Blick zurück: Wunden aus der Corona-Pandemie bleiben Von Bettina Grönewald, dpa
Die nordrhein-westfälische Landesregierung blickt auf die
Corona-Pandemie zurück: Was kann man lernen? Welche Folgeschäden sind
nicht bewältigt?
Düsseldorf (dpa/lnw) - Rund fünf Jahre nach dem Ausbruch der
Corona-Pandemie zieht die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen ein
gemischtes Fazit: Einschränkende Maßnahmen seien zwar für die gesamte
Gesellschaft belastend gewesen, heißt es in ihrer Antwort auf eine
große Anfrage der AfD-Landtagsfraktion. Unter dem Strich habe eine
sorgfältige Abwägung aller tangierten Grundrechte, Interessen und
Risiken aber dazu geführt, dass «das Gesundheitssystem in
Nordrhein-Westfalen insgesamt für die gesamte Dauer der Pandemie
funktionsfähig geblieben ist.»
Auf mehr als 180 Seiten beantwortete das Gesundheitsministerium
federführend 500 Fragen der AfD zu allen Aspekten der Pandemie - von
A wie Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche bis Z wie Zuweisungen
und Rückzahlungen. Im Folgenden eine Auswahl zentraler Punkte.
Das Abwägungsdilemma
Corona habe nicht nur Auswirkungen auf die Gesundheit gehabt,
«sondern nahezu auf alle Lebensbereiche», beschreibt die
Landesregierung das Besondere an der rund drei Jahre währenden
Pandemie. «Dadurch war die Corona-Pandemie geprägt von
Zielkonflikten.» Was medizinisch notwendig gewesen sei, habe
ökonomische Schäden hervorrufen können, die ihrerseits wiederum
soziale, psychische, aber auch medizinische Folgen nach sich gezogen
hätten.
Getrübte Kinder- und Jugendjahre
Kinder und Jugendliche hatten besonders unter Isolation zu leiden,
weil Kitas und Schulen immer wieder von Zugangsbeschränkungen oder
gar Schließungen betroffen waren: Distanzunterricht zu Hause statt
gemeinsam lernen oder spielen. Die Landesregierung sei sich bewusst,
dass die damals für notwendig erachteten Maßnahmen «zu Belastungen
und Einschränkungen geführt haben, die allein aus pädagogischer Sicht
nicht wünschenswert waren», räumt sie in dem vom Landtag
veröffentlichten Dokument ein.
Die große Unbekannte
Gerade zu Beginn der Pandemie habe es aber noch keine verlässlichen
Daten zu einem geringeren Gesundheitsrisiko für Kinder und
Jugendliche gegeben: «Neben dem Risiko, eine Ansteckung aus Kitas
oder Schulen in das persönliche Umfeld zu tragen und damit mögliche
Risikopersonen für einen schweren Krankheitsverlauf anzustecken,
waren zudem die Langzeitfolgen der Erkrankung für Kinder und
Jugendliche zunächst nicht abschätzbar».
Psychische Auffälligkeiten, Depression und Angstsymptome
Gleichwohl mussten in NRW, ebenso wie bundesweit und international,
«negative Auswirkungen der Corona-Pandemie in den Bereichen soziale
Interaktion und sozio-emotionale Entwicklung, körperliche Aktivität
sowie psychisches Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen
festgestellt werden», bilanziert die Regierung.
So seien in NRW während der Pandemie steigende Zahlen an ambulanten
Behandlungsfällen bei psychischen Auffälligkeiten sowie Depressions-
und Angstsymptomen bei Minderjährigen zu verzeichnen gewesen. Seit
Ende 2022 seien die Zahlen tendenziell wieder rückläufig. Allerdings
blieben die Anteile derjenigen, die von psychischen Auffälligkeiten
und Angstsymptomen berichteten, weiterhin oberhalb der Werte vor der
Pandemie.
