Wie Roboter gefühlt - Kinderpsychiater Winterhoff vor Gericht Von Petra Albers, dpa

Laut Anklage soll er jungen Patienten ohne medizinische Notwendigkeit
ein Antipsychotikum verordnet und Nebenwirkungen in Kauf genommen
haben. Der Psychiater bestreitet das.

Bonn (dpa) - Viele Kinder fühlten sich laut Anklage «wie Roboter»,
als er sie mit dem Medikament behandelte: Gegen den Kinderpsychiater
und Sachbuchautor Michael Winterhoff hat vor dem Bonner Landgericht
ein Prozess wegen gefährlicher Körperverletzung begonnen. 

Er soll 36 Kindern und Jugendlichen ein ruhigstellendes
Psychopharmakon verordnet haben, obwohl dafür «keine Indikation im
Rahmen der Zulassung des Medikaments bestanden» habe. Der 70-Jährige
bestreitet die Vorwürfe.

Der Angeklagte habe junge Patienten teils jahrelang mit dem
Neuroleptikum Pipamperon behandelt, ohne zugrunde liegende
Erkrankungen zuvor leitliniengerecht untersucht zu haben, schilderte
die Staatsanwältin. So habe er sie «körperlich misshandelt und an der

Gesundheit geschädigt». Die Sorgeberechtigten habe er über mögliche

Nebenwirkungen nicht umfassend aufgeklärt. 

Bei vielen Patienten soll es zu Nebenwirkungen gekommen sein 

Winterhoff soll den Eltern «die irreführende Diagnose «frühkindlich
er
Narzissmus»» mitgeteilt und die Behandlung als alternativlos
dargestellt haben: Demnach hätten die Kinder mit dem Medikament
«emotional erreichbar» gemacht werden sollen. «Dieser angebliche
Wirkmechanismus ist wissenschaftlich nicht nachvollziehbar», sagte
die Staatsanwältin. 

Der sedierende Effekt des Mittels habe die Kinder gefügig machen
sollen. Bei vielen Patientinnen und Patienten sollen Nebenwirkungen
wie Müdigkeit, Bewegungssteifheit und erhebliche Gewichtszunahmen
aufgetreten sein.

Pipamperon wird zur Behandlung von Schlafstörungen und
Unruhezuständen eingesetzt. An unter 18-Jährige sollte es nach
Herstellerangaben nur unter besonderer Berücksichtigung des
Nutzen-Risiko-Verhältnisses verordnet werden.

Verteidigerin: Patienten waren «Systemsprenger»

Winterhoff wurde einer breiten Öffentlichkeit unter anderem als
Talkshow-Gast und Autor von Erziehungsratgebern bekannt, etwa dem
Bestseller «Warum unsere Kinder Tyrannen werden». 

Die Anklageverlesung verfolgte der Bonner Psychiater - in dunklem
Anzug - ohne äußere Regung. Seine Verteidigerin gab am ersten
Verhandlungstag eine Erklärung für ihren Mandanten ab und wies die
Vorwürfe gegen ihn zurück. 

Er habe das Medikament nicht standardmäßig verschrieben, um Patienten
ruhigzustellen, sondern nur «als flankierende Maßnahme» und stets mit

medizinischem Grund, betonte Rechtsanwältin Kerstin Stirner. Viele
der 36 Kinder und Jugendlichen seien «Systemsprenger» gewesen -
Härtefälle, die aufgrund ihrer psychischen Verfassung in Alltag und
Schule nicht mehr zurechtgekommen und deshalb in Heimen untergebracht
gewesen seien. 

Urteil könnte Ende Juli fallen

Für solche Patienten, die eine lange Leidensgeschichte mit mehreren
erfolglosen Behandlungen hinter sich hätten, sei Winterhoff oft die
letzte Hoffnung gewesen. Er habe mit seinen Methoden große Erfolge
erzielt und die Sorgeberechtigten ordnungsgemäß aufgeklärt. 

«Seine Ansätze mögen kontrovers diskutiert werden, er steht in der
Fachwelt aber keineswegs alleine damit da», sagte Stirner. Pipamperon
gehöre zu den am häufigsten verordneten Antipsychotika in der Kinder-
und Jugendpsychiatrie.

Es gebe keinen Fall, in dem die Verordnung des Medikaments durch
Winterhoff nachweislich zu einem Schaden geführt habe, sagte die
Anwältin. «Er handelte allein mit dem Ziel, Patienten zu helfen.»

Das Bonner Landgericht hat für den Prozess mit zahlreichen Zeugen und
Sachverständigen rund 40 Verhandlungstage bis Ende Juli angesetzt.
Bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens gilt für den
Angeklagten die Unschuldsvermutung.

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