Begleiter im letzten Lebensabschnitt von Maurice Dirker und Stefan Rampfel , dpa
In Göttingen lassen sich Ehrenamtler ausbilden, um in der
Palliativmedizin mitzuarbeiten. Was motiviert diese Menschen für ihr
Ehrenamt?
Göttingen (dpa/lni) - Wer auf die Palliativstation kommt, für den ist
das Ende seines Lebens oft absehbar. Positive Gedanken dürften die
wenigsten Menschen mit diesen Orten verbinden. «Dabei ist das ein
schöner Ort, es riecht dort gut», sagt Iris Ranke-Greve. Sie weiß,
wie eine Palliativstation von innen aussieht, denn sie lässt sich in
Göttingen als ehrenamtliche Hilfskraft für Palliativ- und
Hospizarbeit ausbilden. Wie kommen sie und rund 100 weitere Menschen
dazu, ein solches Ehrenamt auszuüben?
Die 66 Jahre alte ehemalige Hautärztin lernte beim Tod ihrer eigenen
Eltern erstmals die Arbeit der Ehrenamtlichen kennen. Mit dem
Eintritt in ihren Ruhestand suchte sie dann nach neuen Möglichkeiten,
die Umgang mit Menschen bieten - ohne die ärztliche Verantwortung. Da
sei ihr die Entscheidung für die ehrenamtliche Ausbildung leicht
gefallen.
Zusammen mit gut einem Dutzend anderer Menschen absolviert sie
derzeit einen 100-Stunden-Kurs. Mit dem ersten von drei
Teilabschnitten - dem Grundkurs - ist sie inzwischen fertig. Nach
dieser Ausbildung begleiten die Ehrenamtlichen ihnen zugeteilte
Menschen mit schweren Erkrankungen sowie deren Familie und Freunde -
als Gesprächspartner, Haushaltshilfen oder etwa Spielpartner. Wie oft
und in welchem Umfang sich Betroffene und Ehrenamtliche treffen und
auch wo - etwa zu Hause oder auf der Palliativstation - hängt dabei
immer vom Einzelfall ab. Das kostenlose Angebot des sogenannten
Ehrenamtlichen Dienstes an der Universitätsmedizin Göttingen gibt es
seit 2008.
In ganz Niedersachsen gibt es laut dem Hospiz- und Palliativverband
Niedersachsen 124 vergleichbare Einrichtungen sowie 40 stationäre
Hospize. Zusammen sind dort mehr als 4.500 Ehrenamtliche tätig. Deren
Engagement für schwer erkrankte und sterbende Menschen sei Ausdruck
einer solidarischen Gesellschaft, sagt Verbandschef Ulrich
Kreutzberg. Nicht zuletzt mit Blick auf den demografischen Wandel
bleibe diese Aufgabe auch in Zukunft wichtig. Bisher würden sich aber
auch immer wieder tatkräftige Menschen finden.
Rund 100 Ehrenamtliche
So wie in Göttingen, wo derzeit rund 100 Ehrenamtliche im Einsatz
sind. Die Menschen, auf die die Ehrenamtler treffen, seien dabei
ebenso unterschiedlich wie sie selbst. «Manche Betroffene können mit
ihrer Familie nicht gut über ihre Krankheit sprechen, andere suchen
Menschen, mit denen sie mal nicht über ihre Krankheit sprechen müssen
- das ist die Spannbreite», sagt Gregor Dreizehnter, der den
Ausbildungskurs zusammen mit der Sozialpädagogin Kathrin Heiß leitet.
Die Ehrenamtlichen selbst seien Studierende bis hin zu Rentnern und
Rentnerinnen und kämen aus allen sozialen Schichten. Nur eines sind
sie nicht, betont Dreizehnter: «Sie sind keine Lückenfüller für die
medizinische Arbeit auf der Palliativstation.»
Viele hatten vorher noch keine medizinische Erfahrung, sondern sind
durch Schicksalsschläge mit dem Thema in Berührung gekommen, wie
Jessica Pohl und Oliver Ohanecian, die jeweils plötzlich ihre beste
Freundin verloren haben. «Das ist auch ein Stück weit eigene
Trauerverarbeitung», sagt Pohl. Wieder andere wie der 22-jährige
Jesse Mehnert hatten noch nicht viele Berührungspunkte mit dem Tod,
finden das Thema aber wichtig. Er sagt: «Ich denke, es lohnt sich für
jeden, sich mit dem Thema zu beschäftigen.»
Denn: Vor allem im Grundkurs beschäftigen sich die zukünftigen
Ehrenamtlichen auch viel mit sich selbst, erklärt Dreizehnter. «Das
ist viel Arbeit im eigenen Kopf.» Pohl sagt etwa, der Kurs habe sie
feinfühliger gemacht. Und: «Ich fühle mich jetzt besser auf den
nächsten Tod vorbereitet. Ich habe keine Angst mehr.» Einblicke in
die praktische Arbeit erhalten die Ehrenamtler ab dem zweiten
Teilabschnitt der Ausbildung.
Leichte und schwere Gespräche
So stehen sich die Teilnehmer zum Abschluss des Grundkurses sich bei
einer Übung auf einem Parkplatz gegenüber. Wer rechts steht, ist bei
den Toten, links bei den Lebenden - zwischen ihnen ein symbolischer
Fluss. Sie nennen Stichworte, die Ihnen zu Leben und Tod einfallen:
Liebe, fühlen, tanzen, alleine, Frieden, schmerzhaft. Manche Worte
fallen auf beiden Seiten, etwa Licht oder Trauer. Später diskutieren
die Teilnehmer untereinander über die Übung.
Auch das gefällt den Teilnehmern an dem Kurs: Die Gemeinschaft und
das Treffen von Leuten, denen man sonst vielleicht nie begegnet wäre.
«Mit meinen Freundinnen und Freunden kann ich nicht so gut über das
Thema Tod sprechen», sagt die 42-jährige Pohl. «Hier können wir uns
trauen, emotional zu sein», sagt Ranke-Greve. Die Gespräche seien
dabei mal leicht und auch mal schwer, sagt Mehnert.
Der Tod sei ein verbindendes Thema, sagt der 56-jährige Ohanecian,
der sich unter anderem als studierter Theologe und Buddhist schon
viel mit dem Tod befasst habe. Er und auch die anderen
Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmer hoffen deshalb auch, dass Tod
und Sterben in Zukunft nicht mehr so ein Tabu-Thema in Deutschland
sind, wie derzeit. Nicht zuletzt mit Blick auf die alternde
Gesellschaft und etwa den damit verbundenen Pflegekräftebedarf sei es
aus ihrer Sicht wichtig, das Thema Tod nicht immer an die Seite zu
schieben. Mexiko, wo jedes Jahr der Tag der Toten gefeiert wird, sei
da ein gutes Vorbild.
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