Therapeuten-Nachschlag
Um den Zugang zur psychotherapeutischen Versorgung zu verbessern,
habe NRW als erstes Bundesland, neben Schleswig-Holstein, eine
gesetzliche Möglichkeit genutzt, in ländlichen und strukturschwachen
Gebieten zusätzliche Arztsitze einzurichten - in NRW mehr als 34 zur
Niederlassung von Psychotherapeuten. «In Nordrhein-Westfalen weisen
fast alle Planungsbereiche für Psychotherapeutinnen und
Psychotherapeuten einen Versorgungsgrad über 110 Prozent auf und sind
damit für weitere Niederlassungen gesperrt.»
Isolation erfasst breite Bevölkerungsschichten
Zweifellos habe Corona die Einsamkeit verstärkt: «Besonders stark
scheinen die Auswirkungen der Pandemie für Jugendliche und junge
Erwachsene zu sein.» Allerdings reiche das Problem viel weiter. So
habe eine Kurzbefragung zu den Auswirkungen der Corona-Krise im
Sommer 2020 ergeben, dass sich bei Menschen im Alter von 46 bis 90
Jahren die Einsamkeitsrate in der Anfangsphase der Pandemie auf knapp
14 Prozent erhöht habe - ein 1,5-mal höherer Wert als in den Jahren
2014 bis 2017. «Der Zuwachs wurde in allen Altersgruppen verzeichnet,
Geschlecht oder Bildungsniveau machten keinen wesentlichen
Unterschied aus», heißt es in der Regierungsantwort.
Lehren aus dem einsamen Sterben
Aus der bitteren Isolierung alter und auch sterbender Menschen in
Krankenhäusern, Pflege- und Behinderteneinrichtungen will die
Landesregierung Lehren ziehen. Das generelle Besuchsverbot in der
ersten Phase der Pandemie sei «sehr einschneidend» gewesen, räumt sie
ein.
Mit den Erkenntnissen von heute wäre eine solche generelle Schließung
nicht angeordnet worden, stellt sie fest. «Es sollte zu jeder Zeit
die Möglichkeit geben, den persönlichen Kontakt zu Angehörigen und
Bezugspersonen aufrechtzuerhalten.» Das gelte in besonderer Weise für
die Begleitung Sterbender.
AfD verlangt Rechenschaft
Die AfD sprach in ihrer Anfrage von einem «höchst fragwürdigen
Eingriff in die Persönlichkeitsrechte» - etwa bei den damaligen «2G
»-
und «3G»-Regeln, die den Zutritt zu bestimmten Orten an die Merkmale
geimpft, genesen, getestet geknüpft hatte - in Verbindung mit
Schnelltests oder sogar einem verpflichtenden Labortest. Daher müsse
der Staat sein Handeln offenlegen.
Die Rechtslage
Sämtliche beschränkende Zugangsregelungen hätten das Grundrecht der
allgemeinen Handlungsfreiheit tangiert und gegebenenfalls auch andere
Grundrechte wie die Religions- oder Berufsfreiheit, bestätigte die
Regierung. Alle Rechtsgüter seien aber umfassend und nach dem
Grundsatz der Verhältnismäßig abgewogen worden: Leben und Gesundheit,
Funktionsfähigkeit des Gesundheitswesens und vieles Andere. Das sei
auch bei den «2G»- und «3G»-Maßnahmen der Fall gewesen, die im
Vergleich zur kompletten Schließung von Angeboten ein deutlich
milderes und ohne großen Aufwand mögliches Mittel gewesen seien.
Regierung rechtfertigt ihren Kurs
Einen «harten Lockdown» oder «Ausgangssperren» für Bürger habe
es in
NRW ebenso wenig gegeben wie Grenzschließungen. Das zuständige
Oberverwaltungsgericht Münster habe in der überwiegenden Mehrheit der
Verfahren die getroffenen Maßnahmen bestätigt. Ob eine andere
Strategie effektiver gewesen wäre, sei nachträglich nicht belastbar
zu beantworten, weil niemand wisse, wie sich das Infektionsgeschehen
unter anderen Voraussetzungen entwickelt hätte.
