Was bringt das digitale «Zeitalter» für Patienten? Von Sascha Meyer, dpa
Für die schleppende Digitalisierung im Gesundheitswesen sollen sie
ein Durchbruch sein: E-Akten für Patienten gehen jetzt auf breiter
Front ans Netz. Die Großoperation startet aber schrittweise.
Berlin (dpa) - Wichtige Gesundheitsdaten wie Befunde, Laborwerte und
Medikamente können Millionen Versicherte künftig digital parat haben
- in elektronischen Patientenakten (ePA), die jetzt in den
Masseneinsatz starten. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach
(SPD) sagte, mehr als 20 Jahre nach der Ursprungsidee werde dies
endlich Realität. «Die elektronische Patientenakte ist sicher und
macht bessere Behandlung und Forschung möglich.» Ärzte und
Patientenvertreter mahnten eine unkomplizierte Alltagsnutzung und
noch weitere Vorkehrungen zur Datensicherheit an.
Kontrollierter Auftakt in drei Regionen
Alle gesetzlich Versicherten, die nicht widersprochen haben, bekommen
nun nach und nach eine ePA von ihrer Krankenkasse eingerichtet. Das
dürfte sich über zwei bis vier Wochen hinziehen, hieß es vom
Ministerium. Denn gerechnet wird mit mehr als 70 Millionen E-Akten.
Am Mittwoch startete auch der konkrete Einsatz - aber nicht gleich
überall, sondern in drei Modellregionen. In Hamburg mit Umland,
Franken und Teilen Nordrhein-Westfalens sollen rund 300 Praxen,
Apotheken und Kliniken loslegen und Daten einstellen. Getestet werden
soll etwa das Hochladen und das Zusammenspiel mit den üblichen
Praxissystemen.
Die nächste Etappe
Wenn das System in den Testregionen stabil funktioniert, soll das
«Go» für ganz Deutschland folgen. Klar sein soll das nach
Auswertungen frühestens nach vier Wochen. Wohl im März oder April
soll die ePA bundesweit anlaufen, wie Lauterbach ankündigte. Dann
muss auch die technische Anbindung in 150.000
Gesundheitseinrichtungen in der ganzen Republik startbereit sein.
Dafür, wie Versicherte erfahren, dass ihre Kasse die ePA für sie
eingerichtet hat, gibt es verschiedene Vorgehensweisen, wie es beim
Spitzenverband hieß - etwa als Push-Nachricht in der Kassen-App oder
mit einer Info auf der Homepage.
Mehr Einblicke für Versicherte
Für Patienten bringt die E-Akte neue Transparenz über
Behandlungsdaten. So werde man ein «mündiger Patient» und könne sic
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Befunde auch von anderen Ärzten erläutern lassen, sagte Lauterbach.
Dabei gilt: Man kann in seine ePA schauen und Daten einstellen, muss
es aber nicht. Einsehen kann man die E-Akte über eine App der Kasse
auf Smartphones, Tablets oder Laptops. Was Ärzte einstellen und wer
worauf zugreifen darf, kann jeweils festgelegt werden. Bei
Kassenwechsel kann man die Daten mitnehmen. Generell bleibt die ePA
freiwillig, man kann auch später noch widersprechen und sie löschen
lassen.
Wichtige Dokumente gebündelt
Das Kernziel ist, verstreute Daten zusammenzuführen und damit eine
bessere Behandlung zu ermöglichen. In Praxen sei es oft so, dass
Dokumente früherer Behandlungen fehlten oder es gar nichts gebe,
erläuterte die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV). Künftig
sollen wichtige Angaben auf einen Blick bereitstehen und auch
Mehrfachuntersuchungen und Arznei-Wechselwirkungen besser vermeiden.
Allein mit Blick auf Unverträglichkeiten von Medikamenten könnten
Zehntausende Leben im Jahr gerettet werden, sagte Lauterbach.
