Fünf Jahre Corona: Was lief gut, was nicht? Von Christopher Weckwerth, dpa

Zwischen Aufarbeitung und Gedenken: Im Februar 2020 kam das
Coronavirus nach Niedersachsen. Wie blicken Politiker und Experten
heute auf die Pandemie zurück?

Hannover (dpa/lni) - Die Corona-Zeit war eine Zäsur: Die Einschnitte
in das alltägliche Leben waren tief, die Sorge vor Ansteckungen
greifbar. Schulen und Kitas und Büros wurden geschlossen, Unternehmen
gerieten in existenzielle Nöte, soziale Kontakte blieben oft auf der
Strecke.

Vielen Menschen scheint diese Zeit mittlerweile weit entfernt, andere
kämpfen bis heute mit den Folgen und Begleiterscheinungen. Fünf Jahre
ist der Ausbruch der Pandemie nun her: Am 29. Februar 2020 wurde auch
in Niedersachsen die erste Infektion bestätigt.

Die Deutsche Presse-Agentur hat anlässlich des Jahrestags Politikern,
Wissenschaftlern und weiteren Akteuren die vier gleichen Fragen
gestellt.

Was lief gut in der Pandemie?

* Richtige Prioritäten: «Die Priorität war, Menschenleben zu
schützen. Das war richtig und ist auch gelungen», sagt der
evangelische Landesbischof von Hannover, Ralf Meister - auch wenn es
Maßnahmen gegeben habe, die nach heutigem Kenntnisstand überzogen
waren. «Was verantwortliches Handeln bedeutet, musste schnell und an
vielen Stellen schmerzhaft ausgehandelt werden.»
* Leben gerettet: Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) resümiert,
insbesondere zu Beginn sei es «insgesamt gut gelungen», mit
wissenschaftlich begründeten Schutzmaßnahmen auf das Virus zu
reagieren. Weitere Infektionen zu vermeiden, sei zwingend notwendig
gewesen. «Dadurch sind sehr viele Menschenleben gerettet worden.»
* Frühe Impfungen: Der größte Erfolg sei es gewesen, dass schnell
ein Impfstoff entwickelt und eingesetzt wurde, sagt der Präsident des
Landesgesundheitsamtes, Fabian Feil. Der CDU-Landtagsabgeordnete Eike
Holsten spricht mit Blick auf die Impfstoffe von einem Meilenstein
und sagt: «Die Pandemie hat die Leistungsfähigkeit und
Innovationskraft der Wissenschaft eindrucksvoll unter Beweis
gestellt.»
* Frühe Tests: Die Epidemiologin Berit Lange vom Braunschweiger
Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung betont die Bedeutung früher
Teststrategien. Diese waren ihr zufolge in Verbindung mit Quarantäne
und Isolation «hoch relevant und wären das auch in zukünftigen
Pandemien, um systemrelevante Bereiche wie Schulen möglichst nicht
schließen zu müssen».
* Veränderte Arbeitswelt: «Bewährt haben sich vor allem die
Regelungen zu Kurzarbeit und zum mobilen Arbeiten», sagt der
Bezirksvorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Mehrdad
Payandeh. Das Kurzarbeitergeld habe für viele Beschäftigte eine
bitter nötige Brücke dargestellt, die zudem sichergestellt habe, dass
Unternehmen nach der Krise mit voller Stärke zurückkehren konnten.
* Digitale Schule: «Durch die Pandemie haben die Schulen in den
letzten Jahren einen deutlichen Schub im Bereich der Digitalisierung
gemacht, auch der Umgang mit digitalen Lernmöglichkeiten wurde
entwickelt», sagt Kultusministerin Julia Willie Hamburg (Grüne),
nachdem die Pandemie lange zum digitalen Distanzunterricht geführt
hatte.

Was muss in einer nächsten Pandemie anders laufen?

* Weniger Einsamkeit: Regierungschef Weil räumt ein, dass
rückblickend betrachtet «einzelne Maßnahmen, wie etwa
Schulschließungen, zu lange aufrechterhalten worden» seien. Unter den
Kontaktbeschränkungen hätten gerade auch alte und kranke Menschen
besonders gelitten. «Besuchsverbote in Alten- und Pflegeheimen und
Krankenhäusern haben wahrscheinlich Infektionen verhindert,
gleichzeitig aber vielerorts zu großer Einsamkeit und
Verlassenheitsgefühlen geführt», sagt der SPD-Politiker. «Auf Basis

dieser Erfahrungen würde in einer vergleichbaren Situation manche
Abwägung wohl anders ausfallen.»
* Rücksicht auf Jugendliche: Mit Schulschließungen und
Distanzunterricht hat die Pandemie laut Kultusministerin Hamburg
Kindern und Jugendlichen besonders stark zugesetzt. Dennoch habe es
zu Anfang der Pandemie mit dem damaligen Wissensstand und noch ohne
Impfstoff keine Alternativen zu den Schließungen gegeben.
CDU-Politiker Holsten sieht das kritischer. Er sagt: «Wir brauchen
eine bessere Balance zwischen Gesundheitsschutz und
gesellschaftlicher Verantwortung. Das bedeutet: keine pauschalen
Lockdowns mehr für Schulen und Kitas.»
* Ethik und Moral: Landesbischof Meister sagt, er würde sich
künftig für bessere Kontaktmöglichkeiten für Familie und Seelsorge

