Körper als Visitenkarte - Jugendliche strömen in Muckibuden Von Annett Stein, dpa
Fitness-Influencer sind beliebt. Es liegt im Zeitgeist, den eigenen
Körper als Visitenkarte zu nutzen. Jugendlichen kann Kraftsport mehr
Selbstbewusstsein verschaffen. Also alles ganz unbedenklich?
Berlin (dpa) - Was früher Fußball- oder Tennisverein waren, ist bei
Jugendlichen heute oft die Muckibude: Trainingsplatz und Treffpunkt
zum Sehen und Gesehenwerden gleichermaßen. Anstelle von Sportstars
sind dabei Influencer die Idole, denen nachgeeifert wird, wie der
Sportsoziologe Thomas Alkemeyer sagt. «Influencer sind eine der
großen Triebkräfte des Trends.» Hinzu komme, dass die Verbreitung von
Bildern des eigenen Körpers durch die Selfie-Schwemme in sozialen
Medien explodiert sei - und darauf wolle man möglichst gut aussehen.
«Der Körper ist zum wichtigen Statussymbol, zur Visitenkarte
geworden», erklärt Alkemeyer. «Mit einem schlanken, durchtrainierten
Körper zeige ich, dass ich Selbstdisziplin und mein Leben unter
Kontrolle habe.» Jugendliche hätten allgemein wenig Gestaltungsmacht
und nähmen die aktuellen Zeiten als sehr unsicher wahr. «Kraftsport
bietet ihnen die Chance, zumindest etwas selbst zu bestimmen, sich
und anderen zu beweisen, dass man fähig ist, etwas zu gestalten.» Das
könne selbstsicherer machen.
Gegen Kraftsport bei Heranwachsenden sei aus gesundheitlicher Sicht
prinzipiell erst mal nichts einzuwenden, sagt Heinz Kleinöder von der
Deutschen Sporthochschule Köln. «Mit viel Bewegung sollte man
grundsätzlich so früh wie möglich anfangen.» Mit korrekt ausgeübt
em
Kraftsport werde man stabiler, die Knochendichte nehme zu und die
Motorik verbessere sich, erklärt der Sportmediziner vom Institut für
Trainingswissenschaft und Sportinformatik.
Kraftsport ist Ich-bezogen
Allerdings sei Kraftsport sehr stark Ich-bezogen und es gehe um das
äußere Erscheinungsbild, gibt Thomas Alkemeyer von der Carl von
Ossietzky Universität Oldenburg zu bedenken. Beim Mannschaftssport
hingegen spielten auch andere Werte und Persönlichkeitsfacetten wie
die Fähigkeit, Teammitglieder zu motivieren, eine große Rolle.
Gemeinsam mit anderen ein gelungenes Zusammenspiel zu feiern, berühre
auf ganz besondere Art und Weise.
«Zwar trifft man auch im Fitnessstudio auf Gleichgesinnte, aber es
dürfte sicher nicht schaden, den Kraftsport mit einer
Mannschaftssportart zu kombinieren», so Alkemeyer. «Allzu stark um
sich selbst beziehungsweise den eigenen Körper zu kreisen, kann
Vereinsamungstendenzen verstärken.» Einsamkeit sei ohnehin schon
eines der zentralen Probleme unserer gegenwärtigen Gesellschaft. «Und
das betrifft zunehmend auch Jugendliche.»
Die Deutsche Sportjugend (dsj) im Deutschen Olympischen Sportbund
(DOSB) kam in der 2023 vorgestellten Datenerhebung «MOVE» zum
Ergebnis, dass Kraftsport inzwischen zu den am häufigsten ausgeübten
Sportaktivitäten bei 13- bis 17-Jährigen zählt. 43 Prozent der Jungen
und 12 Prozent der Mädchen dieser Altersgruppe spielen demnach
Fußball, 18 Prozent der Jungen und 23 Prozent der Mädchen schwimmen -
und 29 Prozent der Jungen sowie 24 der Mädchen widmen sich in ihrer
Freizeit Kraft- und Fitnesssport. Der Anteil an
Sportvereinsmitgliedern bei Heranwachsenden ist den Daten zufolge in
den letzten zehn Jahren deutlich gesunken.
