«Cold Case Unit»: Auf der Spur bislang Davongekommener Von André Klohn, dpa

187 Tötungsdelikte sind in Schleswig-Holstein ungeklärt. Ermittler
einer «Cold Case Unit» geben wie im Fall Linde Perrey nicht auf. Und
können selbst bei Erfolgen scheitern.

Kiel (dpa/lno) - Manche Fälle lassen Kriminalisten nicht los. Der
gewaltsame Tod der alleinstehenden und gehörlosen Linde Perrey ist so
einer. «Die Tat erscheint besonders verwerflich», sagt Hajo Plähn,
der Leiter der sogenannten «Cold Case Unit» (CCU) des
Landeskriminalamts in Kiel. «Irgendwie wurmt es mich schon, dass so
eine Tat ungeklärt bleibt.» Fünf Ermittler kümmern sich um schwere

Verbrechen wie dieses.

Die 72-jährige Linde Perrey wurde am 18. Juni 2016 tot in ihrer
Wohnung im Kieler Stadtteil Schreventeich gefunden. Die kranke, nicht
vermögende Frau war auf einen Rollator angewiesen. Geldbörse und
Mantel sind verschwunden. Die Ermittler gehen von einem Mann als
Täter aus.

Plähn und sein Team sind nicht vom aktuellen Tagesgeschäft getrieben.
Sie rollen seit 2015 alte Fälle neu auf. Ihr Fundus enthält 187
ungeklärte Tötungsdelikte aus dem Norden ab Ende der 1960er Jahre.
«Die meisten Kapitalverbrechen in Schleswig-Holstein wurden aber
aufgeklärt», sagt der 60-Jährige.

Tat im Fokus

Die Ermittler schauen sich den Tatort nochmal genau an, gehen die
Akten durch, analysieren die Arbeit ihrer Kollegen und suchen neue
Ansätze. «Wir haben uns den Fall neu erschlossen», sagt Plähn. Bei

Erstbefragungen von Zeugen seien im Fall Perrey in den ersten Jahren
gewisse Frage-Schwerpunkte, die heute im Fokus der Ermittler stünden,
nicht angesprochen worden. Sie gehen zudem neuen Ermittlungsansätzen
nach, befragen neue Zeugen.

Der Fall war auch Thema in der ZDF-Reihe «Aktenzeichen XY...
Ungelöst». Noch immer läuft eine sogenannte DNA-Reihenuntersuchung.
Bereits 1.340 Speichelproben wurden untersucht. Ein Treffer war nicht
dabei. Die Probenabgabe ist freiwillig. Häufig kontaktieren die
Ermittler Menschen, die grundsätzlich in Betracht kommen, persönlich
und befragten diese zugleich, sagt Plähn. Die Verweigerungsquote sei
durch persönliche Kontaktaufnahme relativ gering.

Die Unit hält eine Aufklärung für möglich. «Wir gehen davon aus,
dass
der Täter ein Bezug zu dem Mehrfamilienhaus, in dem Linde Perrey
lebte, zur dortigen Umgebung oder mindestens zum Stadtteil hatte»,
sagt Plähn. Bei ihrer Arbeit nutzen die Beamten nicht nur vergilbte
Akten. Sie können den Tatort auch virtuell erkunden. Ein Hamburger
Team hat ihnen mit Hilfe der Fotos nach der Tat ein 3D-Modell der
Wohnung des Opfers erstellt.

Zur falschen Zeit am falschen Ort?

Die Einheit geht die alten Fälle wie den aus Kiel aber auch mit neuen
Ansätzen an. «Zum Beispiel das Thema Obdachlose im Tathaus und der
näheren Umgebung spielte damals beispielsweise noch keine große
Rolle», sagt Plähn. Mittlerweile gebe es entsprechende Hinweise.
«Aber die Ermittlungen sind nicht soweit gediehen, dass wir sagen
können: Wir glauben, dass es ein Obdachloser war.»

Seine Kollegin Katrin Tönsfeldt schließt nicht aus, dass es sich um
ein Gelegenheitsverbrechen handelte. «Die Tat wurde mit einem hohen
Aggressionspotenzial ausgeführt», sagt die 42-Jährige. «Sie war
einfach skrupellos aufgrund der Opferauswahl.» Ein denkbares
Szenarium sei, dass die Frau schlicht aus Pech zum Opfer wurde. Sie
war regelmäßig mit ihrem Rollator unterwegs zum Supermarkt oder einem
Arzt. Plähn betont, «jemand, der was Böses wollte, fasste sie
möglicherweise ins Auge und folgte ihr, weil er die alte, schwache
Frau für ein geeignetes Opfer hielt».

Ermittlung ohne Anklage

Zu den ungeklärten Gewaltverbrechen gehört auch der Tod der
angehenden Bademeisterin Jeanette G. aus Damp. Die Leiche der
21-Jährigen wird am 18. Juli 1994 im Kofferraum eines brennenden
Autos gefunden. 18 Jahre nach ihrem Tod gibt es bei einer
Untersuchung von Spuren unter den Fingern der Frau einen Treffer in
der bundesweiten DNA-Datenbank, weil ein zu diesem Zeitpunkt in
Bremerhaven lebender Mann bereits strafrechtlich in Erscheinung
getreten war.

