Long Covid: Der lange Weg zurück ins Leben Von Nicole Schippers, dpa
Erschöpfung, Kurzatmigkeit, Schmerzen - Betroffene von Long Covid
leiden unter vielfältigen Symptomen. Auch fünf Jahre nach dem
Corona-Ausbruch bleiben Diagnose und Therapie schwierig.
Kassel/Breitscheid (dpa/lhe) - Vor fünf Jahren hat das Corona-Virus
die Welt auf den Kopf gestellt. Für Betroffene von Langzeitfolgen der
Infektion herrscht mitunter bis heute Ausnahmezustand. Long Covid
nennt man das Phänomen von Symptomen, die länger als vier Wochen
andauern. Dabei sind die geistige und körperliche Leistungsfähigkeit
weit über die akute Infektion hinaus eingeschränkt.
«Vor vier Jahren war ich arbeitsunfähig. Inzwischen kann ich wieder
Vollzeit arbeiten», berichtet die in Breitscheid (Lahn-Dill-Kreis)
praktizierende Ärztin Claudia Ellert von der Betroffeneninitiative
Long Covid Deutschland. Dabei gebe es allerdings klare Grenzen, die
sie beachten müsse. Sport etwa könne sie nach wie vor nicht treiben,
sagt die einst aktive Triathletin. «Ich versuche irgendwie Aktivität
und Bewegung aufrechtzuerhalten, aber mit Sport hat das nichts zu
tun.»
Im November 2020 machte Ellert eine Corona-Infektion durch. Danach
stellten sich Symptome von Long Covid ein. 2022 veröffentlichte die
Fachärztin für Chirurgie und Gefäßchirurgie ein Buch mit dem Titel
«Long Covid - Wege zu neuer Stärke. Symptome, Behandlungswege, Hilfe
zur Selbsthilfe».
Versuch und Irrtum
Sie habe verschiedene Therapien probiert, erzählt Ellert. Im Laufe
der Zeit habe sich ihre kognitive Leistungsfähigkeit, also
Aufmerksamkeit und Denken, wieder deutlich verbessert. Was letztlich
geholfen habe, könne sie nicht zu 100 Prozent beantworten. «Ich habe
sicherlich durch mehrere Medikamente eine Stabilisierung
hinbekommen.» Es sei viel herumprobiert worden nach dem Prinzip
Versuch und Irrtum. «Und das ist nach wie vor so.»
Es fehle weiterhin eine flächendeckende Expertise, meint die Ärztin.
«Betroffene brauchen immer auch ein bisschen Glück, an einen Arzt zu
geraten, der sich mit Long Covid beschäftigt, sich damit auskennt
oder selbst betroffen ist.» Es brauche regionale Netzwerke mit
Fachärzten, die anhand entsprechend vieler Patienten Erfahrungen
sammelten. «Wenn sie immer nur Fachärzte haben, die zehn Patienten im
Jahr sehen, dann ist das halt zu wenig.» In der Versorgung gebe es
zudem wenig bis keine festgelegten Diagnostik- und
Therapiestandards.
Krankheitsbild weiterhin schwer vermittelbar
Immerhin seien zum 1. Januar für die Versorgung von Patienten mit
Long Covid mehrere neue Leistungen in den einheitlichen
Bewertungsmaßstab EBM aufgenommen worden, der den Inhalt der
abrechnungsfähigen vertragsärztlichen Leistungen definiert. Die
Akzeptanz für die Erkrankung habe insgesamt zwar zugenommen, auch
weil inzwischen viele Menschen Betroffene kennen würden. Nach wie vor
sei das Krankheitsbild aber schwer zu vermitteln.
Ähnlich bewertet das auch Nina Kollmar, die Leiterin des
Kompetenzzentrums für Long Covid bei Kindern und Jugendlichen am
Klinikum Kassel ist. «Es gibt eine bessere Akzeptanz, aber sie ist
noch deutlich verbesserungswürdig», meint die Fachärztin für
Pädiatrie. Die Politik sei aufmerksamer geworden und habe einiges auf
den Weg gebracht. Insgesamt sei die Versorgung dieser Patienten aber
immer noch unzureichend.
Bereits 2021 baute die Kinderklinik des Klinikums Kassel ein
Behandlungsangebot für Kinder und Jugendliche mit Long Covid und
ME/CFS auf.