Interesse Jüngerer wächst
Vom Arbeitgeberverband deutscher Fitness- und Gesundheits-Anlagen
(DSSV) heißt es, das Interesse in jüngeren Altersgruppen nehme seit
Jahren kontinuierlich zu. In Deutschland ist der Abschluss eines
eigenen Fitnessstudio-Vertrags meist ab dem 16. Lebensjahr möglich.
Engmaschige Betreuung ist dabei nicht immer gegeben - und genau dann
wird es riskant. Denn angespornt von den muskulären Versprechungen
markiger Sixpack-Influencer streben Teenager eher nicht danach, ihre
Knochendichte zu verbessern oder Grundlagen fürs gesunde Altern zu
schaffen: Es geht um sichtbare Muskeln, und das möglichst schnell.
«Da ist auch so mancher Erwachsene nicht sonderlich vernünftig», sagt
Kleinöder. «Wenn ich aber direkt mit hochintensivem Training loslege,
obwohl mir die körperlichen Grundlagen fehlen, dann geht das schief.»
Und wirklich bewegungsbegabt seien leider nicht mehr arg viele
Kinder. Dann direkt so viel wegstemmen zu wollen wie nur möglich,
könne Strukturen wie dem unteren Rücken, Schultern, Knie- und
Sprunggelenken schaden. Neben der allmählichen Belastungssteigerung
sei die Präzision beim Ausführen wichtig. «Ohne viel Vorerfahrung
oder einen Trainer, der da ständig schaut und korrigiert, ist das
kaum hinzubekommen.»
Werbung für fragwürdige Präparate
Kraftsport-Influencer zeigen oft nicht nur ihre Muskeln, sondern
haben gleich auch ein angepriesenes Proteinpräparat in der Hand. Ihr
Taschengeld müssen normal trainierende Teenager dafür aber nicht
ausgeben, wie Kleinöder betont: «Es ist gar kein Problem, sich
ausreichend Protein über die Ernährung zu besorgen, über Quark zum
Beispiel. Das muss man sich nicht teuer kaufen.» Zudem lasse sich bei
Nahrungsergänzungsmitteln oft nicht abschätzen, welche potenziell
gefährlichen Stoffe womöglich enthalten sind.
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) warnt zudem, dass die
hochdosierte Zufuhr einzelner Aminosäuren in Form von Präparaten zu
einem Ungleichgewicht im Aminosäuren-Stoffwechsel führen könne. Es
gebe Hinweise, dass es dann zu einer Unterversorgung mit anderen
Aminosäuren oder zu neurologischen Störungen kommen kann.
Das Streben nach Muskeln kann krankhaft werden
Beim Trend zu Proteinriegeln, -pulver und ähnlichem gibt es noch
einen weiteren Aspekt: Junge Menschen, die mehrere solcher
Muskelaufbaupräparate verwenden, zeigen einer im Fachmagazin «PLOS
Mental Health» vorgestellten Studie zufolge häufiger Anzeichen einer
sogenannten Muskeldysmorphie.
Betroffene streben über exzessives Training und muskelorientierte
Ernährungsgewohnheiten pathologisch nach mehr Muskulosität, wie das
Forschungsteam um Kyle Ganson von der University of Toronto
erläutert. Schulische Belange und Freundschaften drohen
vernachlässigt zu werden. «Es gibt Jugendliche, bei denen sich das
ganze Leben um die Gestaltung des eigenen Körpers zu drehen beginnt»,
sagt auch Alkemeyer. Ein speziell von Kraftsport ausgehendes Risiko
sieht er hier aber nicht. «Das kann bei anderen Sportarten auch
passieren, vor allem im Hochleistungssport.»
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