Verfassungsbeschwerde gegen Mängel im Rettungsdienst

In gesundheitlich kritischen Fällen sollten Rettungswagen und
Notärzte rasch zur Stelle sein. Doch es gibt deutliche Unterschiede
in Deutschland. Das möchten Experten nicht länger hinnehmen.

Berlin/Karlsruhe (dpa) - Die Notfallversorgung in Deutschland weist
aus Sicht der Björn Steiger Stiftung große Mängel auf und bedarf
dringend einer Reform. Mit einer Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe
will die Organisation, die sich für eine Verbesserung des
Rettungswesens einsetzt, bundesweit einheitliche Standards erreichen.
Die Unterlagen wurden elektronisch beim Bundesverfassungsgericht
eingereicht, wie die Stiftung in Berlin mitteilte. 

«Der Bund erfüllt seine grundgesetzliche Verpflichtung nicht, ein
flächendeckendes, einheitliches und qualitativ hochwertiges
Rettungsdienst-System sicherzustellen», erklärte Stiftungs-Präsident

Pierre-Enric Steiger den Schritt. «Die Rettung eines Menschenlebens
darf nicht vom Wohnort und der jeweiligen Tagesform des Mitarbeiters
in der Rettungsleitstelle abhängen. In Deutschland sterben jedoch
Menschen rein systembedingt», sagte Steiger der Deutschen
Presse-Agentur. 

Steiger: aktuelle Regelung verstößt gegen Grundgesetz

Ziel der Verfassungsbeschwerde ist nach seinen Angaben, die
Feststellung, dass die jetzige Regelung gegen das Grundgesetz
verstößt - um dann eine bundesweite Verbesserung in Angriff nehmen zu
können. «Unsere Beschwerde richtet sich nicht gegen die
Rettungskräfte, sondern gegen die Rahmenbedingungen, die ihre Arbeit
erschweren und damit die Sicherheit der Bevölkerung gefährden»,
betonte Steiger. 

Auch neues Gesetz in Baden-Württemberg in der Kritik

Gegen das Land Baden-Württemberg zieht die Stiftung vor Gericht, weil
dort im vergangenen August ein umstrittenes neues Rettungsgesetz in
Kraft getreten ist. Aus Sicht der Stiftung stellt es keine
Verbesserung dar. Zuständigkeiten und Strukturen bei Notfällen seien
nicht genügend geklärt und entsprächen nicht internationalen
Standards. 

Das Rettungswesen in Deutschlands habe einst zu den modernsten der
Welt gehört. «Dann sind wir jedoch stehen geblieben. Deutsche
Leitstellen sind unwirtschaftlich, teuer und ineffektiv», kritisierte
Steiger. Europäische Nachbarn wie Österreich, die Niederlanden oder
skandinavische Länder verfügten hingegen über moderne Leitstellen,
deren Mitarbeiter dank moderner Cloud-Systeme teils sogar im
Homeoffice arbeiten könnten. Ein ständiger Datenaustausch
gewährleiste schnelle Hilfe und gleiche Qualitätsstandards. 

Kritik kommt auch von der Bundesärztekammer: «Es ist inakzeptabel,
dass der Bund keine einheitlichen Standards im Rettungswesen vorgibt,
obwohl dies für Krankenhäuser und den ärztlichen Bereich längst
etabliert ist», erklärte deren Ehrenpräsident Frank Ulrich
Montgomery.

Pläne zu Reform nach Ampel-Aus hinfällig 

Pläne für eine Neuorganisation des Rettungsdienstes mit bundesweit
einheitlichen Standards hatte auch die zerbrochene Koalition aus SPD,
Grünen und FDP. Um bundesweite Mindeststandards abzusichern, sollte
laut Entwurf ein «Qualitätsausschuss» beim
Bundesgesundheitsministerium eingerichtet werden. Mit dem Aus der
Ampel sind diese Pläne aber hinfällig. 

Nun bleibt abzuwarten, ob das Bundesverfassungsgericht sich mit dem
Fall auseinandersetzt. Die Hürden dafür, dass das höchste deutsche
Gericht eine Verfassungsbeschwerde annimmt, sind hoch. Dafür muss dem
Thema eine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommen.

Die Björn Steiger Stiftung mit Sitz in Winnenden nahe Stuttgart setzt
sich seit Jahrzehnten für die Verbesserung des Rettungsdienstes ein.
Sie war unter anderem wesentlich an der Einführung der bundesweiten
Notrufnummer 110/112 beteiligt.

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