Was kann der Untersuchungsausschuss zum Anschlag in Magdeburg leisten? Von Christopher Kissmann, dpa
Die Staatsanwaltschaft ermittelt, auch im Landtag von Sachsen-Anhalt
beginnt nun die Aufarbeitung des Anschlags auf den Weihnachtsmarkt.
Welche Mittel und Wege haben die Abgeordneten?
Magdeburg (dpa/sa) - Sechs Menschen haben bei dem Anschlag in
Magdeburg ihr Leben verloren, weil im Dezember ein Mann aus
Saudi-Arabien mit einem Auto über den Weihnachtsmarkt gerast ist.
Rund 300 Personen wurden verletzt, 86 von ihnen schwer. Der Landtag
von Sachsen-Anhalt hat einstimmig einen parlamentarischen
Untersuchungsausschuss eingesetzt. Die konstituierende Sitzung ist am
Donnerstag. Was ist von dem Gremium in den nächsten Monaten zu
erwarten?
Warum wird überhaupt ein Untersuchungsausschuss eingesetzt, wenn die
Staatsanwaltschaft bereits ermittelt?
Nach dem Anschlag soll nicht nur die Tat selbst aufgearbeitet werden,
sondern auch, welche Fehler Behörden möglicherweise gemacht haben. Es
geht dabei also um die politische Verantwortung und die Frage, welche
Strukturen die Tat ermöglicht haben und gegebenenfalls geändert
werden müssen. Der Landtag kann als Gesetzgeber Konsequenzen ziehen.
Welche Themen werden im Ausschuss behandelt?
Es gibt verschiedene Komplexe. Das Gremium wird sich etwa das
Sicherheitskonzept des Veranstalters und polizeiliche Einsatzkonzepte
für den Weihnachtsmarkt und deren Umsetzung beleuchten.
Außerdem wird es um die Informationslage zum Täter gehen, der
50-Jährige stand vor der Tat bei Ermittlungsverfahren immer wieder in
Kontakt mit den Behörden. Welche Warnungen oder Hinweise diesen
Stellen vorlagen und warum Gefahren nicht erkannt wurden, dürfte
dabei zentral sein.
Zugleich werden sich die Abgeordneten auch mit der Approbation des
Täters und der Frage befassen, ob und inwieweit die Eignung und
Befähigung für dessen Tätigkeit als Arzt im Maßregelvollzug geprü
ft
wurde.
Als Erstes soll im Ausschuss vor allem das Tatgeschehen selbst
beleuchtet werden. In der Folge könnte es stärker um bestehende
Strukturen und die Frage gehen, wie diese reformiert werden müssen.
Eine Bundesratsinitiative zum besseren Datenaustausch von Polizei-,
Sicherheits-, Gesundheits- und Waffen- und gegebenenfalls auch
Ausländerbehörden hat die Landesregierung bereits auf den Weg
gebracht.
Wie arbeitet der U-Ausschuss?
Das Gremium besteht aus 13 Landtagsabgeordneten und soll bis
Jahresende mehrfach pro Monat tagen. Die Besetzung richtet sich nach
den Mehrheitsverhältnissen im Landtag. Die Koalitionsfraktionen
stellen sieben Mitglieder: fünf kommen aus den Reihen der CDU, SPD
und FDP entsenden jeweils einen Abgeordneten. Die AfD stellt drei
Abgeordnete, die Linke zwei und die Grünen einen.
Alle Mitglieder können umfassend Einsicht in Akten und Protokolle
nehmen. Welche Unterlagen der Ausschuss anfordert, muss noch
festgelegt werden. Ein erster Beschluss dazu wird möglicherweise
schon am Donnerstag gefasst.
Teilweise finden die Sitzungen nicht öffentlich statt, die
Beweiserhebung wie Vernehmungen sind aber in der Regel öffentlich.
Zeugen können vereidigt werden. Teilweise laufen die Befragungen ab
wie vor Gericht: Zeugen können etwa die Auskunft auf solche Fragen
verweigern, deren Beantwortung sie selbst in die Gefahr bringen
würde, wegen einer Straftat verfolgt zu werden.
Welche Zeugen werden geladen?
Unter anderem sollen Betroffene, Ersthelfer und Polizisten angehört
werden, damit die Abgeordneten einen genauen Überblick zum
Tatgeschehen bekommen. Es sollen aber auch Mitarbeiter von Bundes-
und Landesbehörden sowie von ausländischen Institutionen geladen
werden.
Zu erwarten ist, dass auch Innenministerin Tamara Zieschang (CDU) und
die Magdeburger Oberbürgermeisterin Simone Borris im Verlauf aussagen
werden. Damit ist jedoch erst später zu rechnen, es gilt das Prinzip
«immer die Treppe hoch»: Für die Befragung von Verantwortungsträger
n
sollen den Abgeordneten möglichst viele Informationen vorliegen. Am
Ende könnte es nach Aussage der Vorsitzenden Karin Tschernich-Weiske
(CDU) 120 bis 150 Zeugen geben.
Gibt es personelle Konsequenzen?
Viele Abgeordnete schließen nicht aus, dass im Zuge der Aufarbeitung
noch personelle Konsequenzen folgen könnten. In die Kritik geraten
ist unter anderem die Landeshauptstadt, die das Sicherheitskonzept
der Betreibergesellschaft des Weihnachtsmarkts genehmigt hat.
Kritik gibt es aber auch am Agieren mehrerer Polizei- und
Sicherheitsbehörden, die mit dem Täter nach diversen Hinweisen und
bei mehreren Ermittlungsverfahren in Kontakt waren, in ihm aber kein
Sicherheitsrisiko erkannt haben.
Wo liegen die Schwierigkeiten bei der Aufarbeitung?
Die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg ermittelt parallel zur
parlamentarischen Aufarbeitung. Alles, was diese Ermittlungen
gefährden könnte, dürfte vor dem Ausschuss zunächst offenbleiben.
Bei den staatsanwaltlichen Ermittlungen geht es einerseits um den
Täter Taleb A. In den nächsten Wochen wird ein Gutachten zur
Schuldfähigkeit des Mannes erstellt. Die Ermittler beabsichtigen
außerdem eine Auswertung der Fahrzeugdaten. Im Blut des Täters waren
keine Hinweise auf Drogen oder Alkohol gefunden worden.
Zugleich liegen diverse Anzeigen gegen Verantwortliche der Stadt und
des Weihnachtsmarkts vor. Es ist denkbar, dass Beteiligte vor dem
Ausschuss keine oder nur wenige Angaben machen werden, um sich nicht
selbst zu belasten.
Was folgt nach dem Ausschuss?
Im Spätsommer 2026 steht die nächste Landtagswahl in Sachsen-Anhalt
an, der U-Ausschuss muss seine Arbeit bis dahin abschließen. Die
schwarz-rot-gelbe Koalition könnte im Anschluss Lehren ziehen und den
Erkenntnisgewinn aus dem Ausschuss in Gesetzesänderungen einfließen
lassen. Möglicherweise wird das aber auch Aufgabe einer neuen
Landesregierung sein.
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