Die 4000 Igel des Dottore Vacchetta Von Christoph Sator, dpa
Mitten in den Weinbergen des Piemont betreibt ein italienischer
Tierarzt ein einzigartiges Krankenhaus. Die neuesten Gefahren für die
stachligen Tiere: Mähroboter - und der Klimawandel.
Novello (dpa) - Aus dem Brutkasten auf der Intensivstation piept
plötzlich Alarm: Cetto, noch keine 370 Gramm schwer, schnappt schwer
nach Luft. Sofort versorgt ihn der behandelnde Arzt über einen
Schlauch mit Sauerstoff. Das ist zu wenig: Also verpasst der
Mediziner seinem kleinen Patienten auch noch eine Spritze. Jetzt geht
der Puls glücklicherweise runter. Cetto rollt sich wieder zusammen -
so wie das Igel eben tun, wenn sie sich besser fühlen.
So oder so ähnlich hätte sich die Szene auch in irgendeiner
Großklinik abspielen können. Tat sie aber nicht, sondern in einem 300
Jahre alten Haus mitten in den Hügeln der norditalienischen Region
Piemont. In Novello, dem Nachbardorf des viel berühmteren Weinortes
Barolo, betreibt der Tierarzt Massimo Vacchetta eine einzigartige
Einrichtung: ein Igelkrankenhaus mit angeschlossenem Altersheim und
sogar einem Friedhof dazu.
In Wintermonaten jetzt oft zu warm für Winterschläfer
Alles in allem haben Vacchetta und sein Team hier schon 4000 Igel
verarztet. Derzeit sind es 200. Die meisten sind in Käfigen
untergebracht. Die kritischen Fälle wie Cetto liegen in Brutkästen
bei etwa 25 Grad. Es gibt auch eine Notaufnahme, einen speziell auf
Igel ausgerichteten Operationstisch sowie die verschiedensten
medizinischen Geräte: Blutanalyse, Laser, Röntgen oder Ultraschall.
Die meisten Igel, die hier landen, wurden überfahren: von Autos, so
wie Cetto, immer häufiger aber auch von Mährobotern. Andere haben
ausgelegtes Gift gefressen oder Plastik verschluckt. Zunehmend macht
den Tieren, die normalerweise mehrere Monate Winterschlaf halten, der
Klimawandel zu schaffen: «Weil es in den Wintermonaten jetzt oft zu
warm ist, wachen sie mittendrin auf», erzählt Vacchetta. «Ohne fremde
Hilfe sind sie dann verloren.»
Braunbrustigel aus Europa auf Roter Liste
Das Krankenhaus betreibt der 57-Jährige seit mehr als einem
Jahrzehnt. Ursprünglich wollte er nach dem Studium in Turin aus dem
Haus eine Ferienunterkunft machen. Aber dann ging seine Ehe in die
Brüche, und auch mit dem Beruf als Tierarzt war er nicht mehr
zufrieden: Mit Massentierhaltung wollte er nichts mehr zu tun haben -
wusste aber nicht, wohin. Bis ihm ein Kollege 2013 ein Igelbaby
zeigte, 25 Gramm leicht nur, das die Mutter verloren hatte. Vacchetta
nannte es Ninna und päppelte es auf.
So begann er, sich mit den stachligen Vierbeinern zu beschäftigen,
einem der ältesten Säugetiere überhaupt, die es schon seit vielen
Millionen Jahren gibt. Lernte, dass Igel nur in Europa, Afrika und
Asien leben. Und zwar immer weniger davon: Der einst weit verbreitete
westeuropäische Braunbrustigel steht nun unter Artenschutz. In
Deutschland war er «Wildtier des Jahres 2024» - was auch nichts daran
änderte, dass ihn die Weltnaturschutzunion IUCN als «potenziell
gefährdet» auf ihre Rote Liste setzte.
Rettungsstationen auch in Deutschland
In Italien ist man wegen des Igelsterbens schon einige Jahre länger
besorgt. Weshalb Vacchetta schließlich auch eine eigene Praxis nur
für Igel gründete, die er nach seiner ersten Patientin benannte: «La
Ninna». Inzwischen ist daraus ein Krankenhaus mit sechs
Vollzeit-Beschäftigten und 300.000 Euro Jahresbudget geworden - ein
großer Unterschied zu ehrenamtlich betriebenen Igelkliniken, wie es
sie auch in Großbritannien und Deutschland gibt.
Finanziert wird das Hospital nur durch Spenden, ohne jedes Geld vom
Staat. «Ich will nicht von der Politik abhängig werden», sagt
Vacchetta. Zudem helfen mehrere Dutzende Freiwillige mit. Die
Notrufnummer ist rund um die Uhr besetzt. Inzwischen kommen Leute von
weit her, um verletzte oder geschwächte Igel abzuliefern. Der
«Igel-Doktor», der sich sein Geld auch mit Igel-Fotos über Instagram
und Facebook besorgt, ist inzwischen einigermaßen bekannt.
«Wenn es Igeln schlecht geht, geht es auch den Menschen schlecht»
Sein erstes Buch über Ninna («Eine Handvoll Glück») wurde in zwöl
f
Sprachen übersetzt. In Italien hat er nun auch einen Comic
herausgebracht. Das Vorwort kommt von «Queen»-Gitarrist Brian May.
Für die französische Ausgabe übernimmt das Brigitte Bardot, die schon
Jahrzehnte im Tierschutz aktiv ist, für die deutsche Fassung der
Schauspieler Andreas Hoppe, ein ehemaliger «Tatort»-Kommissar aus
Ludwigshafen.
Vacchetta sieht seine Arbeit in größerem Zusammenhang. «Wenn es Igeln
schlecht geht, geht es auch der Natur und den Menschen schlecht»,
sagt der Dottore. «Und mit dem Klimawandel wird es Igeln in den
nächsten Jahren zunehmend schlechter gehen.» Bis heute ist er dabei
geblieben, dass jedes Tier bei der Einlieferung einen Namen bekommt.
«Das sind einzelne Lebewesen, die verdienen alle Respekt.»
Ältere Tiere kommen ins «Altersheim»
Wenn es den Leuten im Krankenhaus gelingt, die Igel wieder
gesundzumachen, geht es zurück in die Natur. «Und meistens haben wir
Erfolg», sagt Vacchetta. Ältere Tiere, die aus eigener Kraft nicht
überleben können, erhalten einen Platz im dritten Stock, im «La
Ninna»-Altersheim, wo sie dann ihren Lebensabend fristen. Igel, die
es nicht geschafft haben, kommen auf den Friedhof auf der anderen
Straßenseite oder zur tiermedizinischen Fakultät der Universität
Turin.
Cetto, dem kleinen Igel von der Intensivstation, geht es mittlerweile
deutlich besser. Die Parasiten, die er sich nach dem Autounfall
eingehandelt hatte, ist er dank der Behandlung mit Antibiotika wieder
los. Außerdem hat er binnen weniger Tage 100 Gramm Gewicht zugelegt.
Wenn alles so weitergeht, kann Cetto im Mai wieder nach draußen.
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