einsetzen: «Rechtliche Vorgaben brauchen im Blick auf die Würde des
Einzelnen eine Ergänzung durch ethisch-moralische Kriterien.»
* Geld für Gesundheit: «Das Ziel, einen starken öffentlichen
Gesundheitsdienst zu haben, scheint aktuell in Vergessenheit zu
geraten», warnt das Landesgesundheitsamt. Im nächsten Jahr laufe eine
Förderung des Bundes für mehr Personal im Gesundheitsdienst aus.
Diese ist laut Präsident Feil aber «absolut notwendig», damit die
Ämter in Krisenfällen flexibel und schnell handeln können. Der DGB
bedauert, dass die Beschäftigten in der Pflege und im
Gesundheitssektor nicht nachhaltig gewürdigt worden seien. «Applaus
allein reicht nicht aus», sagt Bezirkschef Payandeh. Er fordert
sowohl höhere Löhne als auch bessere Arbeitszeiten.
* Forschung: Auch bei neuen Strukturen zur Forschung zu Infektionen
sei unklar, ob sie weitergeführt werden, kritisiert die Epidemiologin
Lange. «Aktuell lässt sich bereits ein Zurückgehen beobachten, was
diese Mechanismen angeht, was uns in der nächsten Pandemie stark
schaden wird», sagt die Expertin.

Wie sollte die Aufarbeitung jetzt gestaltet werden?

«Unsere Gesellschaft hat ihren Heilungsprozess noch nicht bewältigt»,

sagt Landesbischof Meister. Er unterstützt Forderungen nach einer
ergebnisoffenen und transparenten Aufarbeitung ohne Schuldzuweisung
und sagt: «Die Pandemie hat uns gelehrt, dass wir als Gesellschaft
beständig am Gemeinsinn arbeiten müssen, um künftigen Krisen besser
zu begegnen.» 

In der Politik dringt insbesondere die AfD auf eine Aufarbeitung.
«Aus wissenschaftlichen, medizinischen und ethischen Gründen ist eine
Aufarbeitung der Corona-Pandemiezeit unerlässlich», sagt die
Landtagsabgeordnete Delia Klages. Bisher werde das ihrer Ansicht nach
in Deutschland nicht ernsthaft betrieben.

Auch der CDU-Politiker Holsten sagt, viele Menschen warteten noch auf
Antworten. Er fordert eine bessere Versorgung für
Long-Covid-Patienten, eine ernsthafte Unterstützung für Menschen mit
Impfnebenwirkungen sowie deutlich mehr psychotherapeutische Angebote
vor allem für Kinder und Jugendliche.

Regierungschef Weil erinnert daran, dass ein Corona-Sonderausschuss
des Landtags bereits Anfang 2022 einen Bericht mit Empfehlungen
vorgelegt hat. Dazu zähle, dass man «neue, kreative Formen der Pflege
und der Ermöglichung von sozialer Teilhabe» erarbeiten müsse. In dem

Papier steht jedoch auch, ein schneller gesellschaftlicher Lockdown
sei bei dynamischem Infektionsgeschehen mit hoher
Gefährdungsintensität und hohen Fallzahlen bis zur Entwicklung
alternativer Präventionsstrategien «unabwendbar».

Der Präsident des Landesgesundheitsamts Feil weist darauf hin, dass
man bei allen Planungen flexibel bleiben müsse, da eine neue Pandemie
auch andere Bevölkerungsgruppen betreffen könnte als Corona.

Sollte das Land ein Gedenken für die Corona-Opfer organisieren?

Ministerpräsident Weil verweist darauf, dass an vielen Orten bereits
dezentral an die Corona-Opfer erinnert werde. So wurde auf einem
Friedhof in Hameln ein Denkmal für die Verstorbenen errichtet, und in
Wildeshausen wurden Bäume gepflanzt. «Auch der jetzige fünfte
Jahrestag des Beginns der Pandemie ist nach meinem Eindruck ein
Anlass, sich zu erinnern und an die zu denken, die ihre
Corona-Infektion nicht überlebt haben oder die nach wie vor ganz
erheblich unter den Langzeitfolgen leiden», sagte Weil.

Der CDU-Abgeordnete Holsten sagt: «Gedenken ist wichtig, aber es darf
nicht zum politischen Symbolakt verkommen.» Solange Menschen noch auf
Unterstützung warteten und es immer noch Erkrankungen gebe, müsse der
Fokus auf Hilfe und Aufarbeitung liegen.

Die AfD-Politikerin Klages sagt, vor einem Gedenken gelte es zu
klären, wer denn zu den Opfern zähle: «Sicherlich sind es die
Menschen, die an der Infektion starben. Aber was ist mit den
Menschen, denen eine falsche Therapie das Leben gekostet hat? Oder
jenen, die sich aus Angst vor einer Infektion das Leben genommen
haben?» Darüber hinaus gebe es noch die Geimpften, die Opfer von
Nebenwirkungen geworden seien.

Landesbischof Meister formuliert einen Appell: «Gottesdienste,
Gedenktage und Orte müssen eine Mahnung sein, dass wir etwas lernen
aus den Erlebnissen in der Pandemie. Dass wir sicherstellen, dass
niemand allein bleibt.»

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