Nikotinbeutel in freien Verkauf? Firmen rühren Werbetrommel Von Wolf von Dewitz, dpa

Sie sind klein, aus Zellulose und sie schmecken nach Minze, Beeren
oder Cocktails. Die Rede ist von Nikotinbeuteln, die immer häufiger
konsumiert werden in Deutschland. Trotz Verkaufsverbots in Läden.

Berlin (dpa) - Deutschlands Tabakbranche dringt auf die Zulassung von
Nikotinbeuteln, die als weniger schädliche Alternative zu Zigaretten
dargestellt werden. «In vielen anderen EU-Staaten sind sie legal zu
kaufen, aber Deutschland lässt das nicht zu - damit verzichtet der
Bund auf Steuereinnahmen und auf die Kontrolle der Produkte», sagte
der Geschäftsführer External Affairs von Philip Morris Deutschland,
Torsten Albig, der dpa in Berlin. 

Der frühere SPD-Politiker hofft darauf, dass die neue Bundesregierung
den Verkauf der «Pouches» (englisch für Beutel) in Geschäften
legalisiert. «Erwachsenen Rauchern können sie helfen, um von der
Zigarette wegzukommen.» Gesundheitsforscher und Politiker warnen
hingegen vor den Gefahren der Pouches, dies auch mit Blick auf junge
Menschen.

Die kleinen Beutel werden unter die Oberlippe geschoben, damit der
Körper Nikotin aufnimmt. Sie enthalten keinen Tabak, aber Aromen -
sie schmecken etwa nach Menthol, Zimt oder Früchten. Unlängst hatte
die US-Behörde FDA die Vermarktung bestimmter Nikotinbeutel-Produkte
in den USA genehmigt, diese Entscheidung verstehen die Hersteller als
Rückenwind. 

Die Tabakbranche ist im Wandel, die großen Konzerne wollen allmählich
weg von der Zigarette und ihr Geschäftsmodell mit rauchfreien
Produkten in die Zukunft retten, dafür wurden Milliarden investiert.
Zu den Produkten gehören E-Zigaretten, Tabakerhitzer und
Nikotinbeutel. Es geht steil nach oben: 2024 verkaufte Philip Morris
644 Millionen Dosen Nikotinbeutel, 53 Prozent mehr als 2023. Die
Nikotinbeutel-Marke des Konzerns heißt Zyn.

Verkaufsverbot in Geschäften

Die Situation in Deutschland ist kurios: Die Pouches sind vom Staat
anders als die ebenfalls tabakfreien E-Zigaretten nicht als
tabakähnliches Produkt eingestuft, sondern als Lebensmittel. Weil
Lebensmittel kein Nikotin enthalten dürfen, dürfen sie in Geschäften

nicht verkauft werden. Im Internet sind sie aber bestellbar - etwa
aus Schweden. «Das ist absurd: Ein deutscher Händler darf es nicht
verkaufen, aber der Verbraucher darf es aus dem EU-Ausland zu sich
schicken lassen», sagt Lobbyist Albig. Hinzu komme, dass viele Kioske
Schwarzmarkt-Produkte anböten. «Es gibt schwere Verwerfungen am Markt
- und der Bund tut nichts, um das zu beenden.» 

Albig räumt ein, dass die Produkte Risiken haben. «Nikotin macht
süchtig. Aber wenn du rauchst, dann ist das eine sehr geeignete
Alternative, um die Schäden des Rauchens zu vermeiden.» 

Die Verbraucherschutzminister der Bundesländer sprachen sich für eine
nationale Pouches-Regelung im Tabakrecht aus. Das war schon im Jahr
2021, umgesetzt wurde das nicht. Und heute? Das
Bundesernährungsministerium verweist auf Brüssel. Eine
EU-einheitliche Vorgehensweise und Regelung sei «dringend
erforderlich», sagt ein Ministeriumssprecher.

Geeignetes Mittel, um Raucherquote zu senken?