«Der Mann hat von Anfang an nicht den Eindruck vermittelt, dass er
sich irgendwas von der Seele reden müsste», sagt der Kieler
Oberstaatsanwalt Achim Hackethal. Er habe beharrlich geschwiegen,
sowohl bei der Durchsuchung seiner Wohnung als auch bei der Eröffnung
des Haftbefehls. Zur Anklage kam es nie.

«Das ist maximal frustrierend, denn ganz ehrlich: Wir hatten ihn»,
sagt Hackethal. Zwar war unter den Fingernägeln der Frau das
Erbmaterial des Tatverdächtigen sichergestellt worden, im Mund des
Opfers aber auch eine Spermaspur, die nicht zu dem Mann passte. Der
Anwalt des Mannes legte erfolgreich Beschwerde gegen den Haftbefehl
ein.

«An der Stelle endete das dann 2012», sagt Hackethal. Durch
Laborergebnisse schied ein Verdeckungsmord aus. «Alles, was strafbar
wäre, wo ein dringender Tatverdacht bestand, war bereits verjährt.»
Ein Tötungsvorsatz sei nicht nachzuweisen gewesen. Den mittlerweile
existierenden Straftatbestand der Brandstiftung mit Todesfolge habe
es noch nicht gegeben. «Das Opfer starb an einer
Rauchgasintoxikation, sie ist also lebend ins Feuer gekommen.»
Wahrscheinlich sei sie bewusstlos gewesen.

Hackethal geht davon aus, dass die 21-Jährige den Täter als Anhalter
mitnahm. «Aus meiner heutigen Sicht würde ich sagen, der Grundfehler
in unseren Ermittlungen war, dass wir uns auf diese Sexualmordthese
festgelegt hatten.» Er habe Sympathie für die damals vom Landgericht
angeführte These, dass Jeanette G. in Zeitnot gewesen sei, weil sie
vorher einen Sexualkontakt hatte. Fest steht: Ein Zeuge hatte sie
ungewöhnlich spät mit dem Auto auf dem Weg ins Spaßbad beobachtet.
Der Grund dafür sei aber völlig offen geblieben, sagte Hackethal.

«Man geht Hunderten von Spuren nach, kommt aber letztlich nicht
weiter», sagt Hackethal. In der Mordkommission sei eine Ermittlerin
aber weiterhin mit dem Fall beschäftigt. Wie groß die Chancen sind,
diesen nach mehr als 30 Jahren noch zu lösen? «Gering», sagt
Hackethal. «Der Fall ist tatsächlich nie wirklich zu den Akten gelegt
worden. Das ist einer von denen, die einen immer so ein bisschen
begleiten.» Abseits der juristischen Frage der Verjährung von
Straftaten bleibe das kriminalistische Interesse der Aufklärung.
«Aber wir bräuchten einen Impuls von außen, der uns noch einmal eine

andere Ermittlungsrichtung aufzeigt.»

Kommt ein Treffer?

Soweit sind die Ermittler im Fall Perrey noch nicht. Anfang 2024
wandte sich die «Cold Case Unit» ein zweites Mal mit einem
Phantombild an die Öffentlichkeit. Die Ermittler suchen nach einem
zum Tatzeitpunkt 55 bis 60 Jahre alten Mann mit kräftiger Statur und
kurzen, grauen Haaren, ausdrücklich jedoch als Zeugen und nicht als
Beschuldigten.

Etwa seit 2000 nimmt die Zahl der ungeklärten Mordfälle dank der
DNA-Tests ab. «Wir haben das Tatortumfeld und den Stadtteil
mittlerweile sehr intensiv überprüft», sagt Plähn. Die Ermittler
seien die damaligen Zeugen erneut angegangen, hätten sämtliche
polizeilichen Systeme und verschiedenste Quellen zur Erlangung neuer
Ermittlungsspuren, neuen Zeugen und Überprüfungspersonen bemüht. 

«Früher oder später fassen wir den Täter auf jeden Fall», sagt
Tönsfeldt. «Ich gehe davon aus, dass der Täter irgendwann Fehler
machen und es dann einen DNA-Treffer geben wird.» Wird nach einem
Verbrechen DNA-Material sichergestellt, das mit dem des Kieler Falls
identisch ist, erhält die Unit automatisch Nachricht. Und wenn es
soweit ist? «Dann wird ermittelt.» Denn bis zur Verurteilung sei es
ein langer Weg.

Es sei eine ziemlich vornehme Aufgabe für die Polizei, sich diesen
Fällen noch einmal intensiv zu widmen, sagt Teamleiter Plähn. Ähnlich

sieht es seine Kollegin Tönsfeldt: «Die Opfer haben einfach einen
Anspruch auf Klärung. Und die Angehörigen auch.»

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