Das Geschäft mit der Glatze Von Anne Pollmann, dpa
Die Türkei ist bekannt für tolle Strände, außerordentliche
Gastfreundschaft - und für Haartransplantationen. Jahrelang gilt das
Land als das Mekka der Behandlung. Ob das so bleibt, ist fraglich.
Istanbul (dpa) - Männer mit blutig angeschwollener Kopfhaut gehören
zum festen Bestandteil des Istanbuler Stadtbildes - egal ob auf
Einkaufsstraßen oder vor touristischen Sehenswürdigkeiten.
Schätzungsweise 5.000 Kliniken machen die türkische Metropole am
Bosporus zu einem Mekka der Haartransplantationen. Über die Zukunft
des Haar-Hubs Istanbul gehen die Meinungen auseinander.
Gerade in den Wintermonaten haben die Kliniken Hochsaison. Eine der
Tausenden Haar-Behandlungen in dieser Saison passiert auf dem Kopf
des Züricher Aydin Kesti. An einem Tag im Dezember liegt der
27-Jährige auf der Behandlungsliege. Medizinisches Personal setzt ihm
Haarwurzeln ein, während er über einen Tropf Schmerzmittel bekommt,
von denen er ein wenig benommen scheint.
Die Haare lasse er sich für sein Ego machen, sagt er. «Alles 1A»,
bewertet er seinen Klinikaufenthalt. Die Haartransplantation
verbindet der junge Mann mit einem Kurzurlaub in Istanbul. Für die
Asmed-Klinik habe er sich wegen einer Empfehlung entschieden,
berichtet der 27-Jährige.
Haartransplantation ist «Mainstream»
In den vielen Kliniken der Stadt geht es längst nicht mehr nur ums
Kopfhaar. Auch Bärte, Schnauzer, Augenbrauen oder manchmal auch
Brusthaar werden behandelt, wie verschiedene Einrichtungen berichten.
Mancherorts kann neben der Haar-Behandlung auch gleich eine Nasen-Op
oder ein anderer Schönheitseingriff dazugebucht werden.
«Die Nachfrage nach Haartransplantationen hat enorm zugenommen in den
vergangenen Jahren», heißt es aus der Klinik Serkan Aygin. Umgeben
von einer Menge Kunst an den Wänden geht es dort fast zu wie am
Fließband. An der klinikeigenen Kaffeebar sitzen kahlgeschorene
Männer und warten auf den nächsten Schritt ihrer Behandlung. Andere
haben den Eingriff bereits hinter sich, wie ihr blutiger Kopf
verrät.
Auch immer mehr Frauen ließen sich behandeln, heißt es von der
Klinik. «Was früher eine diskrete Mission war, ist heute fast zum
Mainstream geworden.» In sozialen Medien sprechen Menschen nun offen
über ihre Transplantationen. Die Klinik macht sich das zunutze und
arbeitet etwa mit Influencern zusammen.
Risiken des Eingriffs
Insgesamt 1,5 Millionen Gesundheitstouristen kamen 2023 in die
Türkei, erklärt der staatliche Tourismusverband Türsab. Dabei werden
nicht nur Haartransplantation vorgenommen - aber das ist der
zweithäufigste Eingriff.
Aus Deutschland reisten im vergangenen Jahr 100.000 Menschen in das
Land, um sich die Haare machen zu lassen, sich einer
Schönheitsoperation zu unterziehen, einen Augeneingriff oder eine
andere Behandlungen vornehmen zu lassen, so der Verband.
Dass Haartransplantationen in der Türkei auch einmal schiefgehen
können, liest man in Foren im Internet häufiger. Deutsche Nutzer
beklagen etwa, dass die Haare in die falsche Richtung wachsen oder
nach einigen Jahren wieder ausfallen.
Zukunft der Branche in der Türkei
«Es gibt so viele gute wie schlechte Kliniken in Istanbul», meint
Koray Erdogan, Arzt und Gründer der Klinik Asmed. Als er seine Klinik
2001 eröffnete, sei es gängige Methode gewesen, ganze Hautstreifen
vom Hinterkopf zu entnehmen. Anfang der 2000er habe man mit der
Entnahme einzelner Haarwurzeln begonnen, ohne dass Hautteile entfernt
wurden und dadurch eine Narbe entstand. Eine «Revolution für die
Haartransplantation», sagt Erdogan.
In der Türkei habe sich die neue Methode schnell verbreitet. In
Europa und den USA aber habe man den Trend nicht erkannt. 2011 noch
sei er damit in der US-Metropole Boston auf Unverständnis gestoßen.
«Das hat der Türkei genutzt», meint Erdogan. Außerdem sei es bei ih
m
in Land preiswerter als anderswo gewesen.
«Die goldenen Zeiten in der Türkei neigen sich dem Ende zu»
Erdogan bezweifelt allerdings, dass sich die Türkei in den kommenden
Jahren auf dem Gebiet behaupten können wird. Tatsächlich entwickelt
sich der Gesundheitstourismus nicht so, wie erhofft. Laut
Gesundheitsministerium bleiben die aktuellen Zahlen hinter den
Erwartungen zurück.
Im Jahr 2023 nahm der Staat laut Statistikbehörde etwa 2,3 Milliarden
US-Dollar (heute: 2,3 Milliarden Euro) aus dem Gesundheitstourismus
ein. Blickt man auf Prognosen aus der Vergangenheit, sollte der
Sektor ganz andere Zahlen erreichen. Vor rund zehn Jahren meinte der
Tourismusverband Türsab, die Einnahmen für das Jahr 2023 könnten im
Bereich von 20 bis 25 Milliarden Euro liegen.
«Die goldenen Zeiten in der Türkei neigen sich dem Ende zu», meint
Doktor Erdogan. Mittlerweile würden Kliniken in Europa
Haar-Behandlungen für 2.000 Euro anbieten. «Das hat es früher nicht
gegeben.» Die Reise an den Bosporus werde damit oft hinfällig.
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