Für manche Fluch, für viele Segen: Streit über Impfungen
Die Landesregierung hat nach eigenen Angaben rund 1,1 Milliarden Euro
für Impfungen gegen das Coronavirus ausgegeben, wovon annähernd die
Hälfte durch den Bund erstattet worden sei. In NRW seien seit Beginn
der Impfkampagne im Jahr 2021 insgesamt 2.138 Anträge auf Anerkennung
eines Impfschadens im Zusammenhang mit einer COVID-19-Impfung
gestellt worden. Bis Anfang September 2024 seien 119 Anerkennungen
ausgesprochen worden.
Ungeklärt: Zusammenhang mit Todesfällen?
Bis zum selben Stichtag seien der Landesregierung gemäß
Infektionsschutzgesetz 13 Todesfälle gemeldet worden, in deren
Impfhistorie mindestens eine Dosis «Vaxzevria» (ehemals
«Astrazeneca») genannt sei. In 60 solcher Fälle sei gemeldet worden,
dass die Personen stationär behandelt werden mussten. In 36 Meldungen
sei angegeben, dass die Symptome lebensbedrohend gewesen seien. Die
Landesregierung könne aber nicht bewerten, ob es einen kausalen
Zusammenhang mit dem Impfstoff gebe.
Corona zieht auch Wirtschaft und Arbeitsmarkt in den Strudel
Darüber hinaus habe der Ausbruch der COVID-19-Pandemie «die gesamte
Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen stark beeinträchtigt», heißt es in
der Antwort. «In der Folge kam es unter anderem zu
Nachfragerückgängen vieler Produkte, Störungen von Lieferketten durch
geschlossene Betriebsstätten und Grenzen, Mobilitätsbeschränkungen
und Einschränkungen in vielen Dienstleistungsbereichen.» Bereits ab
März 2020 habe die Pandemie negative Auswirkungen auf dem
Arbeitsmarkt nach sich gezogen. Der erste bestätigte Corona-Fall in
NRW war im Februar 2020 bei einem Mann aus dem Kreis Heinsberg
diagnostiziert worden.
Staatsgeld XXL - unter Vorbehalt
Mit ausgezahlten Zuschüssen von mehr als 4,5 Millionen Euro an rund
430.000 Empfänger sei daraufhin «das größte und schnellste
Hilfsprogramm in der Landesgeschichte» angelaufen. Allerdings ist das
Rückmeldeverfahren für die Soforthilfe 2020 noch nicht abgeschlossen.
Bislang seien schon Rückzahlungsforderungen in Höhe von rund 2,2
Milliarden Euro festgestellt worden.
Corona-Gewinner Homeoffice
Gab es infolge der Pandemie auch irgendwas Positives? Ja, einen
Digitalisierungsschub und den massenhaften Nachweis, dass auch von zu
Hause aus produktiv gearbeitet werden kann. «Homeoffice dürfte für
viele Erwerbstätige nach der Coronazeit zum Normalfall geworden
sein», stellt die Landesregierung fest. Repräsentative Daten
belegten, dass das genutzte Homeoffice-Potenzial inzwischen bei etwa
38 Prozent der Erwerbsbevölkerung in Deutschland liege - mehr als
doppelt so viel wie vor der Pandemie.
Bei den Stellenangeboten liege die Möglichkeit, im Homeoffice zu
arbeiten, inzwischen bei 17,6 % der untersuchten Online-Anzeigen.
«Vor Beginn der Corona-Pandemie spielte Homeoffice in Deutschland so
gut wie keine Rolle», bilanzierte die Landesregierung. «2019 wurde
nur in 3,7 Prozent aller Online-Stellenangebote die Möglichkeit zum
Homeoffice eröffnet.»
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