicht wurde.
Saudi-Arabien hatte Deutschland saudischen Sicherheitskreisen zufolge
vor dem Mann gewarnt. Das Königreich habe seine Auslieferung
beantragt. Darauf habe Deutschland nicht reagiert, hieß es. Den
Sicherheitskreisen zufolge stammt er aus der Stadt Al-Hofuf im Osten
Saudi-Arabiens und war Schiit. Nur etwa zehn Prozent der Bevölkerung
in dem mehrheitlich sunnitischen Land sind schiitisch. Es gibt immer
wieder Berichte von Diskriminierungen gegenüber Schiiten im Land.
Erst vor rund zehn Tagen veröffentlichte die amerikanische Plattform
«RAIR», die sich selbst als antimuslimische Graswurzel-Organisation
beschreibt, ein mehr als 45 Minuten langes Interview mit dem Arzt.
Darin wirft er unter anderem der deutschen Polizei vor, «geheime
Operationen» durchzuführen und das Leben von saudischen
Asylsuchenden, die sich vom Islam losgesagt hätten, gezielt zu
zerstören. Zudem äußerte er sich als Fan von X-Inhaber Elon Musk und
der AfD, die die gleichen Ziele wie er verfolge. Gleichzeitig
bezeichnete er sich aber politisch als links. «Ich bin nicht rechts,
ich bin ein Linker.»
Ein Täter, der in kein Schema passt
Der Leitende Oberstaatsanwalt von Magdeburg, Horst Walter Nopens,
sagte am Samstag, das Motiv des Täters könnte Unzufriedenheit über
den Umgang mit Flüchtlingen aus Saudi-Arabien in Deutschland gewesen
sein. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft sagte am Sonntag, die
Äußerungen des Mannes zur Motivlage hätten eher wirr geklungen.
Der Terrorismusexperte Peter Neumann vom King's College in London
betonte im ZDF, wie schwierig es sei, den Attentäter ideologisch
einzuordnen. Er habe nicht in ein bestimmtes Raster gepasst. «Er war
eben kein typischer Islamist. Er war ein Saudi, der sich gegen den
Islam gewendet hat.» Das passe für Behörden nicht so richtig in die
gängigen Schemas rein.
Man wissen aus Studien, dass sich solche Einzeltäter in vielen Fällen
mitteilten gegenüber Bekannten, Freunden, Außenstehenden. «Auch das
hat hier stattgefunden», sagte Neumann. «Er hat das mitgeteilt. Er
hat gesagt, er möchte gegen Deutschland Krieg führen.» Das sei
allerdings auch das Problem, wie solche schwachen Signale einzuordnen
seien. Heute habe man eine Flut von Informationen von Tausenden von
Leuten, die im Internet ähnliche Botschaften sendeten. «Und es ist
ganz, ganz schwierig zu unterscheiden: Wer meint es ernst, und wer
ist nur auf dem Internet und macht Sprüche?»
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