Stärker als Heroin: So gefährlich sind Forschungschemikalien Von David Hutzler, dpa

Mit sogenannten Forschungschemikalien werden immer mehr Todesfälle in
Verbindung gebracht. Noch erscheint das Problem klein. Doch das
könnte sich bald ändern. Aus einem konkreten Grund.

Berlin (dpa) - Ein 19-Jähriger in Hessen, ein 17-Jähriger in Bayern
und viele weitere Fälle im Bundesgebiet: Seit einigen Monaten werden
vermehrt Todesfälle mit sogenannten Forschungschemikalien in
Verbindung gebracht. Allein in Bayern berichtete das
Landeskriminalamt Anfang Februar von mindestens sieben Fällen binnen
eines halben Jahres. Zuletzt seien weitere Tote hinzugekommen, sagte
eine Sprecherin, ohne eine Zahl zu nennen. Die Behörden sind
alarmiert, in einigen Bundesländern werden drastische Warnungen
veröffentlicht. Worum geht es genau?

Was sind Forschungschemikalien? 

Es handelt sich um ganz verschiedene synthetische Stoffe mit
psychoaktiver Wirkung, die als Rauschmittel missbraucht werden. Sie
werden auch als «Research Chemicals» bezeichnet und können oft
einfach in Onlineshops gekauft werden. 

Laut Bundeskriminalamt (BKA) ist die Bezeichnung irreführend.
Hauptsächlich gehe es den Herstellern darum, über die hochpotenten
Wirkstoffe hinwegzutäuschen und eine Haftung auszuschließen.
Ähnliches gilt für Kräutermischungen, die als Ersatz für
Cannabisprodukte gelten, sowie sogenanntes Badesalz, das ähnlich wie
Kokain oder Amphetamine wirkt. Sie alle gelten als neue psychoaktive
Stoffe. 

Welche Stoffe machen aktuell die größten Sorgen? 

Was genau aktuell zu Vergiftungen führt, ist bisher nicht
abschließend klar. Die EU-Drogenagentur EUDA beobachtet inzwischen
über 1.000 neue psychoaktive Stoffe. «Das ist ein klassisches Problem
des Schwarzmarkts: Es sind viel mehr Stoffe im Umlauf als analysiert
werden können», sagt Esther Neumeier von der Deutschen
Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht. Bei vielen aktuellen
Vergiftungsfällen fehlten zudem toxikologische Gutachten. 

Klar sei aber, dass die Gruppe der Nitazene beteiligt sei, so
Neumeier. Das seien neue synthetische Opioide, von denen viele
hochpotent seien und stärker wirkten als Heroin. Und die Stoffgruppe
ist im Kommen: Unter den 2024 EU-weit knapp 50 neu gemeldeten
Substanzen waren laut EUDA etwa die Hälfte Nitazene. Die andere
Hälfte waren synthetische Cannabinoide. Aus BKA-Sicht hat sich das
Problem im vergangenen Jahr verstärkt, da insbesondere gefährliche
synthetische Opioide in Umlauf gekommen seien. 

Wer konsumiert das? 

Laut einem Bericht des Instituts für Therapieforschung in München
sind die Konsumenten von Nitazenen eine eher kleine Gruppe junger,
sehr experimentierfreudiger Menschen, die die Substanzen online
bestellen. Auch das BKA berichtet von Konsumierenden mit
«einschlägigem Erfahrungshorizont». Nach Daten des
Bundesdrogenbeauftragten konsumierten zuletzt etwa 1,3 Prozent der
Erwachsenen bis 59 Jahre und 0,1 Prozent der Jugendlichen zwischen 12
und 17 Jahren neue psychoaktive Stoffe. 

Hinzu komme, dass Nitazene teils auch gefälschten Medikamenten
zugesetzt würden, erzählt Neumeier. Die würden von jüngeren Mensche
n,
aber teils auch von Menschen mit hochriskantem Drogenkonsum genommen.
«Darüber hinaus hatten wir aus Deutschland die erste Meldung von
Heroin, das mit Nitazenen versetzt wurde, aus Bremen.» 

Was macht sie so gefährlich? 

Generell können neue psychoaktive Substanzen laut BKA zu Atem- oder
Kreislaufstillstand, Vergiftungen der inneren Organe oder
neurologischen Schäden führen. Bei den hochpotenten synthetischen
Opioiden wie Nitazenen warnen Experten vor der Gefahr einer
Überdosierung. «Die wirksame Dosis ist nicht weit entfernt von der
tödlichen Dosis», sagt Bernd Werse vom Institut für Suchtforschung in

Frankfurt. Bei einer Überdosis mit Opioiden versagt die Atmung, die
Menschen sterben an einem Atemstillstand.

Zudem sei oft nicht klar, was genau in den Packungen ist, mahnen
Experten. Auch mögliche Wechselwirkungen mit anderen Stoffen seien
ein Risiko. Bei den Todesfällen in Bayern berichtet das
Landeskriminalamt von unterschiedlichen Ursachen für den Tod, ohne
genauer darauf einzugehen. In vielen Fällen sei davon auszugehen,
dass auch andere Betäubungsmittel, Arzneien oder chemische Substanzen
eine Rolle spielten.

Wie schlimm ist es im Vergleich zu anderen Drogen? 

Auf dem Papier erscheint das Problem derzeit eher überschaubar. Unter
den bundesweit 2.227 Drogentoten im Jahr 2023 spielten bei 90
Menschen neue psychoaktive Stoffe eine Rolle. Synthetische
Cannabinoide waren dabei öfter involviert als synthetische Opioide.
Zum Vergleich: Allein an den Folgen von Tabak- und Nikotinkonsum
sterben nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums jährlich etwa
127.000 Menschen.

Aber gerade bei synthetischen Opioiden gibt es nach Einschätzung von
Werse Sorgen, dass das Thema größer werden könnte. Derzeit sitze man

«wie das Kaninchen vor der Schlange»: Seit in Afghanistan die Taliban
wieder an der Macht seien, werde vor einer Heroin-Knappheit gewarnt.
Künstlich hergestellte Stoffe könnten als Ersatz dienen. In den USA
etwa steckt das synthetische Opioid Fentanyl hinter zehntausenden
Todesfällen. «Es gibt die Befürchtung, dass das in ähnlicher Form b
ei
uns ankommen könnte.»

Wie wirksam wird die Entwicklung bekämpft? 

Zum einen versuchen es Behörden mit Informationskampagnen - das BKA
etwa mit der Social-Media-Kampagne «#gefährlichbunt». Um
Cannabinoide, Badesalz oder «Research Chemicals» zurückzudrängen,
gibt es in Deutschland außerdem seit 2016 das
Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz (NpSG). Der Clou: Anders als beim
Betäubungsmittelgesetz können seither nicht nur Einzelstoffe, sondern
ganze Stoffgruppen verboten werden. Das Gesetz wird seither immer
wieder angepasst und präzisiert, zuletzt im Juni 2024.

Allerdings ist die Wirksamkeit des Gesetzes umstritten. «Es war immer
schnell so, dass alternative Stoffe, die nicht diesen definierten
Stoffklassen entsprechen, auf den Markt kamen», sagt Werse. Auch das
BKA beobachtet, dass einige der derzeit vertriebenen Stoffe die
aktuellen Bestimmungen im NpSG umgehen. 

Der UN-Drogenkontrollrat INCB nannte synthetische Drogen zuletzt ein
«drängendes Problem, für das Kontrollbehörden, die Strafverfolgung

und das öffentliche Gesundheitswesen weitgehend unvorbereitet sind».
In Europa gelte das etwa für Nitazene.

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