«Warte, warte nur ein Weilchen» - Tod eines Serienmörders Von Thomas Strünkelnberg, dpa

Er galt als «Werwolf von Hannover»: Fritz Haarmann tötete mindestens

24 Jungen und junge Männer. Vor 100 Jahren wird er hingerichtet. Eine
morbide Faszination bleibt.

Hannover (dpa) - In der Nacht starrten ihn beleuchtete Schädel aus
den Ecken seiner Gefängniszelle an, die Augenhöhlen mit rotem Papier
beklebt. In einem Winkel der Zelle lag ein Sack mit Menschenknochen.
Derart mürbe gemacht, gab Fritz Haarmann die grausige Wahrheit
schließlich zu: Er war es, der als «Werwolf von Hannover» mindestens

24 Jungen und junge Männer bestialisch getötet hatte.

Doch so schaurig es war, bald sang man auf der Straße Lieder über den
unheimlichen Mörder, zu einer damals populären Schlagermelodie:
«Warte, warte nur ein Weilchen, bald kommt Haarmann auch zu dir.» Vor
100 Jahren wurde der Serienmörder hingerichtet.

«Mediales Großereignis»

«Dieser Fall ist für mich immer ein gewisses Rätsel geblieben», sag
te
der wissenschaftliche Leiter des Polizeimuseums Niedersachsen in
Nienburg, Dirk Götting. Es sei eigenartig, dass der Fall des
pädophilen Serienmörders «über die Jahre einen solchen Status
bekommen» habe: «Es ist immer ein mediales Großereignis gewesen.»
Eine morbide Faszination bleibt - offensichtlich.

Denn der beispiellose Fall fesselt wohl auch Künstler - Götz George
verkörperte Haarmann 1995 in dem preisgekrönten Kinofilm «Der
Totmacher», entstanden anhand der protokollierten Gespräche, die der
Psychiater Ernst Schultze mit Haarmann führte. Am Schauspiel Hannover
gab es ein Musical, der Fall Haarmann wurde darüber hinaus
literarisch verarbeitet, etwa als Graphic Novel. In Hannover gibt es
zudem Stadtführungen auf den Spuren des 1879 geborenen Verbrechers.
Und: Der Serienmörder mit dem Hackebeil tauchte in Hannover als Figur
auf einem Adventskalender auf.

Halsschlagader durchgebissen

Schon früh wurden die unfassbaren Verbrechen Haarmanns auf
Ausstellungen präsentiert: 1926 gab es eine große Polizeiausstellung
in Berlin - dort zeigte die Polizei Hannover das Haarmann-Zimmer aus
der Straße Rote Reihe, wie Götting sagte. Unter anderem an dieser
Adresse in Hannover wohnte der Serienmörder.

Was weiß man über den Fall? Zwischen 1918 und 1924 ermordete der
polizeibekannte Kriminelle männliche Kinder und junge Männer im Alter
zwischen 10 und 22 Jahren. Haarmann erdrosselte seine Opfer oder biss
ihnen - womöglich in Ekstase - die Halsschlagader durch. Viele waren
Ausreißer und wurden in den Wirren der Nachkriegszeit zunächst nicht
vermisst. Die Leichen zerstückelte er und warf sie in die Leine, die
Kleidung verkaufte er. Als Kinder am Ufer der Leine im Frühjahr 1924
Knochen fanden, waren dies erste Hinweise auf die Mordserie.

Haarmann war Polizeispitzel

Am 22. Juni 1924 wurde er festgenommen - zunächst nur, weil er mit
einem Jugendlichen in Streit geraten war. Die Polizei fand bei der
Durchsuchung seiner Wohnung Hinweise auf die Verbrechen, darunter
Blutspuren und blutbefleckte Kleidungsstücke junger Männer.
Allerdings gab es lange vorher Hinweise - zum ersten Mord Haarmanns
soll es schon 1918 gekommen sein. Nur: Hinweise aus der Bevölkerung
kannte man nicht im Kaiserreich, sie wurden nicht ernst genommen, wie
Götting erklärte.

Dazu kam: Der bekannte Kleinkriminelle diente der Polizei als
Spitzel. Fritz Haarmann versorgte die Behörde nach dem Ersten
Weltkrieg mit Informationen aus dem Rotlichtmilieu. Hinweisen auf
Haarmann als Täter ging die Polizei daher zunächst nicht nach - man
kannte sich schließlich. Als die Beweise eindeutig waren, wurde er
festgenommen und sogar gefoltert, wie Götting sagte.

Nicht das echte Beil

Im Polizeimuseum in Nienburg ist unter anderem der Nachbau einer
Zelle des Polizeigewahrsams in Hannover in der Weimarer Republik zu
sehen. Dort saß Haarmann nach seiner Verhaftung ein. Auch ein Beil
wird gezeigt. Dessen Provenienz sei aber fragwürdig, bei einer
forensischen Untersuchung vor 25 Jahren seien keine Spuren gefunden
worden, sagte der Polizeihistoriker. 

Haarmann gestand schließlich nach tagelangem Verhör. Der Psychiater
Ernst Schultze sollte untersuchen, ob er zurechnungsfähig war - und
kam zu dem Schluss, dass Haarmann für seine Taten verantwortlich war.
Im Dezember 1924 verurteilt das Landgericht Hannover den Serienmörder
zum Tode, am 15. April 1925 wurde er enthauptet. Sein in Formalin
eingelegter Kopf lagerte lange in der Göttinger Rechtsmedizin und
wurde erst 2014 eingeäschert und anonym bestattet.

Wie viele Menschen tötete er wirklich?

Prozess und Urteil sorgten immer wieder für Kritik: An der
Zurechnungsfähigkeit Haarmanns zum Zeitpunkt der Morde hätte
zumindest gezweifelt werden müssen, schrieb Christine Pozsár,
Expertin für forensische Psychiatrie, in «Die Haarmann-Protokolle».
Seine Steuerungsfähigkeit zum Zeitpunkt der Taten dürfte zumindest
erheblich eingeschränkt gewesen sein. Misshandlungen Haarmanns in
seiner Kindheit kamen demnach kaum zur Sprache, Krampfanfälle und
mögliche organische Schäden nach einer Hirnhautentzündung auch nicht.


Vieles dürfte für immer ungeklärt bleiben: Kannibalismus wurde
Haarmann vorgeworfen, aber nie nachgewiesen. Fraglich bleibt auch,
wie viele Menschen Haarmann tatsächlich getötet hatte. Götting: «Es

spricht sehr viel dafür, dass die Zahl höher ist als die, für die er

verurteilt wurde.»

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