Komplette Erfassung und Infektionsanstieg führen zu Rekordkrankenstand
Warum melden sich in Deutschland mehr Menschen krank als anderswo?
Die Forderung nach einem Karenztag gegens «Blaumachen» rückt die
vielen Fehltage in den Fokus. Doch die Gründe liegen anderswo.
Berlin (dpa) - Der Rekordkrankenstand in Deutschland geht laut
Bundesärztekammer und einer neuen Studie hauptsächlich auf die
elektronische Krankmeldung sowie auf verstärkte Infektionswellen
zurück. Bei den Fehltagen gab es erstmals von 2021 auf 2022 einen
sprunghaften Anstieg um fast 40 Prozent, wie die neue Studie der
Krankenkasse DAK-Gesundheit zeigt.
Ärztepräsident Klaus Reinhardt sagte in Berlin, in der Statistik
seien die Krankschreibungen mit Einführung der elektronischen
Krankschreibung (eAU) 2021 auf einem Schlag in die Höhe gegangen.
Heute gebe es eine Erfassung sämtlicher Krankschreibungen zu 100
Prozent. «Die hatten wir bis zur Einführung der eAU nicht, weil der
Versicherte (...) den Zettel, der an die Krankenkasse ging, häufig
gar nicht weggeschickt hat, sondern nur den, der an seinen
Arbeitgeber ging.»
Studie: Meldeeffekt 60 Prozent
Laut der DAK-Studie zum deutschen Rekordkrankenstand beträgt der
Meldeeffekt - je nach Diagnose - rund 60 Prozent und mehr. Die
Erhebung liegt der Deutschen Presse-Agentur (dpa) vor. «Ein Drittel
der zusätzlichen Fehltage ergibt sich seit 2022 zudem durch
verstärkte Erkältungswellen und Corona-Infektionen», so die DAK
weiter.
Das beobachtet auch Reinhardt aktuell in einer Bielefelder
Stadtteilpraxis, in der er seit seiner Amtsübernahme bei der Kammer
in der Regel nur noch montags arbeitet. Von seinem Einsatz vom Vortag
berichtete er: «Da waren richtig viele Menschen.»
Ein weiterer «künstlicher» Effekt
Viele seien darunter gewesen, «die eine
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung brauchten aufgrund eines relativ
banalen Effektes». Die Patientinnen und Patienten seien deshalb am
ersten Tag gekommen, «weil das die Arbeitgeber entsprechend
verlangten». Dieser Effekt sei «künstlich gemacht», sagte Reinhardt
.
Insgesamt neigen die Menschen in Deutschland seiner Erfahrung nach
nicht dazu, sich krankzumelden, obwohl sie eigentlich gesund sind,
wie der Ärztepräsident sagte. Vielmehr gingen viele auch bei
Bagatellerkrankungen zum Arzt. Viele Firmen verlangten eine
Bescheinigung von dort schon am ersten Krankheitstag, meinte
Reinhardt.
Debatte über Karenztag
Am Vortag hatte der Allianz-Vorstandsvorsitzende eine Debatte über
den Krankenstand in Deutschland angestoßen. Dieser liegt statistisch
im internationalen Vergleich hoch. Bäte sprach sich in einem
Interview dafür aus, die Lohnfortzahlung am ersten Krankheitstag zu
streichen. Daraufhin hagelte es Kritik, etwa vom Deutschen
Gewerkschaftsbund (DGB). Der DGB warnte vor Folgekosten und
Ansteckungs- und Unfallgefahren durch immer zahlreichere Fälle von
krank bei der Arbeit erscheinenden Personen. In der Bundesrepublik
gilt - anders als in einigen anderen Ländern - seit Jahrzehnten die
Lohnfortzahlung ab dem ersten Krankheitstag.
Statistik zur Krankschreibung
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes waren Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer in Deutschland 2023 durchschnittlich 15,1
Arbeitstage krankgemeldet. Die DAK-Gesundheit weist für 2023 einen
höheren Durchschnittswert aus: Demnach hatte weit über die Hälfte der
DAK-Versicherten von Januar bis Dezember 2023 mindestens eine
Krankschreibung, im Gesamtjahr waren es im Schnitt 20 Fehltage pro
Kopf.
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