Umstellung auf «Opt-out»
Der Start der «ePA für alle» soll nun der «Beginn eines neuen
Zeitalters der Digitalisierung» des Gesundheitssystems sein, wie es
Lauterbach nannte. Als wählbares Angebot, um das man sich aktiv
kümmern musste, waren E-Akten 2021 eingeführt worden. Sie wurden aber
kaum genutzt: Zu Jahresbeginn gab es 1,9 Millionen bei mehr als 74
Millionen gesetzlich Versicherten. Ein Gesetz der Ampel-Koalition
kehrte daher das Prinzip um: Nun bekommen alle eine ePA, außer man
widerspricht aktiv (Opt-out). Die Widerspruchsquote liegt jetzt im
Schnitt bei fünf Prozent. Auch private Versicherungen können ePAs
anbieten.
Zugriffsrecht für Ärzte für 90 Tage
Wenn man in der Praxis die Versichertenkarte einsteckt, bekommen
Ärztinnen und Ärzte ein Zugriffsrecht zum Lesen und Füllen der ePA.
Standardmäßig gilt es für 90 Tage, man kann die Spanne über die App
verkürzen und verlängern. Patienten können in der Sprechstunde
bestimmen, wenn ein Befund nicht in die Akte hinein soll. Bei
sensiblen Daten müssen sie auch ausdrücklich auf dieses
Widerspruchsrecht hingewiesen werden. Die Verbraucherzentralen pochen
auf unkomplizierte Einstellungen, welcher Mediziner was einsehen
kann. «Sonst erfährt am Ende die Zahnarztpraxis von der
Psychotherapiebehandlung.»
Schrittweise mehr Inhalte
Ärztinnen und Ärzte sind nun verpflichtet, wichtige Dokumente in die
E-Akte einzustellen. Gleich zum Start soll auch eine Liste der
Medikamente enthalten sein, die automatisch aus den inzwischen
üblichen E-Rezepten erstellt wird. Ab Sommer soll als nächstes ein
Medikationsplan mit zusätzlichen Angaben etwa zu Dosierungen von
Arzneimitteln dazukommen. Die KBV weist darauf hin, dass die ePA als
«versichertengeführte» Akte die eigene Dokumentation der Ärzte in
ihrem jeweiligen Praxissystem nicht ersetzt. Auch eine direkte
Kommunikation zwischen Praxen bleibe wichtig, zumal Versicherte Daten
löschen können.
Schutz der sensiblen Gesundheitsdaten
Lauterbach versicherte: «Die Daten der Bürger sind sicher vor
Hackern.» Zuvor hatte der Chaos Computer Club vor
Angriffsmöglichkeiten gewarnt. Die mehrheitlich bundeseigene
Digitalgesellschaft Gematik kündigte Lösungen an, um solche Szenarien
zu unterbinden. Sie seien auch für den Bundesstart schon in
Umsetzung, machte der Minister deutlich. Gespeichert werden die Daten
laut Ministerium auf Servern im Inland innerhalb der geschützten
Datenautobahn des Gesundheitswesens. Jeder Zugriff auf die ePA wird
mit Datum und Uhrzeit protokolliert. Hochzuladen sind nur
Dateiformate, die keine Viren übertragen.
Zugang zur eigenen Akte
Für Versicherte gibt es bei der ersten Anmeldung in der ePA-App
ebenfalls Sicherheitsanforderungen. Gebraucht wird ein elektronischer
Personalausweis mit Geheimnummer (Pin) - oder die elektronische
Gesundheitskarte mit Pin, die man auf Antrag von der Krankenkasse
bekommt. Für die spätere App-Nutzung kann man dann selbst
Identifizierungswege am Smartphone einstellen, etwa per
Gesichtserkennung. Wer die App nicht selbst verwenden will, kann zum
Beispiel Angehörige damit betrauen. Auch Kinder bekommen eine ePA,
wenn die Eltern nicht widersprechen, ab 15 können sie es selbst
entscheiden.
Daten auch für die Forschung
Einen Schub bringen soll die E-Akte auch für die Forschung. Geplant
ist, dass von Juli 2025 an Daten der ePAs für Forschungswecke an eine
zentrale Stelle weitergeleitet werden. Die Daten werden dafür
pseudonymisiert verwendet, wie das Ministerium erläutert - also ohne
direkt personenbeziehbare Angaben wie Name und Adresse. Versicherte
können aber auch dieser Nutzung in der App oder bei einer
Ombudsstelle der Krankenkasse widersprechen. Lauterbach sieht enorme
Chancen für die Forschung mit großen Datenbeständen.
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