Angeklagter nach Messerangriff will sich zur Tat äußern Von Stefanie Järkel, dpa
Ein Afghane verletzt im Mai sechs Menschen mit einem Messer - ein
Polizist stirbt später. Im Verfahren gegen ihn berichtet der
Angeklagte von seinem Leben. Später will er sich auch zur Sache
äußern.
Stuttgart/Mannheim (dpa) - Der Angeklagte im Verfahren nach der
tödlichen Messerattacke auf dem Mannheimer Marktplatz will sich im
Verlauf des Prozesses zur Tat und den Vorwürfen gegen ihn äußern.
Dies bestätigte sein Verteidiger Axel Küster auf Nachfrage. Wann dies
genau sein wird, war zunächst unklar. Ursprünglich hatte es geheißen,
der Angeklagte wolle sich zwar zur Person, aber nicht zur Sache
äußern.
Küster sagte nun, Sulaiman A. werde sich auch zu seiner Religion
äußern. Es sei seinem Mandanten sehr wichtig, selbst auszusagen. «Ich
glaube, man möchte sich vielleicht immer noch als Mensch darstellen.»
Die Tat selbst werde man nie erklären können.
Sulaiman A. ist unter anderem wegen Mordes und versuchten Mordes
angeklagt. Nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft hat der
mittlerweile 26-jährige Afghane am 31. Mai 2024 bei dem Angriff in
Mannheim sechs Menschen mit einem Messer verletzt: fünf Teilnehmer
einer Kundgebung der islamkritischen Bürgerbewegung Pax Europa (BPE)
sowie den 29-jährigen Polizist Rouven Laur, der zwei Tage später an
seinen schweren Verletzungen starb.
Sympathien für die Terrormiliz Islamischer Staat
Der Bundesanwalt geht davon aus, dass der Angeklagte Sympathien für
die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) hegt. Er habe nach der
Machtergreifung der Taliban 2021 begonnen, sich für deren Ideologie
zu interessieren. Er habe sich dann intensiv mit dem Islam
auseinandergesetzt und radikale Gelehrte in sozialen Medien verfolgt
und so schließlich Sympathien für den IS entwickelt.
Schließlich sei er zur Überzeugung gelangt, dass es nicht nur
legitim, sondern sogar seine religiöse Pflicht sei, vermeintlich
Ungläubige zu töten.
Vater Teppichhändler, Mutter Hausfrau
Am zweiten Verhandlungstag erzählte Sulaiman A. von seiner Kindheit
in Herat, einer Großstadt in Afghanistan, von seinem Vater, der als
Teppichhändler arbeitete und seiner Mutter, die Hausfrau war. Seine
Eltern hätten beide nicht lesen und schreiben können.
«Angst hatte ich vor Entführungen, vor Messerattacken», sagte A..
Hunger habe er auch gehabt. «Wenn wir einen Monat gut gelebt hatten,
dann hatten wir zwei Monaten nicht so viel Geld, nicht so viel zu
Essen.» Doch als der Richter ihn fragte, wie es ihnen im Vergleich zu
anderen Familien gegangen sei, sagte er: «Uns ging es gut.» Drei
seiner Geschwister leben heute ebenfalls in Deutschland.
Vermutlich mit elf Jahren verließ er Afghanistan, um nach Europa zu
fliehen, wie der Richter darlegte. A. sagte: «Ich weiß nicht, ob mit
elf oder früher oder später.» Monatelang sei er mit seinem älteren
Bruder im Iran gewesen, dann über die Türkei und Griechenland
letztlich nach Deutschland geflohen. Sein Bruder habe alles
entschieden. Zunächst hätten sie nach Schweden gewollt. Letztlich
kamen sie aber 2013 nach Frankfurt/Main, A. war zu diesem Zeitpunkt
14 Jahre alt.
Nach dpa-Informationen stellte er damals einen Asylantrag. Der Antrag
wurde 2014 abgelehnt. Es wurde allerdings ein Abschiebeverbot
verhängt, vermutlich wegen des jugendlichen Alters. Vor der Tat war
der Angeklagte bei der Polizei nicht bekannt.
In seiner Schulzeit trainierte A. Taekwondo
Schon in seiner Schulzeit noch in Afghanistan habe A. Taekwondo
trainiert, sagte der Richter. Sein Trainer in Deutschland habe später
ausgesagt, A. sei ein sehr guter Kämpfer gewesen. Er habe hart
trainiert und erfolgreich an Meisterschaften teilgenommen.
A. lernte nach der Ankunft in Frankfurt Deutsch, der Afghane spricht
heute relativ flüssig mit starkem Akzent. Er habe einen
Hauptschulabschluss und später in der Abendschule einen
qualifizierten Realschulabschluss gemacht. In der Schule habe er 2013
seine heutige Frau kennengelernt, die beiden haben mittlerweile zwei
Kinder. Die Familie hatte zuletzt im hessischen Heppenheim gelebt,
rund 35 Kilometer nordöstlich von Mannheim.
«Ich dachte, ich sterbe jetzt»
Ein Opfer von der Messerattacke berichtete von den dramatischen
Minuten des Angriffs. Die Mitglieder der islamkritischen
Bürgerbewegung Pax Europa (BPE) seien beim Aufbau für ihre Kundgebung
gewesen. Er habe einen Schrei gehört und sei mit einem Kollegen
hingerannt, erzählte der Nebenkläger. «Dann verspürte ich schon ein
en
Schlag in der linken Bauchhälfte.»
Danach habe er sich halb weggeworfen. Polizisten seien zu Hilfe
geeilt. Anschließend habe er aus dem Bauch geblutet und auch aus dem
Fuß. «Ich hatte Todesangst. Ich dachte, ich sterbe jetzt.» Dann habe
der Schock nachgelassen. «Ich hatte wahnsinnige Schmerzen am Fuß.»
Irgendwann sei er im Krankenhaus wieder aufgewacht. Er habe fünfmal
operiert werden müssen. Ein Arzt habe ihm erzählt, dass er auch
reanimiert worden sei.
Angeklagter sieht keinen Bedarf für therapeutische Hilfe
Der Angeklagte sieht nach eigenen Angaben keine Notwendigkeit, sich
therapeutisch helfen zu lassen. «Nee, sehe ich keinen Bedarf», sagte
er auf eine entsprechende Frage des psychiatrischen Sachverständigen
Johannes Fuß. Der Sachverständige soll sich später auch zur Frage der
Schuldfähigkeit und der Frage einer möglichen Sicherungsverwahrung
des Angeklagten nach einer Haft äußern.
Frau wählt am Abend der Tat den Notruf
Laut Richter soll die Frau des Angeklagten am Tag der Bluttat am 31.
Mai 2024 den Notruf gewählt und gesagt haben: «Er war sowieso
psychisch nicht mehr so stabil am Kopf, er hat auch ein MRT gemacht
beim Arzt.» Dazu will sich der Angeklagte allerdings nicht äußern.
Auch soll er in der Haft später von «Problemen mit seinem Kopf»
gesprochen haben und von Kopfschmerzen über Jahre hinweg. Aber auch
dazu will A. nichts sagen.
Für das Verfahren sind noch rund 50 Verhandlungstermine bis Ende
Oktober angesetzt. Für den Prozess sind nach Angaben des
Oberlandesgerichts bisher 17 Zeugen und neun Sachverständige geladen.
Unter den Zeugen sind fünf Polizeibeamte. Außerdem will der Senat
laut Sprecherin die fünf Opfer sowie rechtsmedizinische
Sachverständige und einen Islamwissenschaftler anhören.
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