DGB unterstützt Habecks umstrittenen Sozialvorstoß - weiter Kritik
Die Debatte um Habecks umstrittenen Vorstoß für mehr Sozialbeiträge
in Deutschland reißt nicht ab. Werden künftig auch Aktienanleger zur
Kasse gebeten? Nicht alle sind dagegen.
Berlin (dpa) - Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) begrüßt den
umstrittenen Vorstoß von Grünen-Spitzenkandidat Robert Habeck zur
Heranziehung von Kapitalgewinnen zur Finanzierung der Sozialbeiträge.
«Robert Habeck liegt richtig», sagte DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel
der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Grundsätzliche Offenheit für
eine Heranziehung von mehr Beitragszahlenden für die Solidarsysteme
zeigte der Arbeitnehmerflügel der CDU, die CDA.
«Es ist doch so, dass unsere Gesellschaft immer vermögender wird, die
wenigsten Menschen aber durch Arbeit reich werden», sagte der
CDA-Vorsitzende Dennis Radtke. Ohne langfristige Anpassung an diese
Entwicklung gehe die Akzeptanz der Abgaben zurück. «Dem sollten wir
frühzeitig zuvorkommen», sagte Radtke. «Grundsätzlich bin ich off
en
dafür, die Finanzierung der Sozialversicherungen auf breitere Beine
zu stellen.»
AfD und SPD gegen Habecks Vorschlag
Habeck hatte vorgeschlagen, Einkünfte aus Kapitalerträgen auch zur
Finanzierung etwa der Krankenversicherung zu verbeitragen. Keine
sechs Wochen vor der Bundestagswahl kamen von CSU und FDP harsche
Reaktionen. Ihre Parteispitzen warnten vor einem Griff in die Taschen
der Menschen.
Die Kritik hält an. Der Vize-Bundessprecher der AfD, Peter
Boehringer, sagte laut einer Mitteilung: «Der Vorschlag von Robert
Habeck, Kapitalerträge künftig mit Sozialabgaben zu belasten, ist ein
Schlag ins Gesicht der deutschen Sparer.» Serpil Midyatli,
SPD-Vizechefin und Schleswig-Holsteins SPD-Fraktionschefin, sagte:
«Anstatt Menschen, die fürs Alter vorsorgen, zusätzlich zur Kasse zu
bitten, wollen wir, dass sich alle solidarisch an der Finanzierung
der Krankenversicherung beteiligen.» Eine solche Bürgerversicherung
unter Einbeziehung aller Einkommen, auch Kapitaleinkünften, wollen
auch die Grünen, etwa ausweislich ihres Grundsatzprogramms 2020.
Auch die FDP legte nach: «Grüne Politik ist immer gleich: Es wird
versprochen, dass es nichts kosten oder nur die sogenannten Reichen
treffen würde», sagte der designierte Generalsekretär Marco
Buschmann. «Die Wahrheit ist: Es trifft immer normale Leute, die sich
durch Leistung etwas aufbauen wollen.»
DGB: «Arbeitnehmer brauchen dringend Entlastung»
Habeck war gefragt worden, wie er den steigenden
Krankenkassenbeiträgen begegnen wolle. So hatte die Techniker
Krankenkasse vor einem Anstieg von derzeit 14,6 plus im Schnitt 2,91
(Zusatzbeitrag) auf künftig 20 Prozent gewarnt. Hauptgründe des seit
Jahren spürbaren Beitragsanstiegs sind der medizinisch-technische
Fortschritt, die Alterung sowie Reformen für bessere Bedingungen in
der Pflege und für die Versorgung der Patientinnen und Patienten.
Piel sagte: «Arbeitnehmer brauchen dringend Entlastung.» Der DGB
fordere schon lange, Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung
auch von Kapitaleinkünften zu erheben. Das sei gerechter. «Wichtig
ist, dafür einen Freibetrag festzulegen.» Sonst würde belastet, wer
schon hohe Beiträge zahle. Doch beteiligt werden müssten die wirklich
großen Vermögen. «Starke Schultern können einfach mehr stemmen.»
Kassenkreise: «Wenn Reiche mehr zahlen, könnten Beiträge sinken»
In Kreisen der Krankenkassen wird Habecks Vorschlag zumindest
teilweise als gangbar diskutiert. «Reiche Personen mit hohen
Kapitaleinkünften zahlen heute fast nichts», heißt es nach
Informationen der Deutschen Presse-Agentur dort etwa. «Wenn Reiche
ernsthaft mehr zahlen, könnten die Beiträge sinken.» Aber so ein
Modell müsse genau konzipiert und gerechnet werden, so dass die
gewünschten Effekte erzielt würden.
Radtke nannte eine nachhaltige Finanzierung der
Sozialversicherungssysteme «eine der großen Aufgaben der kommenden
Regierung». Habecks Idee aber schloss sich der CDA-Chef ausdrücklich
nicht an. Für Schnellschüsse im Wahlkampf eigne sich das Thema nicht.
Beitragsmittel und Steuergelder müssten wieder getrennt werden. «Da
muss dringend aufgeräumt werden.» Der Vorsitzende der
Arbeitnehmergruppe der Unionsfraktion, Axel Knoerig, sagte: «Bei
Habecks Vorstoß fehlt mir, wie wir die arbeitende Mitte, die nebenher
privat etwas vorsorgt, entlasten können.»
Grüne: Durchdachtes Konzept
Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge verteidigte Habecks Vorstoß.
Es gehe dabei nicht um Menschen mit ein bisschen Geld auf dem Konto.
«Dass die nicht gemeint sind, ist sonnenklar in der Debatte», sagte
sie in Berlin. Es gehe um ein durchdachtes Konzept mit hohen
Freibeträgen. Zahlen nannte auch Dröge nicht.
Habeck betonte, es gehe um die «Einbeziehung der Kapitaleinkünfte von
Leuten, die große Kapitaleinkünfte haben». Derzeit würde der Druck
auf die Löhne der arbeitenden Bevölkerung immer höher. Am Abend sagte
er in einem Interview mit dem Sender RTL, es gehe um Millionäre bei
seinem Vorstoß. «Der Kleinsparer muss sich keine Sorgen machen»,
führte er aus. «Es geht nicht um normale Sparer, es geht nicht um die
Altersvorsorge. Es geht darum, dass Leute statt zu arbeiten, ihr Geld
für sich arbeiten lassen.»
Die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt sagte im «Frühstart»
von
ntv und RTL: «Wenn man Gerechtigkeit will, (...) dann muss man auch
ehrliche Vorschläge machen.»
Die Anlegerschützer vom DSW werten Habecks Idee als «eine Attacke auf
die private Altersvorsorge» der Bürger. «Denn es würde ausschließ
lich
Privatanleger treffen, da die größeren Vermögen in
Kapitalgesellschaften gebunden sind», sagte Hauptgeschäftsführer Marc
Tüngler.
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