ME/CFS steht für Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches
Fatigue-Syndrom. Die Erkrankung ist eine der schwersten
Langzeitfolgen von Long Covid. Das sogenannte Pednet-LC Kassel, das
seit Januar im Rahmen eines Modellprojekts vom
Bundesgesundheitsministerium gefördert wird, ist eines von bundesweit
20 spezialisierten Zentren und aktuell als einziges in Hessen für das
gesamte Bundesland zuständig.
Lange Warteliste bei Anlaufstelle im Klinikum Kassel
«Der Ansturm war gewaltig», erinnert sich Kollmar an den Start des
Zentrums. «Auch heute haben wir noch eine lange Warteliste.» Die
betroffenen Kinder und Jugendlichen seien häufig extrem erschöpft und
unkonzentriert, litten unter anderem an Kopfschmerzen, Herzproblemen,
Kurzatmigkeit und Atemnot. «Im Gegensatz zu anderen Erkrankungen
sehen diese Kinder aber gesund aus», schildert die Kinderonkologin.
Einige treffe es so schwer, dass sie nicht mehr zur Schule gehen
könnten. Für die Schulen sei es oftmals schwierig, die Erkrankung von
Schulabstinenz zu unterscheiden. Deshalb sei es wichtig, mit den
Schulen Kontakt aufzunehmen und eine andere Form der Beschulung
auszuloten. Entsprechende Strukturen fehlten bislang. Kollmar selbst
hält Vorträge an Schulen, um über das Krankheitsbild aufzuklären.
Die erkrankten Kinder und Jugendlichen hätten schwerwiegende
Zukunftsängste, weil sie fürchten müssten, den Schulabschluss nicht
machen zu können und komplett aus dem System zu fallen, erläutert
Kollmars Kollegin Anne-Kathrin Brüggemann. Zudem litten sie darunter,
weder Schule noch Freunde besuchen zu können und seien oft isoliert,
berichtet die Ärztin. Neben den Kindern und Jugendlichen selbst leide
die gesamte Familie.
Schonender Umgang mit Energieressourcen
Die Diagnose von Long Covid sei nach wie vor eine Ausschlussdiagnose,
sagt Kollmar. «Es gibt immer noch keinen spezifischen Biomarker, der
bei einer Laboruntersuchung zeigt, ob jemand erkrankt ist oder
nicht.» Die Behandlung wird am Klinikum Kassel von einem
Fachkräfte-Team verschiedener Disziplinen angeboten, zu dem unter
anderem Kinder- und Jugendpsychologen, Kinder-Kardiologen,
-Pulmologen, -Radiologen, und -Neurologen sowie Sozialarbeiter
gehören. Auch ein schulisches Angebot ist vorhanden.
Vier Tage lang werden die Kinder stationär aufgenommen. «Rein
theoretisch würde man das bei einem gesunden Kind alles an einem Tag
hinbekommen. Nur für diese Kinder ist das zu viel», sagt Kollmar. Sie
brauchten Ruhephasen. Steht die Diagnose, gibt es keine
Standardtherapie. Eine Behandlungsmöglichkeit ist laut Kollmar etwa
das sogenannte Pacing, also ein schonender Umgang mit den eigenen
Energieressourcen, um Überlastung zu vermeiden.
Long Covid ist dauerhaftes Problem
Mehr als 100 Patienten sind in dem Kasseler Kompetenzzentrum in
Behandlung. «Bestimmt noch einmal 100 stehen auf der Warteliste»,
berichtet Kollmar. Kürzer wird die Liste nicht. «Es ist nicht so,
dass diese Kinder alle in der ersten oder zweiten Welle Long Covid
entwickelt haben», betont die Medizinerin. «Es gibt immer noch
Neuinfektionen und neu auftretende Fälle von Long Covid.»
Die Erkrankung sei ein gesamtgesellschaftliches Problem. «Irgendwann
sind diese Kinder erwachsen, machen eine Ausbildung, üben einen Beruf
aus. Das wird dann das nächste große Problem.» Dafür fehle es an
Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit, mahnt Kollmar und betont: «Das
Virus ist nicht verschwunden, es wird bleiben. Und mit ihm Long
Covid.»
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