Immer weniger Kreißsäle in NRW - Hebammen alarmiert
In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Geburtsstationen deutlich
geschrumpft. Lange Fahrtzeiten und eine Konzentration auf große
Kliniken belasten die Qualität der Geburtshilfe, warnen Hebammen.
Düsseldorf (dpa) - Hebammen sehen die Versorgung von werdenden
Müttern und ihren Neugeborenen angesichts von immer weniger
Geburtsklinken in Nordrhein-Westfalen in Gefahr - insbesondere im
ländlichen Raum. «Wenn wir keine wohnortnahe geburtshilfliche
Versorgung mehr haben, was in vielen Regionen des Landes längst der
Fall ist, verlagern wir Geburten immer mehr in den Rettungsdienst»,
sagt Michelle Rump, Vorsitzende des Hebammenverbandes NRW.
Doch die Rettungskräfte seien weder dafür ausgebildet noch sei der
Rettungsdienst strukturell aufgestellt, den Frauen und Neugeborenen
gerecht zu werden. «Es kann nicht unser Standard werden, dass Frauen
ihr Kind im Rettungswagen oder im Auto bekommen», sagt Rump. Doch
wenn Frauen Fahrtzeiten von 40 Minuten und mehr in Kauf nehmen
müssten, sei das immer häufiger der Fall.
Auch wenn in Ballungsgebieten Kreißsäle dicht machten, bleibe dies
nicht ohne Folgen für die Familien, kritisiert die Hebamme.
«Umliegende Kliniken müssen das auf einen Schlag auffangen. Schon
jetzt sind Geburtsstationen vielerorts so überfüllt, dass sich eine
Hebamme gleichzeitig um mehrere Gebärende kümmern muss.»
Viele Geburtsstationen wurden geschlossen
Die Zahl der Kreißsäle geht seit Jahren zurück. So zählte das
Ministerium für einen Bericht im Jahr 2014 ungefähr 170
Krankenhäuser, in denen Geburten vorgenommen wurden. Im Zuge der
neuen Krankenhausplanung wurden 2024 nur noch 126 ermittelt, ein
weiterer Kreißsaal in Dortmund schließt zum Monatsende. Der
Hebammenverband geht davon aus, dass seit 2007 insgesamt 55
Geburtsstationen geschlossen wurden.
Die geburtshilfliche Versorgung in Krankenhäusern finde trotz
rückläufiger Zahlen in NRW «grundsätzlich flächendeckend auf eine
m
hohen Niveau statt», heißt es aus dem Ministerium auf Anfrage. Der
neue Krankenhausplan verfolge das Ziel, eine geburtshilfliche
Versorgung möglichst landesweit innerhalb von einer Autofahrtzeit von
40 Minuten zu gewährleisten.
Der Hebammenverband kritisiert diese Festlegung als willkürlich: «Es
gibt keine Untersuchung, warum man einer Frau in den Wehen 40 Minuten
zumuten kann, bei einem Patienten mit akuter Blinddarmentzündung aber
eine Fahrzeit von maximal 20 Minuten vorsieht.»
Mancherorts ist der Weg zum nächsten Kreißsaal lang
Tatsächlich wird das Ziel einer maximal 40-minütigen Autofahrtzeit
des Krankenhausplans nicht flächendeckend gewährleistet, wie auch das
Ministerium einräumt: In zehn Kreisen gibt es einen Teil der
Bevölkerung von 10 Prozent, der den Berechnungen zufolge eine längere
Anfahrt in Kauf nehmen muss. Dies betrifft einer Antwort auf eine
kleine Anfrage im Landtag zufolge einige Regionen im ländlichen
Südwestfalen, sowie jeweils Teile der Kreise Lippe, Höxter,
Euskirchen, Minden-Lübbecke, Ennepe-Ruhr und Rhein-Sieg.
Neben der Erreichbarkeit spiele auch die Qualität eine wichtige
Rolle, so das Ministerium. Daher unterstütze man die
Weiterentwicklung des Angebots mit einer Reihe von Maßnahmen, etwa
durch die Förderung sogenannter Hebammenkreißsäle, in denen Frauen
mit unkompliziertem Schwangerschaftsverlauf ihr Kind ohne ärztlichen
Eingriff, aber mit durchgehender Betreuung von Hebammen zur Welt
bringen können.
Verband: Finanzierungssystem schafft Fehlanreize
Doch gerade Kreißsäle, die auf interventionsarme Geburten bedacht
seien, also möglichst Kaiserschnitte oder andere medizinische
Eingriffe vermieden, hätten es schwer, kritisiert der Verband. «Damit
lässt sich einfach in unserem System nicht genug Geld verdienen»,
sagt Rump.
Eine immer stärkere Konzentration auf immer größere als sogenannte
Maximalversorger eingestufte Krankenhäuser, gefährde die Qualität der
Geburtshilfe weiter. «Eine im internationalen Vergleich zu hohe
Kaiserschnittrate und eine vergleichsweise hohe Zahl an Frühgeburten
sind jetzt schon Hinweis darauf, dass sich etwas ändern muss», sagt
Rump.
Betriebswirtschaftliche Erwägungen führt auch das
Gesundheitsministerium als einen der Gründe für die Schließungen an.
Hinzukämen zudem Schwierigkeiten bei der Personalgewinnung sowie je
nach Klinik auch rückläufige Geburtenzahlen.
Landesweit lag die Zahl der Geburten 2023 laut Statistischem
Landesamt bei 155.515 und damit 5,5 Prozent niedriger als 2022 (rund
164.496) - zwischen den Jahren 2016 und 2021 waren jeweils mehr als
170.000 Kinder geboren worden.
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