Neben Philip Morris setzen auch andere Tabakkonzerne auf
Nikotinbeutel. Japan Tobacco International (JTI, «Camel») berichtet
bei seiner Marke Nordic Spirit von einem starken Wachstum in Märkten
wie Großbritannien, Schweden und der Schweiz. Nikotinkonsumentinnen
und -konsumenten suchten nach Alternativen zum Rauchen, sagt eine
Firmensprecherin. «Nikotinbeutel sind nicht risikofrei, gelten aber
im Allgemeinen als weniger schädlich für erwachsene Raucherinnen und
Raucher als Zigaretten.» 

«Lucky Strike»-Anbieter British American Tobacco (BAT) setzt auf
seine Pouches-Marke Velo, die in Staaten wie Österreich, der Schweiz
und Polen verkauft wird. Zuletzt stieg die verkaufte Menge um die
Hälfte. Eine Regulierung der Produkte in Deutschland sei
«unerlässlich, wenn wir die Raucherquoten erfolgreich senken wollen»,

sagt eine BAT-Sprecherin. «Wir halten es für wichtig, dass auch in
Deutschland tabakfreie Nikotin-Pouches im Handel erhältlich sind.»

Ablehnung durch Gesundheitsexperten und Politiker

Die Forderung der Konzerne stößt auf Kritik. Es sei scheinheilig,
dass die Firmen die Produkte als risikoreduzierte Alternative zum
Rauchen bewerben, sagt Katrin Schaller vom Deutschen
Krebsforschungszentrum (DKFZ). «Die Tabakbranche möchte hier
angeblich ein Problem lösen, was sie selbst geschaffen hat und mit
dem Verkauf von Zigaretten aufrechterhält - deswegen gibt es
Zehntausende Krebstote pro Jahr.» 

Aber Nikotinbeutel können doch beim Ausstieg aus dem Rauchen helfen?
«Nikotinbeutel sind keine zugelassenen Entwöhnungsprodukte wie
Nikotin-Kaugummis oder Nikotin-Pflaster, die ein medizinisches
Verfahren durchlaufen und ihre Wirksamkeit nachgewiesen haben», sagt
die Biologin. «Nikotinbeutel sind durchdesignte Lifestyle-Produkte,
die vor allem junge Leute ansprechen und ihre Konsumenten in die
Abhängigkeit bringen.» 

Über die genaue Schädlichkeit der Pouches wisse man noch nichts, weil
es keine Langzeitstudien gebe. «Nikotin ist ein Nervengift, das zu
Übelkeit und Erbrechen und in höherer Dosis zu Krämpfen und Atemnot
führen kann. Außerdem steht es im Verdacht, das Wachstum von Tumoren
zu fördern.» 

Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Linda Heitmann warnt ebenfalls:
Nikotinbeutel sollten nicht «als vermeintliche Wohltat der
Tabakindustrie für die öffentliche Gesundheit bagatellisiert werden».

Nikotin habe ein hohes Abhängigkeitspotenzial, so die Grüne. «Wer
früh im Leben raucht, wird später leichter süchtig sein - das gilt
für Nikotin, egal ob geraucht, verdampft oder unter die Lippe
gepackt.»

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Tino Sorge sagt, dass insbesondere bei
Jugendlichen und Schwangeren ernste Gefahren durch die Nikotinmengen
drohten. Sorge ist gegen eine Verkaufsfreigabe in Geschäften. «Es
wäre falsch, den Zugang hierzulande ohne Not zu erleichtern.» Auch
der Bundessuchtbeauftragte Burkhard Blienert (SPD) ist dagegen: «Ich
sehe die große Gefahr, dass diese Produkte innerhalb kürzester Zeit
Tausende von Jugendlichen nikotinabhängig machen würden.»

Bei der Krankenkasse DAK-Gesundheit führt das Thema ebenfalls zu
Sorgenfalten, auch weil viele Jugendliche und sogar Kinder zu den
Pouches greifen. Nikotinbeutel seien gefährlich, sagt DAK-Chef
Andreas Storm. «Wir brauchen mehr Kontrollen von Online-Shops, damit
Nikotinbeutel nicht im Internet frei verfügbar sind.» Wichtig sei
zudem Aufklärung der Eltern und Lehrkräfte über die Risiken von
Nikotinprodukten.

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