Nicht wegschmeißen! Omas Fotoalben haben wissenschaftlichen Wert Von Marco Krefting, dpa
Sie sind ein unglaublich großer Fundus an Geschichte: Fotos von
damals geben Auskunft über das Leben zu jener Zeit. Und helfen
Historikern beim Einordnen. Die Digitalfotografie tut dem keinen
Abbruch.
Karlsruhe (dpa) - Schwarz-weiß, leicht verblichen, mit Büttenrand:
Unzählige alte Fotos in Alben schlummern in Schränken und auf
Speichern. Für die Wissenschaft spielten sie lange keine große Rolle,
wie Sophia Merkel vom Department für Geschichte am Karlsruher
Institut für Technologie (KIT) sagt. «Dabei sind es kleine Schätze.
»
Alte Fotoalben seien kuratierte Familiengeschichte, sagt die
Doktorandin. «Jemand hat sich Gedanken gemacht, warum genau diese
Motive fotografiert wurden, warum genau diese Fotos für das Album
ausgewählt wurden, und warum sie in dieser Zusammenstellung
eingeklebt wurden.»
Digitalfotografie stoppt analogen Trend nicht
Dass das trotz Digitalisierung nicht aus der Mode kommt, belegen zum
Beispiel rund 30 Millionen Fotobücher, die das Unternehmen Cewe
allein in den vergangenen fünf Jahren verkauft hat. Reisen sind laut
einem Sprecher der Hauptanlass. Jahr- und Hochzeitsbücher sowie neuer
Nachwuchs spielten ebenso eine wichtige Rolle.
Nach wie vor werden auch Bildabzüge erstellt, wie Alexander Strehlau
von der Drogeriemarktkette dm berichtet. Während der Corona-Pandemie
sei die Nachfrage durch ausgefallene Urlaube, Feste und Ausflüge
zurückgegangen. «Seit zwei Jahren hat sich die Situation bei dm
jedoch deutlich entspannt.»
Dass ausgedruckte Fotos und Alben im immer digitaler werdenden Alltag
weiterhin einen Platz haben, stellt auch der Fotoalben-Hersteller
Hama fest. «Wer sich dafür entscheidet, will nicht einfach nur
Bilddaten speichern, sondern Erinnerungen greif- und sichtbar
machen.» Oft würden sogenannte Art Journals daraus, also künstlerisch
gestaltete Tagebücher, häufig in Spiralalben.
Fotos geben intime Einblicke
Lange war die Wissenschaft laut Merkel zögerlich, weil es sehr
persönliche Momentaufnahmen sind, die ursprünglich nicht für die
Öffentlichkeit gedacht waren. Es gebe viel Spielraum für
Interpretationen und Spekulationen. «Das erscheint erstmal als
Gegenteil von objektiv und wissenschaftlich», sagt sie. Manche
Einblicke ins Familienleben, in ihr Beisammensein, in ihr Zuhause
seien sehr intim. «Man stößt ins Private rein.»
Doch es seien zeitgenössische Werke, von einem Autor, einer Autorin
erstellt. Sie ergänzten den Blick auf die Vergangenheit wie
Tagebücher und zeigen Interaktion mit Zeitgeschichte. Und zwar aus
der Perspektive einfacher Leute und nicht nur beispielsweise aus dem
Leben von Staatsoberhäuptern.
Mit Beginn der Fotografie im 19. Jahrhundert hätten sich nur
wohlhabende Familien Fotografen leisten können. «Fotoalben wurden zum
Beispiel bei Besuchen vorgelegt», erläutert Merkel. Es ging um
Repräsentation. Je erschwinglicher Fotos wurden, desto mehr wurden
sie ein Massenphänomen.
Gerade in Deutschland ist ein Thema präsent
Manche Motive finden sich immer wieder: Taufe, Kommunion,
Konfirmation, Weihnachten, Hochzeit. Darunter mischten sich
individuelle Eindrücke, sagt Merkel. Gerade in Deutschland spiele der
Zweite Weltkrieg eine wichtige Rolle.
In Alben ihrer Großmutter sei diese in der Kleidung des Bunds
Deutscher Mädel (BDM) zu sehen, ihr Großonkel ganz selbstverständlich
mit Kameraden bei der Wehrmacht, berichtet Merkel. Darüber habe sie
viel mit ihrer Oma gesprochen. «Da geht es um ganz Persönliches,
warum sie gerne zum BDM-Dienst gegangen ist. Das gibt aber auch
Antworten auf große Fragen, wie das System funktioniert hat.»
Überhaupt empfiehlt Merkel, so viel wie möglich über alte Fotos in
Erfahrung zu bringen. Am besten gelinge das durch Gespräche mit
Zeitzeugen. Manchmal seien Datum und Ort auf der Rückseite vermerkt.
«Was man herausfindet, sollte man notieren», sagt sie
Wissenschaftlerin. «Sonst geht das Wissen verloren.»
Heute liegt Augenmerk auf persönlicher Note
Bei Cewe bestellen den Angaben nach eher Frauen Fotobücher, vorrangig
im Alter von 30 bis 59 Jahren. Das Angebot zum Selbstgestalten in
verschiedenen Designs gibt es dort seit 20 Jahren. «Unsere
Fotoprodukte begleiten viele Familien und finden sich in zahlreichen
Haushalten wieder, oft von Generation zu Generation weitergegeben»,
sagt Vorstandsmitglied Thomas Mehls.
Spezielle Themenalben sind laut Hama eher auf dem Rückzug, neutral
gehaltene Designs werden bevorzugt. Einsteckalben für das gängige
Format 10 mal 15 Zentimeter seien als schnelle Lösung sehr beliebt.
Auch «Memo-Alben» stünden im Ranking weit oben. Sie kombinierten
diese unkomplizierte Archivierungsform mit zusätzlichem Platz zum
Beschriften und Kommentieren.
Einen Wandel in den Kundenpräferenzen hat dm festgestellt, wie
Strehlau berichtet: «Während der Umsatzanteil von Bildausdrucken im
Vergleich zu vor fünf Jahren leicht zurückging, gewinnen
personalisierte Fotogeschenke wie Fotobücher und Fotokalender
zunehmend an Bedeutung.»
«Wegschmeißen ist keine Option!»
Die Masse an Fotos habe sich durch Digitalfotografie und Handykameras
potenziert, sagt Merkel. Das mache die Archivierung schwieriger.
Digitale Speichermedien hätten eine geringere Halbwertszeit,
verschiedene Dateiformate könnten irgendwann nicht mehr gelesen
werden.
«Es fehlen schon bei den alten Alben Zeit und Ressourcen, sie zu
archivieren», sagt sie. Zudem gebe es kein einheitliches System
dafür.
Dennoch rät die Forscherin, Fotoalben aus Omas Nachlass nicht zu
entsorgen. «Wegschmeißen ist keine Option! Das ist ein riesiger
Fundus an Familiengeschichte.» Es sei schade, wenn der in
Müllcontainern lande.
Stattdessen könne man Stadtarchive fragen, ob sie solche Dokumente
der Zeitgeschichte aufbewahren, sagt Merkel. «Dann liegen sie
vielleicht auch erstmal nur in einer Kiste, aber gehen nicht
verloren.» Und irgendwann brauche sie ein Museum für eine Ausstellung
oder eine Studentin für ihre Forschung.
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