Pakistans schwieriger Kampf gegen die Kinderlähmung Von Nabila Lalee und Zia Khan, dpa
Einst verbreitete das Polio-Virus weltweit Angst und Schrecken, nun
ist das Virus zurück in Deutschland - zumindest im Abwasser. Was es
anrichten kann, ist in Südasien zu sehen.
Islamabad (dpa) - Der zwölfjährige Abid aus dem Nordwesten Pakistans
möchte am liebsten Pilot werden und hoch in den Himmel fliegen -
dabei kann er nicht einmal richtig laufen. Während der Junge auf dem
Feldbett vor seinem Haus sitzt, krempelt er sein Hosenbein hoch und
zeigt auf eine Schiene, die sein linkes Bein stützt. Mit zwei Jahren
infizierte Abid sich mit Polio.
Die Krankheit, auch Kinderlähmung genannt, kann dauerhafte Lähmungen
hervorrufen und bei manchem Menschen auch zum Tod führen, weil die
Atemmuskulatur gelähmt wird. Seit seiner Infektion kann Abid sich nur
noch humpelnd fortbewegen. «Mit den Kindern in meiner Straße spiele
ich gerne Murmeln oder Kricket, aber das Laufen fällt mir schwer»,
erzählt der Junge.
«Eine der schrecklichsten Erkrankungen der Menschheit»
In Deutschland erinnern sich nur noch ältere Menschen daran, wie
furchtbar Polio auch hierzulande einst zuschlug - mit tausenden
Erkrankten und hunderten Todesfällen jährlich. Es sei «eine der
schrecklichsten Erkrankungen der Menschheit», meint der Berliner
Virologe Christian Drosten.
Großangelegte Impfprogramme haben die furchtbare Krankheit in den
meisten Gebieten der Welt ausgerottet. Doch ein kompletter Sieg über
die Krankheit blieb, anders als bei den Pocken, aus. Nun kursieren in
Deutschland und anderen europäischen Ländern wieder Polio-Viren. Der
Erreger wurde jüngst in Abwasserproben in mehreren deutschen Städten
nachgewiesen; Erkrankungen wurden zum Glück bisher nicht bekannt.
Gefahr für die Ungeimpften
Die Einschleppung nach Europa sollte als Weckruf betrachtet werden,
meint die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Das Virus sei weiterhin
eine Gefahr für die Ungeimpften. Der Blick nach Pakistan zeigt, was
ein Leben mit einer solchen Erkrankung bedeutet. Abid braucht im
Alltag viel Hilfe und Pflege, damit sich seine Krankheit nicht weiter
verschlimmert, wie seine Mutter berichtet. Sie mache sich Sorgen um
seine Zukunft.
Dabei ist das Leben ohnehin nicht leicht in dem Dorf Shirin Kotey
unweit der afghanischen Grenze, wo die Armut unübersehbar ist und
wohin viele Familien aus dem benachbarten Afghanistan geflüchtet
sind. Kinder spielen barfuß auf den verstaubten Straßen zwischen den
lehmfarbenen Häusern. Seitdem ihr Mann gestorben sei, könne sie ihre
vier Kinder nur mit Hilfe der Nachbarn durchbringen, sagt die
Mutter.
Impfhelfer im Visier
Weltweit werden Polio-Erkrankungen derzeit nur in Afghanistan und
Pakistan nachgewiesen. Zunehmende Gewalt könnte Pakistans Bemühungen,
das Virus auszurotten, einen entscheidenden Rückschlag verpassen. Das
Land kämpft mit einem starken Anstieg an Neuinfektionen. Nach Angaben
des nationalen Bekämpfungsprogramms wurden im vergangenen Jahr 74
Infektionen mit dem Polio-Wildvirus gemeldet. 2023 waren es noch
sechs erfasste Fälle.
Erst Anfang Februar wurde während einer Impfaktion ein Polizist im
nordwestlichen Khyber Pakhtunkhwa erschossen. Immer wieder kommt es
in der bergigen Region zu Angriffen durch den pakistanischen Ableger
der Taliban, der sich TTP nennt. Zwar betont ein Sprecher der TTP
gegenüber der Deutschen Presse-Agentur, dass Impfhelfer nicht Ziel
ihrer Aktivitäten seien. Die Realität sieht jedoch anders aus.
Impfungen gegen Polio werden von einigen militanten Islamisten als
Mittel des Westens betrachtet, mit dem vermeintlich Muslime
sterilisiert werden sollen. Befeuert wurden diese
Verschwörungstheorien durch eine Spionageaktion des amerikanischen
Geheimdienstes: Im Jahr 2011 wurden - als Impfkampagne getarnt -
DNA-Proben pakistanischer Kinder entnommen. Das vergrößerte die
Skepsis gegenüber Impfungen in der Bevölkerung.
Impfhelferinnen brauchen viel Mut
Wie schwierig die Arbeit in den Impf-Teams ist, weiß die 22 Jahre
alte Nadschia. Nahe der Provinzhauptstadt Peschawar geht sie von Tür
zu Tür und verabreicht Kindern die Schluckimpfung. Die Angst vor
Anschlägen sei ein ständiger Begleiter, sagt sie. Aufgeben möchte
Nadschia trotzdem nicht. «Ich glaube an meine Arbeit», sagt sie.
«Daher sammele ich jeden Tag aufs Neue meinen Mut.»
Nach Angaben des Innenministeriums in Islamabad sind seit 2012 fast
150 Impfhelfer und begleitende Polizisten getötet worden. «Genau
darin liegt das Problem», erklärt Impfhelferin Dschhangir Syed aus
der Stadt Mardan im Nordwesten des Landes. «Wenn die Menschen sehen,
dass militante Gruppen die Kampagne angreifen, denken sie, dass es
etwas Schlechtes ist und sie in Schwierigkeiten bringen könnte.»
Ausgerechnet neue Entwicklungen im weit entfernten Washington könnte
es den Impf-Teams künftig noch schwerer machen. Kurz nach seiner
Amtseinführung kündigte US-Präsident Donald Trump den Ausstieg aus
der WHO an. Fachleute warnen seitdem vor schwerwiegenden Rückschlägen
bei der Bekämpfung von globalen Krankheiten. «Jede Verringerung des
Engagements eines Partners gefährdet das Ziel einer poliofreien
Welt», sagt Oliver Rosenbauer von der WHO.
Mehr Aufklärung benötigt
Für Mohsen Hamid, der in Pakistan eine Datenbank für Polio verwaltet
und Impf-Teams begleitet, ist klar, dass er trotz der wachsenden
Herausforderung nicht aufgeben will. «Ich habe gesehen, wie die
Taliban jemanden vor meinen Augen erschossen haben», erinnert sich
der junge Mann. «Aber es hat mir noch mehr Entschlossenheit für meine
Arbeit gegeben.» Zudem glaubt er, dass es in den Gemeinden mehr
Aufklärung über die Relevanz von Polio-Impfungen geben sollte.
«Analphabetismus ist dabei ein großes Problem», betont er.
Im Dorf Shirin Kotey muss man die Bewohner nicht mehr überzeugen.
Seit Abids Erkrankung lassen die Menschen ihre Kinder dort impfen.
Auch Abids Mutter setzt sich immer wieder bei ihren Nachbarn dafür
ein. «Die Erkrankung meines Sohnes kann ich nicht mehr rückgängig
machen», sagt sie. «Aber andere Kinder möchte ich vor dem Schicksal
bewahren.»
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