«Monströse Tat» - Aufklärung nach Terrortat erst am Anfang Von Basil Wegener, dpa

Die Todesfahrt von Magdeburg wirft viele Fragen an die Behörden auf.
Die Abgeordneten im Bundestag fangen erst an, nach Antworten zu
forschen.

Berlin (dpa) - Nach dem tödlichen Anschlag von Magdeburg mit fünf
Toten hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) weitere Aufklärung
und besseren Schutz der Bevölkerung zugesichert. Parteiübergreifend
zeigten sich die Abgeordneten nach einer Sondersitzung des
Bundesinnenausschusses bestürzt über die Details der Todesfahrt von
Taleb A. auf dem Weihnachtsmarkt von Sachsen-Anhalts
Landeshauptstadt. Im Zentrum soll bei weiteren Sitzungen in den
kommenden Wochen die Frage stehen, warum die Behörden den Attentäter
nicht stoppten, obwohl er Dutzende Male Gewalt angedroht hatte. 

Faeser betonte nach der Sitzung, viele Fragen könnten nur vor Ort in
Sachsen-Anhalt beantwortet werden. Doch auch die Spitzen von
Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz hätten den Abgeordneten
Auskunft erteilt. «Alle Hintergründe müssen gründlich ermittelt
werden», sagte Faeser. «Hier wird jeder Stein umgedreht.»

Noch ließen die Ermittlungen aber kein klares Bild erkennen. Der
Täter passe in kein gängiges Raster. Er weise psychische
Auffälligkeiten auf, sagte Faeser. Klar sei: «Dieser Täter hat
unfassbar grausam und brutal gehandelt.» Zielgerichtet sei er mit dem
Auto auf die Menschen zugerast. 

Zwei Monate vor der Bundestagswahl kündigte Faeser zudem Konsequenzen
an. Klar sei, «dass wir unsere Sicherheitsbehörden stärken müssen
».
Sie sagte dies vor dem Hintergrund eines Streits zwischen Union und
SPD, den ihre Innenexperten bereits zuvor ausgetragen hatten. 

In Magdeburg hatte ein 50 Jahre alter Mann aus Saudi-Arabien mit
seinem Auto auf dem Weihnachtsmarkt fünf Menschen getötet und rund
230 verletzt. Bereits vor seiner Todesfahrt stand er im Visier von
Sicherheitsbehörden. Er sitzt in Untersuchungshaft.

Was politisch passieren soll

Die CSU-Abgeordnete Andrea Lindholz forderte etwa mehr
Speicherbefugnisse der Behörden bei IP-Adressen. Konstantin von Notz
von den Grünen entgegnete, angesichts der Tatsache, dass der
Magdeburger Täter bekannt sei, erschließe sich ihm nicht, was die
Vorratsdatenspeicherung in dem Fall bringen solle.

Die CSU-Politikerin kündigte zugleich an, dass die Union beim bisher
nicht durchs Parlament gelangten Sicherheitspaket der zerbrochenen
Ampel-Koalition wahrscheinlich noch Dinge mitbeschließt. Die SPD
solle den Weg frei machen durch Anrufung des Vermittlungsausschusses
von Bundestag und Bundesrat. SPD-Innenexperte Sebastian Hartmann
konterte, ohne Blockadehaltung der Union wäre das Vermittlungsgremium
gar nicht nötig gewesen.

Tat und Täter

Doch im Fokus des ersten Tags der parlamentarischen Aufarbeitung der
Geschehnisse von Magdeburg stand die Tat, der Täter und die konkreten
Behördenhandlungen selbst. «Die Tat von Magdeburg ist monströs»,
sagte Hartmann. Bund und Länder müssten nun alles auf den Prüfstand
stellen. 

Wie der AfD-Abgeordnete Gottfried Curio aus der Sitzung berichtete,
hatten die Behörden Dutzende Hinweise, dem als Querulanten bekannten
späteren Täter näher nachzugehen. Auch andere Ausschussmitglieder
bestätigten im Grundsatz, dass es rund 80 Anhaltspunkte dieser Art
gegeben habe. Faeser wurde von Ausschussmitgliedern vorgehalten,
anders als zugesagt, keine lückenlose Liste über die Berührungspunkte

des späteren Täters mit den Behörden vorgelegt zu haben. 

Gegenüber Einrichtungen in Mecklenburg-Vorpommern hatte der Mann
bereits 2013 und 2015 gedroht, wie das dortige Justizministerium nach
Überprüfung früherer Ermittlungen mitteilte. Demnach zeigte er sich
2013 in einem Telefonat mit der Ärztekammer unzufrieden über die aus
seiner Sicht langwierige Bearbeitung seines Antrags auf Zulassung zur
Facharztprüfung und drohte etwas Ähnliches wie den Anschlag auf den
Boston-Marathon am Tag zuvor an. Dort waren fünf Menschen getötet und
260 verletzt worden. Bei einer anschließenden Wohnungsdurchsuchung
fand die Polizei aber keine gefährlichen Gegenstände.

2015 schrieb der Mann demnach in einem Brief an den
Generalstaatsanwalt: «Aus rein postmodernem philosophischem
Blickwinkel sind Sie schmutzige Bakterien die bald vernichtet werden
sollen um das deutsche Volk vor Ihrer Gefahr zu schützen. (...) Dafür
bin ich bereit mein ganzes Leben zu bezahlen.» Ein Ergebnis könne
aber nicht mehr ermittelt werden, da Akten gelöscht seien, berichtete
das Ministerium.

Grüne und FDP verlangen Konsequenzen

Grüne und FDP verlangen, dass jemand die politische Verantwortung für
mutmaßliches Behördenversagen übernimmt. «Ich finde, dass am Ende
eines solchen Geschehens politische Verantwortung übernommen werden
muss», sagte von Notz. Anders als nach der Katastrophe bei der
Duisburger Love Parade oder dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt an
der Berliner Gedächtniskirche müsse diesmal jemand die Verantwortung
übernehmen. FDP-Ausschussmitglied Konstantin Kuhle schloss sich dem
an.

«Was hat die Tat ermöglicht?»

Auch Vertreterinnen und Vertreter anderer Parteien pochten auf
Aufklärung. Hartmann erwartet nach eigenen Worten eine Antwort auf
die Frage: «Was hat die Tat ermöglicht?» Der Mann sei über Jahre
durch «wüsteste Drohungen» behördenbekannt gewesen - aber nicht
aufgehalten worden. Selbst Hinweise aus dem Ausland seien zu ihm
eingegangen, so von Notz.

Lindholz verlangte Information darüber, warum es zu der Todesfahrt
kommen konnte, obwohl der Täter verschiedenen Behörden und anderen
Stellen aufgefallen war. FDP-Ausschussmitglied Kuhle sagte: «Wir
wollen herausarbeiten, warum trotz einer Vielzahl an Auffälligkeiten
keine bessere Gefahrenabwehr erfolgt ist.»

Auch Geheimdienstkontrolleure tagen

Am Vormittag hatte bereits das Parlamentarische Kontrollgremium rund
drei Stunden lang hinter verschlossenen Türen getagt. Den hier
versammelten Geheimdienstkontrolleuren des Bundestags stand unter
anderem der Präsident des Bundeskriminalamts, Holger Münch, Rede und
Antwort.

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